Sebastian Schmidt-Hofner: Reagieren und Gestalten. Der Regierungsstil des spätrömischen Kaisers am Beispiel der Gesetzgebung Valentinians I. (= Vestigia. Beiträge zur Alten Geschichte; Bd. 58), München: C.H.Beck 2008, 398 S., ISBN 978-3-406-57268-5, EUR 70,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Maike Weiß / Alexander Weiß: Giftgefüllte Nattern oder heilige Mütter. Frauen, Frauenbilder und ihre Rolle in der Verbreitung des Christentums, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005
Volker Herholt: Antisemitismus in der Antike. Kontinuitäten und Brüche eines historischen Phänomens, Gutenberg: Computus 2009
Susan Ashbrook Harvey / David G. Hunter (eds.): The Oxford Handbook of Early Christian Studies, Oxford: Oxford University Press 2008
Der Begriff 'Regierungsstil' lässt sich verschieden interpretieren. In vorliegender Dissertation, die unter Malcolm Errington 2005 in Marburg entstanden ist und seit 2008 publiziert vorliegt, versteht der Verfasser darunter die Frage nach einem eigenständigen politischen "Gestaltungswillen" Valentinians I. Ausgehend von der These Millars, dass die römischen Kaiser nicht regierten, sondern reagierten, möchte Sebastian Schmidt-Hofner an einem konkreten Fall aus der Spätantike diese These anhand ausgewählter Politikfelder (Innenpolitik unter Ausklammerung des Bauwesens, des Straf- und Prozessrechts und der Religionspolitik, 20) überprüfen.
Quellengrundlage ist der Codex Theodosianus (CTh); gelegentlich werden auch Konstitutionen des Codex Justinianus (CJ) herangezogen. Es geht also um die Ebene des normativen Rechtes. Valentinian I. bietet sich deshalb an, weil wir für die Jahre 364-375 besonders viele Kaisererlasse haben. Im CTh sind etwa 400 Gesetzesauszüge aus diesem Zeitraum erhalten, dazu 34, die nur im CJ vorliegen, und neun aus anderen Quellen. Von diesen behandelt der Verfasser ca. 260. Dass diese Anzahl aber nichts mit der wirklichen zu tun hat, sondern der für uns nicht mehr durchschaubaren Arbeitsweise der Kompilatoren geschuldet ist, stellt der Verfasser klar heraus (35). Weniger klar ist allerdings sein Bemühen um den Begriff generalitas, der das ausschließliche Kriterium für die Aufnahme in den CTh gewesen sein soll (21). In CTh 1.1.5 heißt es aber: (constitutiones colligi decernimus) edictorum viribus aut (!) sacra generalitate subnixas. Unglücklich ist nach Meinung des Rezensenten auch die Kategorisierung der Kaisergesetze in "Direktiven", d.h. neues Recht setzend ohne Reaktion auf einen konkreten Fall, "Instruktion", d.h. affirmatives Reagieren durch Einschärfung bestehenden Rechtes, und "Disposition" als neues, weitergehendes Recht schaffend ausgehend von einem konkreten Einzelfall (32-34). Der Verlauf der Untersuchung zeigt, dass diese Kategorien unscharf sind und es viele Formen des "sowohl als auch" gibt (76; 92; 247; 263; 273; 276; 287; 298; 338; 340). Wichtiger ist da schon der Versuch, den jeweiligen Geltungsbereich des Originals zu eruieren, was dem Verfasser in den meisten Fällen sehr gut gelingt.
Die Arbeit gliedert sich in fünf Hauptkapitel mit zahlreichen Unterthemen: Kaiserdienst (militia: 37-115), Steuerwesen (117-187), Münzreform (189-230), Agrarpolitik (231-287) und Commoda urbis Romae (Versorgung Roms: 289-336). In einem Anhang wird die Gültigkeit der Gesetzgebung des West- und Ostreiches im jeweils anderen Teil geprüft: Beide Reichsteile waren gesetzgeberisch autonom (so schon Gaudemet) und kooperierten nur in Krisenzeiten oder bei wichtigen Entscheidungen. Diesem Ergebnis wird allerdings nicht immer deutlich Rechnung getragen. Es gibt keine eigene Würdigung des Valens.
In den allermeisten Fällen reagierte die Gesetzgebung Valentinians und war nicht das Ergebnis planvollen und innovativen Handelns, wie es die Literatur häufig darstellt. In anderen Fällen scheint sich aber ein durchaus eigenständiger Gestaltungswille zu zeigen, so vor allem bei der Münzreform, bei der Zuteilungsquote der Einkünfte für die Städte, bei der Reform der Versorgung von Limessoldaten, bei der Übertragung von Steuerliturgien auf officiales, und vielleicht auch beim defensor plebis und den Ärzten Roms.
Der wissenschaftliche Wert der vorliegenden Dissertation liegt vor allem in vielen bemerkenswerten Einzelbeobachtungen, die Thesen der bisherigen Forschung widerlegen oder zumindest fragwürdig machen. Um nur einige zu nennen: Bei der Bindung der Dekurionen an die Kurien stand nicht die Verhinderung von Mobilität im Vordergrund, sondern die Handlungsfähigkeit der kommunalen Ebene, so wie generell Standesbindungen zwar Mittel, aber nicht Zweck der Gesetzgebung waren. Es kann keine Rede von einer besonderen Bevorzugung des Militärs sein (103-115), auch nicht von einer Neuordnung der Ränge, wo es sich nur um Protokollfragen beim praefectus urbi Romae handelte (CTh 6.7.1; 6.9.1; 6.11.1; 6.14.1; 6.22.4). Der Versuch, aktive, ehemalige und Offizialen ehrenhalber für Steuerliturgien heranzuziehen, ist keineswegs als völlig gescheitert anzusehen, wenn es für eine Region (Kilikien: CTh 12.6.5) nicht klappte. Gerade der Rückgriff auf honorati ist keine Tendenz zu mehr Bürokratisierung und Zentralisierung (117-155). Ziel war die Entlastung der Kurialen, während das Verbot von Sporteln für technische Dienste beim cursus publicus (CTh 8.5.31; 11.10.2) die von den entsprechenden Liturgien Betroffenen entlasten sollte. CTh 10.19.5-7 und CJ 4.63.2 sind keine Hinweise auf eigenständige Wirtschaftspolitik, sondern auch hier war wieder die Erleichterung für den Steuerzahler vorrangig. Nützliche Überlegungen finden sich zur Emphyteuse (232-263). CTh 5.15.17 und 19 haben nichts mit der res privata zu tun (gegen Burdeau und Voci), sondern lassen sich neu interpretieren aufgrund der Unterscheidung von ius privatum salvo canone und ius privatum dempto canone. Bei der Pachtzahlung werden die Interessen von Pächtern und Fiskus durch den status quo ante zur Deckung gebracht. Die Viritanassignation von Veteranen (CTh 7.20.8) spiegelt nicht wirtschaftliche Intentionen wider. CJ 11.52.1 beschreibt nicht verschiedene Kolonen-Typen (276-280). Die Ehebestimmungen zwischen Freien und Sklaven bzw. Kolonen (CTh 14.7.1) sind keine wirkliche Statusminderung von Kolonen. Insgesamt betont der Verfasser mehr die "patronale Dimension" Valentinianischer Politik statt einer "Wirtschaftspolitik" (287).
Abschließend einige kritische Bemerkungen: Die (schwierigen) deutschen Übersetzungen der Erlasse sind i.d.R. zutreffend. In CTh 8,11,2 ist allerdings das duplum nicht übersetzt (47). Ultimo exitio subiugetur in CTh 11.11.1 muss nicht unbedingt die Todesstrafe meinen (49); CJ 11.55.2 wäre dann eine Präzisierung (perpetuum exilium) und keine Strafmilderung. Ut his locum praestent in CTh 6.14.1 (108) heißt vielleicht den "gleichen" Rang einräumen (statt einer Rangfolge "ex negativo")? Störend ist der inflationäre Gebrauch von "Korruption" (bes. 71-80, dazu Noethlichs, Beamtentum und Dienstvergehen 19, Anm. 99). Es wird nicht klar, ob der spätantike Staat "korrupt" war oder nicht (77 mit Anm. 121). Dabei weist der Verfasser einerseits auf strukturbedingte Ursachen hin, spricht aber andererseits bei Valentinians Anti-Korruptionsmaßnahmen von einem "dynamischen, systemverändernden Gestaltungswillen" (76) und von einer "konsequente(n) Verdichtung der Kontrollinstrumente im Kampf gegen die Korruption" (346). Unklar bleibt auch, ob der spätantike Staat ein "Zwangsstaat" war. Modernen Alternativen stellt der Verfasser aber doch ein relativ großes Zwangspotential bei der Standesbindung von Kurialen und Kohortalen gegenüber (80-83).72f, Anm. 110, 113 und 116 muss es CJ 1.55 (statt 11.55) heißen.
Diese Unklarheiten schmälern allerdings kaum den Gesamtwert des Buches, der, wie gesagt, in vielen nützlichen und weiterführenden Einzelerkenntnissen besteht und insgesamt Valentinian 'entzaubert'.
Für den CTh liegt eine wichtige, auf einem soliden philologischen Fundament gebaute historische Interpretation vor, die über die Gesetzgebung Valentinians I. hinaus Beispielcharakter für zukünftige ähnliche Forschungen haben wird.
Karl Leo Noethlichs