Sebastian Panwitz: Die Gesellschaft der Freunde 1792-1935. Berliner Juden zwischen Aufklärung und Hochfinanz (= HASKALA. Wissenschaftliche Abhandlungen; Bd. 34), Hildesheim: Olms 2007, 335 S., 17 Abb., ISBN 978-3-487-13346-1, EUR 35,80
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Walter Laqueur: The Changing Face of Anti-Semitism. From Ancient Times to the Present Day, Oxford: Oxford University Press 2008, 228 S., ISBN 978-0-19-534121-8, USD 15,95
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Dana Sajdi: The Barber of Damascus. Nouveau Literacy in the Eighteenth-Century Ottoman Levant, Stanford, CA: Stanford University Press 2013
Genia Findeisen / Kristina Großmann / Nicole Weydmann (Hgg.): Herausforderungen für Indonesiens Demokratie. Bilanz und Perspektiven, Berlin: regiospectra 2010
Mohamad Fahmy Menza: Patronage Politics in Egypt. The National Democratic Party and Muslim Brotherhood in Cairo, London / New York: Routledge 2013
Farhat Jahan: Women in Delhi Sultanate (1206-1388 AD), Saarbrücken: LAP Lambert Academic Publishing 2013
Saleh Said Agha: The Revolution which toppled the Umayyads. Neither Arab nor Abbasid, Leiden / Boston: Brill 2005
Jane Hathaway (ed.): Al-Jabarti's History Of Egypt, Princeton: Markus Wiener Publishers 2009
Manuel Samir Sakmani: Der Weg der Hizbullah. Demokratietauglichkeit, Konflikt- und Stabilisierungspotenziale im Libanon, Berlin: Klaus Schwarz-Verlag 2008
Tom Reiss: Der Orientalist. Auf den Spuren von Essad Bey. Übersetzt von Jutta Bretthauer, Berlin: Osburg Verlag 2008
Walter Laqueur / Barry Rubin (eds.): The Israel-Arab Reader. A Documentary History of the Middle East Conflict, Seventh Revised and Updated Edition, New York: Penguin Press 2008
Manuel Samir Sakmani: Der Weg der Hizbullah. Demokratietauglichkeit, Konflikt- und Stabilisierungspotenziale im Libanon, Berlin: Klaus Schwarz-Verlag 2008
Hier liegen zwei einschlägige Bücher vor. Indes das eine anhand eines konkreten Falles, eines jüdischen Vereines in Deutschland, den tiefen Wunsch und die zivilen Hilfsmittel der jüdischen Assimilation auslotet und wie dieses noble Projekt durch die Ideologie und Taten der Nazis scheiterte, erhellt das andere übergreifend globale Tendenzen, wie sich dieser Judenhass weit über Europa hinaus in den heutigen Räumen des Islams vertieft hat.
Nationalsozialisten traten nach der Weltwirtschaftskrise und vor den Reichstagwahlen eine Hasswelle auf "die Juden und Freimaurer" los. Diese sollten einst als Sündenböcke dienen, darunter die namhaften jüdischen Bankiers der Weimarer Republik. Ein Hetzplakat klagte 1932 im "verjudeten, frankophilen Herrenklub" - neben Kanzler Franz von Papen - ebenso Herbert M. Gutmann von der Dresdner Bank und der Deutschen Orientbank an. Aber damals war Herbert M. Gutmann bereits nicht mehr im Vorstand jener zweitgrößten deutschen Bank, die nach der Bankenkrise von 1931 zeitweilig verstaatlicht worden war.
Nach Adolf Hitlers Machtantritt erging das Beamtengesetz. Die "Arierklausel" zwang die Nachfahren jüdischer (Groß-)Eltern in den Ruhestand. Da der Nazi-Staat die Auswahl in der Dresdner Bank mit bestimmte, gab es für Gutmann kein zurück mehr. Aber es geriet noch schlimmer. Er kam am Tag des "Röhm-Putsches" Mitte 1934 in "Schutzhaft". Indes die Kerker überfüllt waren, fand er sich mit neun weiteren Verhafteten, darunter Konrad Adenauer, unter SS-Bewachung in seiner eigenen Villa am Jungfernsee wieder. Dieser Arrest währte für ihn freilich nur einen einzigen Tag, für manche wie Adenauer mehrere Tage.
Gutmann war, wie Sebastian Panwitz in seinem Buch über Berliner Juden erhellt, ebenso ein Mitglied der Gesellschaft der Freunde. Diese wohltätige Organisation von Juden und Christen war den Nazis schon ein Dorn im Auge. Ein Ermittler sah sie als Loge an, deren wahrer Sinn die christlich-jüdische Annäherung und damit die "Abwehr judenfeindlicher Bestrebungen" sei. Und Vertreter der NSDAP wähnten in diesem schließlich 1935 in Deutschland verbotenen Freundesverein sogar noch einen wirtschaftlichen Geheimbund.
Falsch, wie Panwitz prägnant aufzeigt. Zwar galt die gegenseitige Hilfe in Notfällen auch als ein Vereinsziel. Wohl zählten viele Teile der Berliner Hochfinanz, ob nun einst Juden, ehemalige Juden, Christen oder andere zu den Mitgliedern. Dafür stehen Prominente wie die Mendelssohns, Bleichröders und Gutmanns als Bankiers. In dieser Gesellschaft der Freunde waren auch die Industriellen wie Liebermann und Rathenau. Oder Kaufleute wie Tietz und Israel und Verleger wie Heymann, Veit, Mosse und Ullstein. In den anderthalb Jahrhunderten waren es über 2300 Mitglieder, darunter viele Aufklärer, Lehrer und Ärzte.
Doch handelte es sich in keiner Weise um einen Geheimbund. All dies lotet der Berliner Historiker recht überzeugend aus. Und das obwohl das Vereinsarchiv als verschollen gilt. Ein Grund übrigens, weshalb dieser Verein der Freunde bislang nicht die ihm gebührende Attraktion erfahren hat. Also musste Panwitz viele Bestände aus anderen Überlieferungen sichten. Seine nahezu kriminalistische Spurensuche führte ihn überdies in das Moskauer Spezialarchiv. Dort befinden sich diverse Kollektionen, die durch die Sowjets nach dem Zweiten Weltkrieg erbeutet, jedoch immer noch ungenügend erschlossen worden sind.
Panwitz beschreibt eine Brückenfunktion, die dieser Verein bei der Haskala, also in der jüdischen Aufklärung erfüllt hat. Als Minderheit halfen sich die Berliner Juden einander, besonders die mittellosen Junggesellen. Als sie sich beruflich und privat etabliert hatten, öffneten sie sich auch den Verheirateten und anderen. Je mehr Gleichberechtigung und -stellung diese Minorität in Deutschland erlangt hat, desto stärker trat das einst Jüdische des Hilfsvereins zurück. Bis es vor dem Ersten Weltkrieg keine Hauptrolle mehr spielte.
Herbert M. Gutmann trat dem Verein 1912 bei. Da arbeitete er im Vorstand der Dresdner Bank und der Deutschen Orientbank, die 40 Jahre in die islamischen Räume ausgriff und die Türkei mit Ägypten und Palästina verband. [1] Er heiratete, wurde Vater dreier Kinder und führte die Banken nach 1918 zur Blüte. Umso fassungsloser erlebt der Leser anhand des Freundesvereins, wie die Nazis diese tiefe jüdische Assimilation zerstört haben, also einen Kern der Aufklärung. Zwar entkam Gutmann ihnen, indem er bei einer Reise im Ausland blieb, doch nicht einige seiner Verwandten: sie wurden in Auschwitz ermordert.
Von solchen Schicksalen ungerührt gab sich Irans Präsident Ahmadinejad, als ihm der 81jährige Maurice R. Greenberg berichtete, was er im Konzentrationslager Dachau nach der Befreiung sah. Man soll, sagte ihm der den Holocaust leugnende Iraner, unparteiliche Studien anfertigen. Also selbst Augenzeugen konnten ihn nicht umstimmen. Er meinte am 20. September 2006 in New York: die Massenvernichtungen von Europas Juden im Zweiten Weltkrieg wären ein Mythos. Als ihn Martin S. Indyk, einst US-Botschafter in Israel, sagte, Irans Regime hätte viel gegen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern gearbeitet, hörte er: "Warum sollten die Palästinenser für ein Ereignis zahlen, mit dem sie nichts zu tun hatten, wenn die systematische Tötung von Juden einst je abgelaufen ist?"
Wer nun Walter Laqueurs jüngstes Buch zu den Erscheinungsformen des Antisemitismus konsultiert, sieht, dass Ahmadinejad bekannte Muster der islamischen Holocaustleugner verbreitet. Dem hat der emeritierte Georgetown-Professor ein Kapitel gewidmet. Darin zeigt er auf, dass jene neue Judenfeindschaft nach 1945 aufkam. Erste Bücher enthüllten dies in den 1970er Jahren. Sie loteten den neuen Judenhass nach der Nazi-Ära in Europa und Amerika aus. Im 21. Jahrhundert freilich prägt sich ein islamistischer Judenhass aus. Was ist daran neu? Im Grunde läuft es laut Laqueur darauf hinaus, ob der Antizionismus und Antisemitismus verschieden sind oder wie denn der erstere in den letzteren übergehe.
Zwar hält der Autor dazu selbst keine Zauberformel parat. Doch legt er attraktive Ideen dar. Laqueur, der 1921 in Breslau geboren wurde und als Jugendlicher den Nazis nach Palästina entkam, provoziert gern: Könnte es denn sein, fragt er, dass manche durch den Holocaust traumatisierte Juden auf Kritik über reagiert haben? Faire Kritik an Israel, in dem etwa die Hälfte aller Juden leben, sei wohl berechtigt, unfaire indessen nicht. Anders als bei der früheren Judenfeindschaft spiele hierbei Israels Politik eine besondere Rolle.
Trends, die Laqueur aufzeigt, sind recht bemerkenswert. In der Mitte dieses Jahrhunderts würden ein Viertel oder ein Drittel der Einwohner Frankreichs und Deutschlands bereits muslimisch sein. Da es dort Juden gebe, werden diese dann im islamischen Milieu leben. Politiker müssen in diesem Umfeld ihre Wähler umwerben. Bewegungen, die sich gegen die Juden, den Kurs Israels und die Globalisierung richten oder einer harten Integration entspringen, werden dieses Klima verändern. Außenpolitisch spiele herbei eine weitere Entfremdung zwischen Amerika und Europa hinein. Hinzu kämen staatliche Ansätze, auf die Migration mit einer Mischung aus "starker Hand" und Besänftigung zu reagieren.
Auch daher ist es wichtig, Quellen und Ziele des islamistischen Judenhasses aufzuhellen. Denn viele Zwiste, die noch in Nahost toben, werden stärker in Europa aufkommen. Ein Prozess, der längst im Gange ist. Walter Laqueur warnt auch, den neuen Antisemitismus nicht zu übertreiben, denn er ziele nicht auf die physische Vernichtung von Juden wie die rassistische Art vor 1945 ab. Überdies meint er beim Versuch, den islamischen Judenhass zu definieren, dieser sei nicht rassistisch, da so etwas mit dem Islam unvereinbar wäre.
Aber nimmt man islamische Führer beim Wort, so könnte der Leser einwenden, wollen manche von ihnen sehr wohl Juden beseitigen. Sie haben religiösen Judenhass im Koran zur antijüdischen und antiisraelischen Ideologie ausgeformt. Dies begann vor 1900 und nicht, wie Laqueur meint, nach dem Osmanenreich. Der US-Konsul Selah Merrill etwa meldete 1899 zur "jüdischen Frage" aus Jerusalem [2], die Kolonisation und der Zionismus spitzen diese zu. Das nährte zweifellos Panislamismus gegen die Juden und den Westen.
Mit den Nazis, so lautet ein zweiter Einwand, vertieften islamische Führer ihren Rassismus, der Muslimen in seinen europäischen Formen zwar fremd war, aber den sie zuvor vor allem gegen schwarze Afrikaner und andere Gruppen hegten. Jerusalems Großmufti Amin al-Husaini gab ein Beispiel: "Uns eint der Hass gegen die Engländer und Juden", schrieb er 1941 an Adolf Hitler. Der sagte ihm im selben Jahr persönlich, mit den Juden in Nahost wie in Europa zu verfahren. In der Art kündigte er den nächsten regionalen Holocaust an.
Der Großmufti, der weithin anerkannte Würdenträger und nationale Palästinenserführer, säte noch drei Jahrzehnte lang nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Hitlerschen Rassismus: Juden als zersetzende Weltverschwörer, Kriegstreiber, Erzfeinde, Feiglinge und Zinswucherer. Der Kanzler stellte es bewusst auf eine rassistische Grundlage, die der Araber übernahm. Bis zu seinem Tode 1974 setzte es der Großmufti fort. Kann man da wie Irans Führer vermuten, Palästinenser hätten nichts mit dem Holocaust zu tun gehabt?
Ist nicht der neue islamistische Judenhass, seit Israels Geburt unter dem Motto "Treibt die Juden ins Meer", rassistisch und vernichtend? Nicht nur Ahmadinejad verneint Israels Existenzrecht. In Nahost würde der von Panwitz erhellte Freundesverein als Vehikel der Verschwörung, Gutmann als deren Agent gelten. Gut, dass diese Geschichte im Ansatz aufgeklärt ist und mit Walter Laqueur in ihre universelle Dimension gefügt werden kann.
Anmerkungen:
[1] http://www.trafoberlin.de/pdf-dateien/Schwanitz_neu/Gutmann%20Armenier%20Deutsche%20Orientbank.pdf [PDF-Dokument]
[2] http://www.trafoberlin.de/pdf-dateien/Michael%20Brenner%20Zionism.pdf [PDF-Dokument]
Wolfgang G. Schwanitz