Renee Winegarten: Germaine de Staël & Benjamin Constant. A Dual Biography, New Haven / London: Yale University Press 2008, 343 S., ISBN 978-0-300-11925-1, GBP 20,00
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Im Herbst 1794 lernten sich am Genfer See zwei Schweizer kennen und 18 Monate später auch lieben: die 28-jährige Germaine de Staël-Holstein und der Cousin einer ihrer Bekannten, Benjamin (de) Constant. So gut, so wenig aufregend - auch die Tatsache, dass beide mit anderen verheiratet waren, machte die Beziehung in der turbulenten Revolutions- und Empire-Zeit kaum außergewöhnlich. Bedeutung gewinnt die Begegnung vor allem aufgrund der daraus folgenden intellektuellen Partnerschaft, eine bis in das erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts reichende Kollaboration in Frankreich, der Schweiz und Deutschland, die Entscheidendes zum Gelingen einiger der großen Werke der Kulturgeschichte einerseits, der politischen Theorie des Liberalismus andererseits beitrug.
Für das Treffen sprach einiges. De Staël und Constant hatten ähnliche Bekanntschaftskreise und ähnliche literarische Ambitionen. Beide publizierten später quasi-autobiographische Werke in fiktionaler Form, bewegten sich in der Welt der intellektuellen Salons und interessierten sich leidenschaftlich für die politischen Entwicklungen der Zeit.
Einiges machte das Treffen aber auch unwahrscheinlich. Germaine Necker, die in Paris geborene Tochter des zweimaligen französischen Finanzministers, hatte 1786 den schwedischen Baron de Staël geheiratet. Reichtum und Einfluss ihres Vaters wurden bereits daran deutlich, dass die schwedische Regierung im Rahmen der Heiratsverhandlungen zusicherte, de Staël zum schwedischen Botschafter in Paris zu ernennen. Obgleich de Staël und seine Frau getrennte Wege gingen, erlaubte ihr der diplomatische Rang des Gatten, die ersten Revolutionsjahre (die sie enthusiastisch begrüßte) in Paris zu überstehen und kurz vor dem Terror gemeinsam mit dem Vater ihrer ersten Kinder, dem Graf von Narbonne, 1792 nach England zu fliehen. Unter dem Direktorium - dessen kulturelles Leben sie durch einen glänzenden Salon bereichern sollte - pendelte Madame de Staël zwischen Paris, Häusern in der französischen Provinz und dem Familiensitz Coppet.
Constant dagegen verbrachte die Revolutionszeit als Kammerherr des Herzogs von Braunschweig, an dessen Hof er seine erste Frau, die Hofdame Wilhelmina von Kramm, kennenlernte. Obgleich er sich in Braunschweig ohnehin herzlich gelangweilt zu haben scheint, waren es erst das Treffen mit Madame de Staël (und der Zugang zu ihrem immensen Vermögen), das Constant 1795 den Weg nach Paris erleichterte.
Politisch bewegten sich de Staël und Constant in Paris zunächst in gemäßigt revolutionären Kreisen, die sie auch in Kontakt mit den Gebrüdern Bonaparte brachten. De Staël erleichterte unter anderem die Rückkehr ihres englischen Bekannten, Talleyrand, galt vielen aber wegen ihrer Freundschaften mit Exilanten und Monarchisten als politisch suspekt. Constants Feder und ihr aufregender Salon ermöglichten es Constant, über eine politische Karriere nachzudenken - ein politisches Amt errang er allerdings nicht.
In dieser Zeit begannen sich die politischen wie persönlichen Wege der beiden Protagonisten der Doppelbiographie langsam auseinanderzuentwickeln. Trotz der Geburt der gemeinsamen Tochter Albertine im Sommer 1797 suchte Constant, der de Staël sexuell auf die Dauer nicht hinreichend aufregend fand, andere Beziehungen, ohne sich ganz von de Staël zu lösen, während de Staël nach dem Tod ihres Gatten ihrerseits zögerte, Constant durch eine Heirat fester an sich zu binden - auch, weil sie dann einen bürgerlichen Namen tragen würde. 1808 heiratete Constant eine Geliebte aus der Braunschweiger Zeit, Charlotte von Hardenberg - ohne deswegen die Besuche in Coppet aufzugeben.
Während Constants politische Ideen flexibel genug waren, sich mit allen politischen Regimen zu arrangieren (er übertraf darin sogar Talleyrand, da er unter Napoleon, während der Restauration, der Hundert Tage und der zweiten Restauration an der Seite der jeweiligen Regierung stand), blieb de Staël ihren Prinzipien treu. Ihre kompromisslose Kritik an der Zensur und dem Weg in eine bonapartistische Militärdiktatur führte zu immer heftigeren Verfolgungsmaßnahmen des Regimes, das ihr erst den Aufenthalt in Paris, dann um Paris und schließlich in Frankreich untersagte - ein Anlass für die gemeinsame Deutschlandreise, die de Staël und Constant 1803/4 unternahmen.
Die Quasi-Flucht aus der Schweiz machte de Staëls Lage langfristig jedoch eher noch schlimmer. Ihre demonstrativen Aufenthalte in Berlin und Wien, die offenkundige Sympathie der Schwedisch-Schweizerin, die aus der Sicht des Regimes keinen Anspruch auf die französische Staatsbürgerschaft hatte, für die von Napoleon unterdrückten Regionen: all das sprach weder für französischen Patriotismus noch für Loyalität gegenüber dem Kaiser. Das Verbot der Publikation von "De l'Allemagne", vor allem aber der Befehl, das Manuskript zu vernichten, machten de Staël deutlich, wie prekär ihre Lage war. Die wachsende Furcht vor Verhaftung und vielleicht sogar Hinrichtung brachten sie schließlich 1812 dazu, über Russland und Schweden nach England zu fliehen. Constant blieb diesmal in Frankreich, und letztlich bedeutete diese Trennung (in Verbindung mit Constants Entscheidung, 1815 nach Napoleons Diktat eine wenig liberale Verfassung zusammenzustoppeln) zwar nicht das Ende der Kontakte, aber doch das Ende der Partnerschaft.
Dazu kamen Finanzprobleme und emotionale Komplikationen. Constants Versuche, durch die Spekulation mit Emigrantenbesitz reich zu werden, waren immer wieder an ökonomischen Realitäten und am Spieltisch gescheitert. Als Madame de Staël, die sich nach den Jahren des Exils selbst in finanziellen Schwierigkeiten befand, seinen Beitrag zur Mitgift forderte, damit Albertine Victor de Broglie heiraten konnte, stritt er jede Verpflichtung ab, auch nur einen minimalen Teil ihrer großen Kredite zurückzuzahlen. Während Constant ausgerechnet um de Staëls enge Freundin Juliette Recamier warb, heiratete de Staël 1816 den Genfer Offizier Rocca, der sie ins Exil begleitet hatte. Als Germaine de Staël 1817 nach einem Schlaganfall auf dem Totenbett lag, bemühte sich Constant zwar, sie noch einmal zu sehen, wurde aber nicht mehr vorgelassen.
Winegarten erzählt in angenehmer Form die Geschichte der emotionalen, sexuellen und politischen Beziehungen zwischen zwei führenden literarischen und politischen Persönlichkeiten der Sattelzeit. Der Band enthält eine Literaturliste, ist aber ganz überwiegend direkt aus den publizierten privaten Quellen der Protagonistin und des Protagonisten gearbeitet, deren Inhalte vor allem resümiert werden. Im Vordergrund steht das, was man modern die Beziehungskiste de Staël/Constant nennen könnte, in die immer wieder politische Kalamitäten einbrechen, die aber in ihren Ursachen und Wirkungen einigermaßen blass bleiben. Einer Fragestellung am nächsten kommt die Beschäftigung mit dem Thema, wie sich um 1800 eine unabhängige Frauenrolle gestalten konnte - und damit auch das Problem der Doppelmoral der zeitgenössischen wie rückblickenden Bewertung dieser politisch-literarischen Beziehung.
Andreas Fahrmeir