Heribert Müller / Johannes Helmrath (Hgg.): Die Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414-1418) und Basel (1431-1449). Institution und Personen (= Vorträge und Forschungen; Bd. LXVII), Ostfildern: Thorbecke 2007, 422 S., ISBN 978-3-7995-6867-8, EUR 59,00
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Das Zeitalter der großen Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts hat die Aufmerksamkeit der Historiker aus verschiedenen Gründen auf sich gezogen: zum einen waren es die deutlichen Beziehungen zu den Vorformen politischer Versammlungen und zu ständischer Repräsentation, zum anderen wurde in der konfessionellen Konkurrenz die Krise der mittelalterlichen Kirche verstärkt attraktiv durch das Bestreben, einer auf das päpstliche Amt fixierten katholischen Kritik die protestantische Suche nach vorreformatorischen Ansätzen entgegenzusetzen.
Der vorliegende Band, herausgegeben von zwei Historikern aus der Schule Erich Meuthens, die sich ihre wissenschaftlichen Sporen u.a. mit Arbeiten insbesondere zum Basler Konzil verdient haben [1], präsentiert die Referate einer Tagung des Konstanzer Arbeitskreises (vom Herbst 2004), die sich damit zum ersten Mal in der über sechzigjährigen Geschichte des Kreises ex officio den kirchlichen Großversammlungen des beginnenden 15. Jahrhunderts gewidmet hat. Zuvor hatte allein "Die Welt zur Zeit des Konstanzer Konzils" (1965), also der äußere Rahmen der Konstanzer Kirchenversammlung, einen Berichtband erbracht. [2] Das Ziel, in einem einzigen Band alle wichtigen Aspekte der Geschichte der Reformkonzilien zu behandeln, wie er in dem thematischen Aufriss von der forschungsgeschichtlichen "Einführung" durch die beiden Herausgeber (Heribert Müller/Johannes Helmrath, 9-29) angefangen bis zur nüchternen "Zusammenfassung" am Schluss (Werner Maleczek, 371-392) deutlich wird, ließ sich allerdings über die im Titel formulierte Eingrenzung auf "Personen und Institutionen" hinaus nur durch exemplarische Beschränkung der Aspekte auf jeweils eines der Konzilien erreichen. Nur die Dauer des Basler Konzils gewährte diesem eine etwas intensivere Behandlung. Die thematische Rundung der Themen wird also mit einem exemplarischen und damit vereinseitigenden Griff auf die verschiedenen Konzilien erkauft. Die Erfahrungen des Konzils von Pavia-Siena (1423) und des päpstlichen Konkurrenzkonzils zu Basel in Florenz-Rom (1437/1443) werden nicht ausdrücklich betrachtet; Wandlungen der Problemlage von Konstanz nach Basel werden nicht eigens markiert, auch wenn sie natürlich in einzelnen Beiträgen aufscheinen.
Im einzelnen liefern die Untersuchungen ein weiterführendes Bild der heutigen Forschungen zur Konzilszeit. Helmut G. Walther ("Konziliarismus als politische Theorie? Konzilsvorstellungen im 15. Jahrhundert zwischen Notlösungen und Kirchenmodellen", 31-60) geht intensiv auf die Traditionen konziliarer Konzepte ein, wobei er die Differenzen zwischen theologisch-ekklesiologischen und juristisch-kanonistischen Vorstellungen unterstreicht, die sich auf den Konzilien selbst in vielen Debatten ihrer Vertreter wiederholen sollten. Dieter Girgensohn ("Von der konziliaren Theorie des späteren Mittelalters zur Praxis: Pisa 1409", 61-94) gibt ein abgerundetes Porträt des kardinalizischen Pisaner Konzils, dessen Einberufung, Geschäftsordnung, Verhandlungen und Ergebnisse hier quellengesättigt vorgestellt werden. Thomas Rathmann ("Beobachtung ohne Beobachter? Der schwierige Umgang mit dem historischen Ereignis am Beispiel des Konstanzer Konzils", 95-106) greift auf seine Berliner Habilitationsschrift (1996/1997) zurück [3], wenn er als Literaturwissenschaftler das Verhältnis eines "Ereignisses" zu historischen "Quellen" klären will. Die "Darstellbarkeit des Gegenstandes" mit der "Ereignishaftigkeit des Konzils" in Bezug setzend, sieht er mit Arno Borsts Worten der Historie ein Dabeisein "durch die Überlieferung verstellt. Überlieferung läßt sich wiederbeleben, Vergangenheit nicht". Anhand der Konzilschronik des Ulrich Riechental prüft er, wie Berichterstatter und Berichtetes dem Historiker als "Texte" ein Ereignis insinuieren, das allein für sich nicht existiert habe.
Die Geschichtswissenschaft könne vergangenes Geschehens lediglich rekonstruieren, nicht aber abbilden, wie es allein den Teilnehmern an dem Großereignis möglich gewesen sei. (Hier vermisst man die berühmte Schilderung der Schlacht an der Beresina in Tolstois "Krieg und Frieden", die exakt dieses Problem zur Darstellung bringt). Ansgar Frenken ("Gelehrte auf dem Konzil. Fallstudien zur Bedeutung und Wirksamkeit der Universitätsangehörigen auf dem Konstanzer Konzil", 107-147) kann in seiner vorwiegend prosopographisch angelegten Studie sein Thema nur anreißen, zeichnet aber ein lebhaftes Bild, das die neuartige Bedeutung der Gelehrten für die Konzilsarbeit verdeutlicht, wie er auch Attraktion und Förderung des Konzils als unwiederbringliche Chance für die Universitätsleute klar werden lässt.
Das hätte (etwa nach den instruktiven Ergebnissen von Robert Gramsch [4]) bei Basel noch deutlicher ins Bild treten können. Der Konstanzer Versuch, das Gewicht der Gelehrten gewissermaßen institutionell zur Geltung zu bringen, indem alle Graduierten der Theologie und Kanonistik als facultas theologica oder congregatio theologorum gemeinsam Beschlüsse im Vorfeld bestimmter Entscheidungen fassten [5], wird von Frenken aber nicht erwähnt. Helmut Maurer ("Das Konstanzer Konzil als städtisches Ereignis", 149-173) bringt in seinem als öffentlichen Abendvortrag im Konstanzer "Kaufhaus" der Konstanzer Bürgerschaft präsentierten Bericht vor allem die Rolle der Bischofsstadt als Rahmen und Voraussetzung der Konzilsverhandlungen zur Geltung, wobei er der festlichen Prozessionen und liturgischen Begängnisse in der Stadt gedenkt, nicht aber der öffentlichen Hinrichtungen des Jan Hus (1415) oder Hieronymus von Prag (1416), die ebenso die städtische Bevölkerung auf die Beine gebracht haben. Claudius Sieber-Lehmann ("Basel und sein Konzil", 173-204 ) liefert das Basler Gegenstück dazu, jedoch stärker auf die wirtschaftlich-organisatorischen Probleme der Logistik und Versorgung achtend und auch die Rom-Mimesis bei öffentlichen Aufmärschen gebührend unterstreichend. Während hier die Konzilien in Nahsicht, aber gewissermaßen von außen präsentiert wurden, wendet sich Hans-Jörg Gilomen ("Bürokratie und Korporation am Basler Konzil. Strukturelle und prosopographische Aspekte", 205-255) den inneren Basler Strukturen zu: Verfassung, Geschäftsordnung, Organe, Arbeitsweise und Hinterlassenschaft an Geschäftsschriftgut. Damit wird erneut deutlich, wie sehr sich das Konzil als Nachahmer und Konkurrent der päpstlichen Kurie, ja auf Dauer als ihr Ersatz verstand, betätigte und so auch akzeptiert wurde. Dieser Einblick in das Innenleben des Konzils wird in Zukunft neben der weit gestreuten sonstigen Forschung seinen Wert behalten. [6] Thomas Prügl ("Modelle konziliarer Kontroverstheologie. Johannes von Ragusa und Johannes von Torquemada", 257-287) greift als Beispiel theologischer Kontroversen das für das Konzil zentrale Thema der Ekklesiologie auf und führt in scharfsichtiger Kontrapunktik die Positionen des schon in Konstanz konziliar denkenden Theologen Johannes von Ragusa und die des später mit seiner "Summa de ecclesia" für lange Zeit nachhaltig einflussreichen Juan de Torquemada vor Augen. Petra Weigel ("Reform als Paradigma Konzilien und Bettelorden", 289-335) widmet sich der Kirchenreform an einem Ausschnitt der konziliaren Debatten, der vielfach geforderten Reform der Mendikantenorden. Damit erreicht sie jedoch nicht die gesamte Breite der Basler Reformdiskussionen. Götz-Rüdiger Tewes ("Kirchliche Ideale und nationale Realitäten. Zur Rezeption der Basler Konzilsdekrete in vergleichender europäischer Perspektive", 337-370) fragt schließlich nach den Wirkungen, die die nach jahrelangen Anstrengungen als Dekrete erreichten Ergebnisse der konziliaren Kämpfe in verschiedenen Ländern der Christenheit erzielen konnten. Die Unterschiede in unmittelbarer und mittelbarer Rezeption, die Gezeiten ausdrücklicher und unausdrücklicher Bezugnahme auf die Basler Reformdekrete in Europa können freilich nur die wörtlichen Übernahmen (oder Nichtübernahmen) von Textpassagen heranziehen und nicht das allgemeine Meinungsklima wiedergeben, in das hinein die Dekrete wirkten. Dass selbst an der Kurie Reformthemen der Basler noch lange nach dem Ende des Konzils in den Wahlkapitulationen vor der Papstwahl unverkennbar auftauchten (wie Jürgen Dendorfer in seiner noch unveröffentlichten Münchener Habilitationsschrift 2008 gezeigt hat [7]), würde man zunächst gar nicht vermuten. Hier wird ein großes Thema angeschlagen, das sicherlich noch vieler Differenzierungen fähig ist.
Der vorliegende Band wird als gelungene Sammlung exemplarischer Untersuchungen und als derzeit geschlossenste Präsentation eines gerundeten Bildes der großen Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts seine Leser reichlich entschädigen. Dass die Kirchenreform, die doch so sichtbar seit der Schisma-Zeit im Vordergrund zeitgenössischer Debatten stand, hier deutlich eine Hintergrundmusik bildet, ist vielleicht auch für unsere eigene gegenwärtige Situation nicht untypisch, in der man schon des Wortes "Reform" leicht überdrüssig sein mag.
Anmerkungen:
[1] Johannes Helmrath: Das Basler Konzil 1431-1449. Forschungsstand und Probleme (Kölner historische Abhandlungen; 32), Köln 1987; Heribert Müller: Die Franzosen. Frankreich und das Basler Konzil, (Konziliengeschichte, Bd. 1), Paderborn/Wien/Zürich 1990.
[2] Die Welt zur Zeit des Konstanzer Konzils (Vorträge und Forschungen 9), Konstanz/Stuttgart 1965.
[3] Thomas Rathmann: Geschehen und Geschichten des Konstanzer Konzils. Chroniken, Briefe, Lieder und Sprüche als Konstitutienten eines Ereignisses (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur; 20), München 2000.
[4] Robert Gramsch: Erfurter Juristen im Spätmittelalter. Die Karrieremuster und Tätigkeitsfelder einer gelehrten Elite des 14. und 15. Jahrhunderts, (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance; 17), Leiden/Boston 2003, 389 ff.
[5] Dazu Walter Brandmüller: Das Konzil von Konstanz, Bd. 1, Paderborn/München 1991, 391.
[6] Zur Alltagsarbeit des Konzils ausführlich jetzt auch Stefan Sudmann: Das Basler Konzil. Synodale Praxis zwischen Routine und Revolution (Tradition - Reform - Innovation, Studien zur Modernität des Mittelalters; 8), Frankfurt am Main 2005.
[7] Jürgen Dendorfer: Zwischen Konzil und Papst. Zur Legitimation des Kardinalats in der Frührenaissance (ca. 1450-1475), München 2008.
Jürgen Miethke