Klaus Marxen / Annette Weinke (Hgg.): Inszenierungen des Rechts. Schauprozesse, Medienprozesse und Prozesse, Medienprozesse und Prozessfilme in der DDR, Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2006, 234 S., ISBN 978-3-8305-1243-1, EUR 19,80
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Die historische Aufarbeitung des DDR-Strafrechts, insbesondere seiner politischen Komponente, erlebte in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt und kann nach der Vorlage verschiedener Standardwerke und detaillierter Einzelstudien als einer der am besten erforschten Bereiche der SED-Diktatur gelten. Wie der vorliegende von Klaus Marxen und Annette Weinke herausgegebene Tagungsband zeigt, lohnt es jedoch durchaus, sich dem Thema noch einmal aus einer gleichermaßen kulturhistorisch wie kommunikationswissenschaftlich inspirierten Perspektive zu nähern, denn, so die Hypothese: "Das Zeitalter der Medien prägt formal und inhaltlich auch die Setzung und Verwirklichung von Recht." (5) Als Schlüsselkategorie dient den Herausgebern die "Inszenierung", die drei verschiedene Phänomene begrifflich erfasst: die - vorwiegend in der Gründungs- und Frühphase der DDR - abgehaltenen "Schauprozesse" vor "erweiterter" und agitatorisch manipulierter Öffentlichkeit, die filmische Präsentation von authentischen oder fiktiven Rechtsfällen im DDR-Fernsehen sowie (semi-) dokumentarische Filmberichte von politischen Prozessen.
Methodisch war es das Anliegen der Herausgeber, nicht bei einem klassischen Vergleich von realem Geschehen und medialer Verzerrung stehen zu bleiben. In ihrem sehr lesenswerten und instruktiven Einleitungsbeitrag formuliert Annette Weinke vielmehr die zentrale Frage, inwieweit Medien eine eigene Form von Wirklichkeit generieren, die dann ihrerseits wiederum selbst Wirkungen ausübt (40). Ausdrücklich betont Weinke hierbei die stilbildende Funktion des Nürnberger Prozesses, bei dem es sich um den "ersten internationalen Medienprozess des 20. Jahrhunderts" gehandelt habe (49). Weinke sieht die rechtskulturelle Innovation darin, "dass er die massenmediale Zurschaustellung von Verbrechen und die justizielle Aufklärung dieser Verbrechen zusammenführte und zu einer neuen Repräsentationsform verschmolz." (49) In der DDR wurden sowohl formale Elemente des Nürnberger Prozesses als auch vor allem stalinistische Vorbilder der Sowjetunion der 1930er Jahre bei der Organisation von Schauverfahren adaptiert. Auch hier lenkt Weinke wieder den Blick auf die Wirkung dieser Inszenierungen: Ihrer Ansicht nach waren sie im Wesentlichen dazu bestimmt, festgefügte Vorstellungen über die jüngste Geschichte zu verbreiten, somit "eine krude Form kommunistischer Selbsthistoriographie." (57) Weinke unterschätzt hierbei allerdings die unmittelbar gesellschaftlich-transformatorische Absicht, die viele politische Schauprozesse in der Frühphase der DDR prägte. So waren Anklagen gegen Landwirte und Unternehmer nicht nur ein "Ersatz" (58) für aus Opportunitätsgründen nicht durchgeführte Verfahren gegen kommunistische Parteikader, sondern hatten ein Ziel sui generis: Die Änderung von Eigentumsverhältnissen in der SBZ/DDR mithilfe des Strafrechts in einer Phase (1948-1952), in der die Partei noch nicht laut von "Sozialismus" sprechen wollte. Wichtig ist zweifellos die von Weinke aufgeworfene Fragestellung, ob die stalinistischen Schauprozesse überhaupt Spuren im ostdeutschen kollektiven Gedächtnis hinterlassen haben oder aber die Brutalitäten der 1950er Jahre später wirkungsvoll tabuisiert wurden.
In einem zweiten Abschnitt des Buches fokussieren zwei Beiträge die politisch hochsensible Rolle, die Massenmedien und ihrer Berichterstattung im Zeitalter der deutschen Teilung zukam. In seiner Typologie der von der Staatssicherheit choreografierten Schauprozesse hebt Roger Engelmann das im Juni 1955 inszenierte Verfahren gegen sogenannte "RIAS-Agenten" hervor. Die Akribie der Vorbereitung ebenso wie die Härte der Strafe (Todesurteil) lassen erkennen, wie sehr der RIAS besonders seit dem 17. Juni 1953 zum "roten Tuch" (92) des SED-Regimes geworden war. Spannend und bestürzend gleichermaßen ist der Befund des "propagandistischen Teilsieges der DDR" (117), den Marion Detjen hinsichtlich des Wandels der öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik gegenüber Fluchthilfe konstatiert. In ihrer glänzend reflektierenden Studie gelingt es Detjen, die zahlreichen Faktoren und vielschichtigen Wechselwirkungen zu konturieren, die dazu führten, dass Propagandakampagnen der DDR gegen Fluchthelfer tatsächlich Auswirkungen auf eine "negative Umwertung der Fluchthilfe im Westen" haben konnten (104).
Ein letztes Kapitel des Bandes befasst sich mit "Recht und Justiz in den DDR-Massenmedien". Günter Agde analysiert mit dem sowjetischen Dokumentarfilm "Todeslager Sachsenhausen" und der Verfilmung des Sachsenhausenprozesses von 1947 in Berlin-Pankow, wie die Besatzungsmacht ihre Verfolgung des NS-Unrechts medial wirkungsvoll präsentierte. Detlef Kannapin verweist in seiner Skizze der Rechtsauffassungen in ausgewählten DEFA-Spielfilmen zwischen 1946 bis 1955 darauf, wie die vermeintliche "bürgerliche Klassenjustiz" des Westens in Filmen wie "Rat der Götter" als Negativfolie ausgebreitet wurde. Ebendiese "Exterritorialisierung der Kriminalität" (167) erkennt Reinhold Viethoff auch in der Verbrechensdarstellung des frühen DDR-Fernsehens, die jedoch dazu führte, dass die ostdeutschen Bürger aufgrund ihrer Alltagserfahrungen mit diesem Konstrukt nicht viel anfangen konnten. Gerade der heimische DDR-Alltag war es jedoch, mit dem das ostdeutsche Fernsehen als "Authentizitäts-Pfund" (159) gegenüber dem attraktiven Westfernsehen wuchern konnte und wollte. Somit wurde mithilfe verschiedener Rudiment- oder Relikttheorien das Verbrechen in die TV-Darstellung der "sozialistischen Gesellschaft", in der die Kriminalität ja eigentlich hätte absterben sollen, zurückgeholt - mit großem Erfolg, wie die Popularität von Serien wie "Polizeiruf 110" belegt. Henning Wrage stellt als besonderes inszenatorisches Element von Gerichtssendungen des DDR-Fernsehens das "Moderatorenprinzip" heraus: Während in der sogenannten Pitaval-Reihe der bekannte Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul die Kriminalfälle kommentierend begleitete, war Dr. Peter Przybylski von der Generalstaatsanwaltschaft Moderator und "gesellschaftlicher Partner" der Serie "Der Staatsanwalt hat das Wort". Mit der direkten Zuschaueransprache sollte in letztgenannter Sendung das Vertrauen des Publikums in die DDR-Justiz gestärkt und es sollten präventive Wirkungen erzielt werden. In einem abschließenden Beitrag resümiert Gunter Holzweißig die vielfältigen Formen der parteilichen Steuerung und Zensur der Medienberichterstattung in der DDR - ein Überblick, der in einem früheren Kapitel des Sammelbandes vielleicht besser platziert gewesen wäre.
Der Band gibt leider nur wenige Anregungen, wie die Verbindung von zeithistorischer, rechtshistorischer und medienwissenschaftlicher Sichtweise künftig systematisch fortgeführt werden könnte. Annette Weinke formuliert einige vorsichtige Ansätze, lässt aber ausdrücklich offen, ob Veränderungen in der DDR-Justizgeschichte tatsächlich als medienbedingt gelten können. Klaus Marxen hingegen ist sich sicher: Eine "juristische Zeitgeschichte, welche die Mediatisierung des Rechts nachvollzieht, wird auch in der Periodisierung neue Wege beschreiten." (31) Periodisierungen nach politischen Ereignissen würden demgegenüber zurücktreten, was auch für die durch die beiden deutschen Diktaturen gesetzte Zeitstruktur gelte. Diese weitgehende Behauptung findet allerdings in den Beiträgen des Sammelbandes so gut wie keine empirische Verankerung. Das Sammelwerk bietet insgesamt zahlreiche anschauliche und überraschende Einsichten zum Verhältnis von Recht und Medien, die sicherlich Impulse für eine weitere produktive Beschäftigung mit diesem Forschungsansatz geben werden.
Jutta Braun