Peter Schiffer (Bearb.): Die Entwicklung des Territoriums Geldern (= Geschichtlicher Atlas der Rheinlande; Heft V / 9-10), Bonn: Verlag Dr. Rudolf Habelt 2006, 30 S., ISBN 978-3-7749-3436-8, EUR 23,90
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Geldern eignet sich als Beispiel für Glanz und Elend deutscher Territorialstaatsbildungen: Bis zum Tod des Herzogs Karl von Egmont 1538 vollzog sich ein territorialer Akquisitions- und Arrondierungsprozess, danach geriet das Gebiet in die Hände zahlreicher auswärtiger Herren und wurde geteilt und gestückelt. Für den Kartographen stellt sich damit die doppelte Herausforderung, in seinem Werk die Bestandteile des Territoriums nach Herkunft zu beschreiben und anschließend die Zerfallsprozesse präzise zu analysieren, besonders dann, wenn die 'neuen' Spaltprodukte sich nicht nach den früheren Bestandteilsgrenzen richten mochten. Zudem besteht das Problem aller kartographischen Erfassung vormoderner Herrschaft, deren Reichweite sich in personalisierten Rechtsbeziehungen und noch nicht in Raumbeziehungen materialisierte: Die rekonstruierten Grenzverläufe täuschen eine Eindeutigkeit vor, die nie bestand.
Peter Schiffer lässt sich nicht vom Datum 1538 leiten, sondern legt zwei große Karten vor, die Geldern vor und nach 1543 zeigen. Schiffers Epochenjahr bezieht sich auf den Übergang des Territoriums aus dem Gebietskomplex der niederrheinischen Herzogtümer unter Herzog Wilhelm V. an Kaiser Karl V., der Geldern in seinen niederländisch-burgundischen Großbesitz eingliederte. Die erste Karte, die den Besitzstand vor dem Übergang an die Habsburger wiedergibt, weist 239 unterschiedliche Lokalitäten aus; auf der zweiten Karte, die das Territorium nach 1543 zeigt, sind es 236. Diese Lokalitäten können Städte, Dörfer, Burggebiete oder größere Grundherrschaften (Unterherrschaften) sein, Schiffers Sammelbegriff hierfür ist "Gemeinden". Normalerweise sind die Gemeindegrenzen des 19. Jahrhunderts zugrunde gelegt, der Bearbeiter weicht nach eigenen Angaben nur dann davon ab, wenn er dafür konkrete Quellenhinweise gefunden hat. Die Flussläufe entsprechen der Gegenwart, ein Versuch, die wechselnden Verläufe vor der Regulierung im 19. Jahrhundert abzubilden, hätte die Topographie eher verunklart.
Die erste Karte verweist zudem auf die Zeiträume der Besitzerwerbung hin, gegliedert in drei Zeitabschnitte. Nichtdauerhafte Bestandteile sind mit einem blassen Farbton abgesetzt. Durch die zahlreichen Erwerbungen bildete sich kein geschlossener Territorialblock aus, sondern eine Untergliederung, die zeitlich übergreifend Bestand hatte: die vier "Quartiere" Nimwegen (Betuwe), Arnheim (Veluwe), Zutphen und Roermond (Oberquartier). Dies waren nicht bloße nachgeordnete Verwaltungsbezirke, sondern eigene landständische Versammlungsgebiete - deren Existenz als ein Zeichen für eine unabgeschlossene Territorialstaatsbildung gewertet werden kann.
Das den Karten beigefügte dreißigseitige Begleitheft folgt den Zeitabschnitten der Territorialentwicklung: 1. Aufbauphase bis 1229, 2. Ausbauphase 1229 bis 1339, 3. Phase des Herzogtums 1339 bis 1543, 4. Phase der Teilungen bis 1815. Für die Aufbauphase findet sich im Begleitheft eine weitere s/w-Karte (9). Während der zweiten Phase kam dem herrschenden, damals noch gräflichen Geschlecht zugute, dass die Herrscher lange regierten: Otto II., Rainald I. und Rainald II. schufen in 110 Regierungsjahren die Grundlage des geldrischen Gesamtterritoriums, das anschließend zum Herzogtum erhoben wurde. Die Niederlage in der Limburger Fehde 1288 verhinderte zwar den Anfall eines weiteren Großterritoriums, doch das Ziel einer Arrondierung wurde trotzdem weiter verfolgt.
Peter Schiffers sorgfältige kartographische Aufnahme Gelderns ermöglicht die Zuordnung von zahlreichen in den Quellen auftauchenden topographischen Begriffen. Die Beschreibung verdeutlicht die Praxis einer frühmodernen Territorialstaatsarrondierung, die von den Grafen, später Herzögen betrieben wurde, welche aber auch auf Widerstände stieß und einige Verluste nach sich zog. Da es sich bei Geldern um ein später vielfältig geteiltes Territorium mit komplizierter Überlieferungsgeschichte handelt, ist diese Publikation umso wertvoller. Hinzugefügt sind ein "Katalog" der Gemeinden mit Zuordnung zu den Ämtern und Quartieren sowie eine alphabetische Liste der Gemeinden.
Johannes Arndt