Leonard P. Harvey: Muslims in Spain. 1500 to 1614, Chicago: University of Chicago Press 2005, XIV + 448 S., ISBN 978-0-226-31963-6, USD 25,50
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Leonard P. Harvey beginnt mit seinem neuen Buch genau an der Stelle, an der er mit seiner monumentalen Studie "Islamic Spain, 1250 to 1500" (Chicago 1990) 15 Jahre zuvor aufgehört hatte, nämlich mit den engagierten Bemühungen der Muslime in Spanien am Ende des 15. Jahrhunderts, ihre säkulare wie auch ihre religiöse Kultur auf lokaler Ebene trotz der desaströsen politischen Situation weiterführen zu können. Nach dem Fall von Granada im Jahre 1492 konnten sich überall auf der Iberischen Halbinsel die Muslime unter spanischer Herrschaft im Alltag einer Reihe von zentralen Rechten erfreuen. Vor allem durften sie wie schon ihre Väter und Vorväter ungestört ihren Glauben ausüben. Die Muslime des besiegten Granada nahmen einfach den recht genau definierten Status von Mudejars an, also von muslimischen Untertanen, die offiziell die Oberhoheit christlicher Herrscher anerkannten. Spätestens jedoch mit dem Jahre 1500 begannen Kräfte die Oberhand in Spanien zu gewinnen, die darauf aus waren, Muslime aus der christlich-spanischen Mehrheitsgesellschaft vollständig und nachhaltig zu entfernen. Zunächst zwang man diejenigen, die sich zum islamischen Glauben bekannten, mit Gewalt, zum Christentum überzutreten. Dies geschah nicht allerorten zum gleichen Zeitpunkt, sondern erfolgte in einigen, den jeweiligen regionalen Umständen geschuldeten Schüben. Zuerst traf es 1500-1502 die Länder der Kastilischen Krone, dann 1515-1516 das Gebiet von Navarra. Zu guter letzt kamen 1523-25 die Gegenden an die Reihe, in denen die Aragonesische Dynastie das Sagen hatte, d.h. also Katalonien, Aragon und Valencia. Am Ende der 1520er Jahre konnte die Massenkonversion als weitgehend abgeschlossen gelten, und aus den Mudejars waren sogenannte Moriscos geworden. Im Unterschied zu ihren Vorfahren und im Gegensatz zu allen anderen muslimischen Gemeinden unter christlicher Herrschaft handelte es sich um Krypto-Muslime. Man betrachtete sie als Untergebene eines christlichen Monarchen, die als ordentliche Christen ihre ehemalige Religion nur heimlich und unter der ständigen Furcht vor strenger Bestrafung ausüben konnten. Ihre Zeitgenossen nannten sie nuevos cristianos convertidos de moros, und aus der Sicht der Obrigkeit fielen sie nun unter die Jurisdiktion der Inquisition. Im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts folgten Phasen der vermehrten Verfolgung der Mosriscos, die einhergingen mit zwei größeren Aufständen im Süden der Halbinsel. Schließlich beschloss man die vollständige Ausweisung und Vertreibung der restlichen krypto-muslimischen Bevölkerung von spanischem Boden. In den Jahren von 1609 bis 1614 zwangen die Verantwortlichen etwa 300.000 Menschen, ihre Heimat aufzugeben und Zuflucht bei - in der Regel - muslimischen Herrschern zu suchen. Diese bis dahin unvorstellbare Deportation bedeutete nach 900 Jahren faktisch das Ende des Islams in Spanien.
Dieser Band ist der gelungene Versuch, diese letzte Phase muslimischer Präsenz auf der Iberischen Halbinsel in monographischer Form abzuhandeln. Zu diesem Zweck wertet Harvey das gesamte Quellenmaterial aus, d.h. sowohl die bemerkenswert spärlichen und unergiebigen externen arabischen Texte und Dokumente wie auch das sehr umfangreiche Schrifttum, das in europäischen Sprachen abgefasst wurde. Darüber hinaus stützt sich Harvey aber auch noch auf die auf uns gekommenen Werke der Moriscos selbst. Diese Untergrundliteratur, die heute unter dem Begriff der literatura aljamiada zusammengefasst wird, ist in den meisten Fällen in einem spanischen Dialekt gehalten, der sich stark von der Hochsprache unterscheidet. Zudem schrieben die Krypto-Muslime in einer aus dem arabischen Alphabet abgeleiteten Schrift.
Insgesamt ist dem Verfasser hier ein großer Wurf geglückt. Zum ersten Mal finden wir zwischen zwei Buchdeckeln alle wichtigen politischen Ereignisse und kulturellen Leistungen der spanischen Ex-Muslime in überzeugender Form präsentiert. Harvey hat es geschafft, auf allerhöchstem Niveau und doch in einem sehr leserfreundlichen Stil einen tiefen Einblick in die Geschichte der Mosriscos zu geben. Vor allem seine Ausführungen zu dem intellektuellen Leben der Zwangskonvertierten und zu den Schwierigkeiten der Terminologie zeigen, wie gründlich der Autor seine Quellen gelesen und durchdrungen hat. Am Ende der Lektüre wissen wir sehr viel mehr darüber, was die (wirklichen) Christen über ihre neuen Glaubensbrüdern bzw. was die Moriscos über sich selbst und über ihre (alt-)christlichen Nachbarn gedacht haben.
Stephan Conermann