Richard Blackburn: Journey to the Sublime Porte. The Arabic Memoir of a Sharifian Agent's Diplomatic Mission to the Ottoman Imperial Court in the era of Suleyman the Magnificent (= Beiruter Texte und Studien; Bd. 109), Würzburg: Ergon 2005, XXIII + 367 S., ISBN 978-3-89913-441-4, EUR 59,00
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Mission gescheitert, Auftrag nicht ausgeführt: Dieses bittere Fazit mußte Qutbaddin an-Nahrawali am 16. Seprember 1558 ziehen, als er von einer langen und beschwerlichen Reise wieder in die Stadt Mekka im Westen der Arabischen Halbinsel zurückkehrte. Von dort war er knapp elf Monate zuvor, am 27. Oktober 1557, aufgebrochen. Den Befehl dazu hatte der "Scharif" (der "Edle") von Mekka erteilt, der lokale Herrscher über die Stadt aus der Nachkommenschaft des islamischen Propheten Muhammad. Das Ziel der Unternehmung war Istanbul gewesen, die Hauptstadt des Osmanischen Reichs unter Sultan Süleiman II. ("dem Prächtigen", 1520-1566).
Seit 1517 übten die osmanischen Sultane, wie vor ihnen die Mamluken von Ägypten, die Suzeränität über die Städte Mekka und Medina auf der Arabischen Halbinsel aus. Beide Orte waren von erheblicher religionspolitischer Bedeutung: in Mekka steht die Kacba, das zentrale und höchste Heiligtum der islamischen Welt, und in Medina befindet sich Grab Muhammads. Die politische Schirmherrschaft über die hochverehrten Stätten und die jährliche Pilgerfahrt war prestigeträchtig und für eine Vormachtstellung unter den islamischen Groß- und Mittelmächten unabdingbar. Im Alltag vor Ort allerdings bestimmten Spannungen zwischen osmanischen Ansprüchen und lokalen politischen Ambitionen das Verhältnis von Suzerän und Scharifen. Und solche Spannungen waren es auch, die den Anlaß zur Mission an-Nahrawalis gaben. Er reiste zur Hohen Pforte mit der Bitte des Scharifen um Ablösung eines unbequemen osmanischen Garnisonskommandanten in Medina.
Den Bericht von dieser Reise hat an-Nahrawali (1511-82), ein sunnitischer Religionsgelehrter und Literat und bekannt als osmanenfreundlicher Historiker, in einer Kladde (daftar) niedergeschieben, die er mit sich führte und zu diesem besonderen, aber auch zu vielen anderen Zwecken nutzte. Das arabische Autograph des über 300 Folios zählenden Notizbuchs ist erhalten. Der Reisebericht umfaßt davon nur 43 Doppelseiten.
Die aber sind inhaltsschwer und für Islamwissenschaftler, Regionalhistoriker und Osmanisten, aber auch für regionfremde Kulturwissenschaftler eine wahre Fundgrube. Zugänglich sind sie im vorliegenden Band in einer englischen Übersetzung mit einem umfangreichen Kommentar im Fußnotenapparat und einer zwölfseitigen Einführung in den Text. Eine Reproduktion des arabischen Handschriftenauszugs liegt dem Band auf einer Mini-CD bei. Diese Arbeit wurde geleistet von Richard Blackburn, einem Spezialisten für die osmanischen Eroberungen des 16. Jahrhunderts im Westen der Arabischen Halbinsel und profunden Kenner ihrer historischen und kulturellen Hintergründe, versiert im Arabischen und Osmanischen gleichermaßen.
Die Übersetzung hält sich eng an das Original. Zusätze, die der besseren Verständlichkeit des Textes dienen und Selbstverständlichkeiten einer Schrift des 16. Jahrhunderts ausgleichen, sind stets als solche gekennzeichnet. Der Fülle erläuterungsbedürftiger Details (Ortsnamen, Personen, Daten, historische Hintergründe etc.) begegnet Blackburn mit akribischen Anmerkungen zur Sachklärung und entsprechenden Literaturhinweisen.
Der Text bietet die Reise in streng chronologischer Reihenfolge von einem Tag auf den anderen, von einer Reisestation zur nächsten dar.
Der Höhepunkt ist natürlich der Bericht an-Nahrawalis über seine Erlebnisse in Istanbul, über das Leben im Dunstkreis des osmanischen Hofs und in dem dichten Kordon der Beamten, denen Gesandte, die erfolgreich sein wollten, zu gefallen hatten, auch materiell. Der Aufwand an Geschenken in Geld und Sachwerten war immens, wenngleich die andere Seite für hochgestellte Ankömmlinge in der osmanischen Hauptstadt Unterhalt bereitstellte, solange sie erwünscht waren. Aber die Audienz beim Sultan war nur kurz und erfolglos und an-Nahrawali nach zwei Monaten in Istanbul schließlich bankrott. Die enttäuschten Hoffnungen, die zunehmend aussichtslosere Lage und die deprimierte Stimmung sind Gegenstand der Schilderung ebenso wie Ereignisse von allgemeinerem Interesse, so etwa der Tod jener einflußreichen Frau des Sultans, die im Westen unter dem Namen Roxelane bekannt geworden ist. Zudem taucht eine Fülle von namhaften Persönlichkeiten der osmanischen Elite auf, es ist die Rede von großer Politik und kleinen Intrigen.
Aber auch die anderen Abschnitte der Reise, ihre alltäglichen Widrigkeiten und Gefahren auf den schwierigen Strecken nach Damaskus und durch Anatolien, an bedeutenden und weniger bedeutenden Haltestationen, die zahlreichen Begegnungen in den Städten mit Gelehrten, mit alten und neuen Freunden und politischen Würdenträgern kommen ebenso detailliert zur Sprache wie die Istanbuler Erlebnisse. So sammeln sich viele Informationen zur materiellen Kultur der Zeit an, zu Preisen und Waren, zu Alltags- und Luxusgegenständen: was kostete ein Wollgewand, wieviel das Kopieren eines Buches, wie teuer war ein Sklave und was mußte für ein Maultier bezahlt werden? Orts- und Milieubeschreibungen, darunter auch aus den auf der Rückreise besuchten ägyptischen Städten Alexandria und Kairo, vermitteln landeskundliche Momentaufnahmen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Die Kontakte, die an-Nahrawali auf dieser Reise aktivieren oder knüpfen konnte, lassen die Breite und die Möglichkeiten der sozialen und religiösen Netzwerke von Gelehrten in ihrer überregionalen Dimension zumindest erahnen.
Reiseliteratur wird hier einmal mehr zur reichen Quelle für sozial- und mentalitätsgeschichtliche Rekonstruktion. Allerdings muß man sich dieser Quelle selbst bedienen. Denn diese Arbeit nimmt Blackburn dem Leser nicht ab. Aber er stellt alle Instrumente dafür zur Verfügung. Dazu gehören auch ein vierzigseitiger Index sowie eine umfangreiche Bibliographie.
Insgesamt ist der Band eine vorbildliche Erschließung eines reichhaltigen und beachtenswerten Quellentextes, der außerdem auch spannend zu lesen ist.
Esther Peskes