Gundula Grebner / Johannes Fried (Hgg.): Kulturtransfer und Hofgesellschaft im Mittelalter. Wissenskultur am sizilianischen und kastilischen Hof im 13. Jahrhundert (= Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel; Bd. 15), Berlin: Akademie Verlag 2008, 404 S., ISBN 978-3-05-004082-0, EUR 69,80
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Johannes Fried: Canossa. Entlarvung einer Legende. Eine Streitschrift, Berlin: Akademie Verlag 2012
Der Sammelband geht auf die vom Teilprojekt B2 "Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel: Der Königshof als Beispiel" im Rahmen des SFB 435 "Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel" im Oktober 2001 veranstaltete Tagung "Wissen an Höfen und Universitäten: Rezeption, Transformation, Innovation" zurück und zeichnet sich durch die Heterogenität dessen, was unter "Interkulturalität und Verwissenschaftlichung am Fürstenhof des Mittelalters" (Einleitung von Gundula Grebner, 7-11) subsumiert werden kann, und durch die Bandbreite der unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansätze aus.
Im Zentrum des Bandes steht ein dichter Block, welcher der Rezeption, Übertragung und Bearbeitung des Moamin, einer 1240/1241 von Theodor von Antiochien am Hof Friedrichs II. aus dem Arabischen übertragenen Falken- und Hundekunde, gewidmet ist: Anna Akasoy, Zu den arabischen Vorlagen des Moamin (147-156), rekonstruiert den Weg der arabischen Vorlage über die Hafsiden im heutigen Tunesien und verortet den Übertritt des Textes in den Kontakten, die der Kaiser 1240 zum Hof in Tunis pflegte. Die Kontroverse um das "Zweite Falkenbuch" Kaiser Friedrichs II., einen Liber de avibus et canibus, dessen Prachthandschrift aus dem Besitz Friedrichs II. der Mailänder Kaufmann Bottatius 1264/1265 Karl von Anjou zum Kauf anbietet, wird fortgesetzt: Gegen die aus philologischer Sicht formulierten Einwände von Martin-Dietrich Gleßgen und Baudouin Van den Abeele, Die Frage des "Zweiten Falkenbuchs" Friedrichs II. und die lateinische Tradition des Moamin (157-178), die in der von Bottatius beschriebenen Handschrift eine Kombination von Friedrichs "De arte venandi" und dem Moamin vermuten, argumentiert Johannes Fried, Die Handschrift des Guilielmus Bottatius aus Mailand (179-196). Seine Rekonstruktion des Manuskripts als Kompilation aus dem Moamin, Dancus, Guillelmus und dem Jagdbuch des Guicennas belegt er durch eine minutiöse Interpretation des Bottatius-Briefes; auch über die persönliche Beteiligung des Kaisers an den verschiedenen Fassungen des lateinischen Moamin bleibt die Diskussion offen (175f. und 195f. mit A. 71). Ergänzend löst Stefan Georges, Der staufische Anteil an der Moamin-Tradition (197-217), die Veränderungen und die Vervielfältigung im Umkreis Friedrichs II. aus der Überlieferungsgeschichte des Moamin.
Barbara Krause, Der altfranzösische Moamin. Überlegungen zum Verhältnis des Brüsseler und des Venezianer Manuskriptes (219-238), beschreibt zwei Handschriften des 14. Jahrhunderts und setzt sie in Beziehung zum Original der im Auftrag König Enzos in Bologna von Daniel von Cremona angefertigten altfranzösischen Übersetzung des Moamin bzw. deren Bearbeitungsstufen. Barbara Schlieben, Wissen am alfonsinischen Hof - Der kastilische Moamin als Beispiel für höfisches Wissen (331-350), geht von der Wissenschaftssystematik am Hof Alfons' X. aus und vergleicht die unterschiedliche Arbeitsweise bei der kastilischen und sizilianischen Moamin-Übersetzung. Martina Giese, Ut canes pulcherrimos habeas..., die kynologische Hauptvorlage von Albertus Magnus De animalibus (239-270), beschließt den Tierkunde-Block mit einer Studie zum in Bologna entstandenen, auf den lateinischen Moamin zurückgehenden Traktat des Simon Herbrant und dessen Überlieferung.
Die Enzyklopädik als höfische Wissensverarbeitung ist mit drei Studien aus dem Bereich des unedierten, vielfach noch unerforschten Liber introductorius des Michael Scotus vertreten: Silke Ackermann, Habent sua fata libelli - Michael Scot and the transmission of knowledge between the courts of Europe (273-284), stellt u.a. die Frage, wann und wo Scotus die Handschrift Madrid BN 19, Quelle für seinen Traktat de signis et imaginibus celi, benutzte. Gundula Grebner, Der Liber Nemroth, die Fragen Friedrichs II. an Michael Scotus und die Redaktionen des Liber particularis (285-298), liefert einen Beitrag zur Diskussion über das Verhältnis der verschiedenen Fassungen des Liber introductorius anhand des Fragenkatalogs Friedrichs II. Joseph Ziegler, The Beginnings of Medieval Physiognomy: The Case of Michael Scotus (299-319), arbeitet die Bedeutung des Liber physonomie, des dritten Teils des Liber introductorius, für die Profilierung der Physionomik als Wissenschaft heraus.
Auf den Herrscher Friederich II. fokussiert sind die Artikel von Ulrich Oevermann, Charismatisierung von Herrschaft und Geltungsquellen von Gerechtigkeit im Prooemium der Konstitutionen von Melfi (1231) des Kaisers Friedrich II. (43-98), der die von ihm entwickelte Methode der "objektiv hermeneutischen Sequenzanalyse" anhand des berühmten Textes vorführt; von Folker Reichert, Geografisches Wissen in der Umgebung Friedrichs II. (131-143), der Hinweise auf erdkundliches Interesse am Hof des Kaisers Revue passieren lässt, und von Joachim Poeschke, Der Herrscher als Autor. Zu den Miniaturen im Falkenbuch Kaiser Friedrichs II. (Cod. Pal. Lat. 1071) (99-129), der die Eingangsminiaturen der Falkner und Herrscher auf fol. 1 recto und verso der Prunkhandschrift in Beziehung zum Herrscherbild des Kaisers in Siegeln, Goldbullen und Kameen setzt.
Die "Höfe der iberischen Halbinsel" sind, neben der oben genannten vergleichenden Studie von Barbara Schlieben, vertreten durch Charles Burnett, Royal Patronage of the Translations from Arabic into Latin in the Iberian Peninsula (323-330), welcher den spärlichen Spuren königlicher Patronanz für Übersetzungen aus dem Arabischen ins Lateinische vor 1250 nachgeht, und Johannes Kabatek, Das Kastilische und der alfonsinische Hof: über Texttraditionen, Sprache und Geschichte (351-366), der die Übersetzungstätigkeit unter dem Blickwinkel von Diskurstraditionen und Sprachentwicklung behandelt.
Über die Bedeutung des höfischen Ambientes mit dem Thema des Bandes verbunden ist die Studie von Thomas Ricklin, De honore Aristotelis apud principes oder: Wie Aristoteles in die höfische Gesellschaft des 13. Jahrhunderts einzieht: Das Beispiel des Johannes von Wales (367-388), der den "höfischen Aristoteles" im Compendiloquium des Franziskaners Johannes von Wales (gestorben 1285) im Unterschied etwa zum ritterlichen Tutorenmodell in der Alexandreis des Walter von Châtillon herausarbeitet.
Noch lockerer mit der Thematik - es geht um die gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen - verknüpft ist schließlich der einleitende Beitrag von Israel Jacob Yuval, Das Jahr 1240: Das Ende eines jüdischen Millenniums (13-40), in welchem der Autor seine wiederholt vorgetragene Darlegung von der messianischen Erwartung 1240 als Faktor, der den Sinnzusammenhang unter anderem für Pogrome und Ritualmordanklagen, Talmud-Prozess und Auswanderung lieferte, einmal mehr ausbreitet.
Der Band bietet zu den Themen: Hof, Herrscherpersönlichkeit und Übersetzungen und Wissenschaften am Hofe (im Ausschnitt: Tierkunde, Astrologie, Enzyklopädik) für den Hof Friedrichs II., kontrastierend Alfons' X., aus unterschiedlichen Perspektiven Überblicke, Einblicke in Forschungswerkstätten und sich fortpflanzende Kontroversen und Detailstudien mit sehr konkreten Ergebnissen.
Andrea Sommerlechner