John Schulz: The Financial Crisis of Abolition, New Haven / London: Yale University Press 2008, xiv + 193 S., ISBN 978-0-300-13419-3, GBP 35,00
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Die Konstellation scheint vertraut: Ein ohne Rücksicht auf moralische Erwägungen, nur mit Blick auf den eigenen Profit operierender Wirtschaftssektor, der - aus eigener Schuld - in eine leicht vorhersehbare Krise gerät; eine scheinbar unvermeidbare Notintervention der Politik, die aber gründlich schiefgeht und droht, die gesamte Volkswirtschaft in den Abgrund zu reißen, bis dann doch, wider Erwarten, die Rettung gelingt.
Die Rede ist freilich weder von der Großen Depression noch der gegenwärtigen Bankenkrise; die Geschichte, welche der vorliegende Band erzählt, spielt im Brasilien des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts. Das Buch von John Schulz, das durch jüngste Ereignisse große Aktualität gewonnen hat, handelt von der Finanz-, Währungs- und Politikkrise, die dort auf die Abschaffung der Sklaverei 1888 folgte.
Die Abschaffung der Sklaverei kann ihre Profiteure, die Besitzer und Betreiber von Kaffeeplantagen, keineswegs überrascht haben. Auch für Brasilien bedeutete das Ende des Sklavenhandels 1850, dass die Sklaverei nur noch dann zukunftsfähig sein konnte, wenn die einheimische Sklavenbevölkerung in der Lage war, sich selbst zu reproduzieren. Das war aber - ebenfalls kein Geheimnis - angesichts der besonders schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht der Fall. Schließlich führte die Abschaffung der Sklaverei in den USA und Kuba zur moralischen Isolation Brasiliens.
Obwohl daher niemand davon überrascht werden konnte, dass die Sklaverei keine ewige Institution war, folgte doch auf die Sklavenemanzipation nach 1888 eine der unruhigsten Perioden der Geschichte des südamerikanischen Landes: Der Sturz der Monarchie, ein trügerischer Banken- und Wirtschaftsboom, bürgerkriegsähnliche Zustände, Putsche, schließlich Inflation, Absturz der Währung und Bankenkrise - und das in einer Zeit, als die ökonomischen Bedingungen für Brasilien angesichts explodierender Weltmarktpreise für Kaffee besonders günstig waren.
Schulz' Buch, die englische Übersetzung eines zuerst auf Portugiesisch erschienenen, in Deutschland in dieser Fassung in keiner wissenschaftlichen Bibliothek zugänglichen Werkes, stellt diese Geschichte in zwei Zusammenhänge: In den breiten Rahmen der Entwicklung des modernen Finanz- und Bankensystems einerseits, in den engeren Kontext der politischen Geschichte Brasiliens andererseits. Zu beiden Themen hat das Buch einiges beizutragen. Die allgemeinen Teile lassen sich als konzise, sehr gut verständliche Einführung in die Entwicklung der internationalen Staatsfinanzierung im Rahmen eines auf London zentrierten Banken- und Kapitalmarktnetzes lesen. Die spezielleren Kapitel versuchen einerseits nachzuweisen, Ruy Barbosa, der erste Finanzminister der brasilianischen Republik, sei ein "corrupt opportunist" (9) gewesen, andererseits zu dokumentieren, was genau passiert, wenn Wirtschaftspolitik im Interesse einer kleinen Schicht (in diesem Fall der Großgrundbesitzer) gemacht wird und die Bedürfnisse der großen Mehrheit der Bevölkerung missachtet.
Die Gliederung des Buches spiegelt diese doppelte Absicht. Einer Einführung in das internationale Finanzsystem des 19. Jahrhunderts folgt eine Beschreibung der internationalen wie nationalen Finanzmarktkrisen bis 1875. Kapitel vier widmet sich der Sozialgeschichte der Plantagenbesitzer, Kapitel fünf schildert, wie die Abschaffung der Sklaverei in Brasilien vonstattenging. Das nächste Kapitel ist dem als Encilhamento bekannten Wirtschaftsboom nach 1889 gewidmet, der unter anderem durch immer neue Geldgeschenke an die vermeintlichen Opfer der Sklavenemanzipation angetrieben wurde. Kapitel sieben behandelt die erfolglosen, Kapitel acht dann die erfolgreichen Stufen einer graduellen Politik, der es gelang, das Bankensystem wieder einigermaßen zu stabilisieren, den Abwärtskurs der brasilianischen Währung im Vergleich zum britischen Pfund umzukehren und die Inflation in den Griff zu bekommen.
Schulz hat ein schlankes, konzise argumentierendes Buch vorgelegt, das sich mit Methoden und Fragestellungen einer quantitativ und qualitativ sensibel argumentierenden Wirtschaftsgeschichte einer zentralen Episode der brasilianischen Geschichte zuwendet, die weit über die Grenzen der Nationalgeschichte hinaus von Interesse ist. Dem klaren Fokus ist geschuldet, dass die Politikgeschichte Brasiliens in jenen Jahren eine eher geringe Rolle spielt und allenfalls wegen der Kosten von internen Konflikten und internationalen Kriegen in die Bilanz einfließt - was den Wert der Lektüre aber keineswegs mindert.
Andreas Fahrmeir