Jan Philipp Spannuth: Rückerstattung Ost. Der Umgang der DDR mit dem "arisierten" Eigentum der Juden und die Rückerstattung im wiedervereinigten Deutschland, Essen: Klartext 2007, 255 S., ISBN 978-3-89861-656-0, EUR 27,90
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Die Frage nach der Rückerstattung "arisierter" Vermögenswerte in der SBZ/DDR ist mit der Wiedervereinigung 1989/90 erneut aktuell geworden: Wie waren die sowjetischen Besatzungsbehörden und später die Regierung der DDR mit dem von den Nationalsozialisten entzogenen Vermögen umgegangen? Waren die vormaligen jüdischen Besitzer erneut in ihre Rechte eingesetzt worden? Und wie hat die Bundesregierung auf die Reaktualisierung dieser Ansprüche nach 1989/90 reagiert?
In seiner sorgfältig recherchierten Freiburger Dissertation ist Jan Philipp Spannuth diesen Fragen nachgegangen. Während die zeithistorische Forschung die westdeutsche Wiedergutmachung vielfältig thematisiert hat [1], verweist Spannuth in seiner lesenswerten Überblicksdarstellung einleitend auf den defizitären Forschungsstand zur "Rückerstattung Ost". Die Annahme, dass vieles anders, genauer: schlechter gewesen sei als in den westlichen Besatzungszonen, stand ganz offensichtlich am Beginn seiner Forschungen. Im Ergebnis haben die Recherchen in Bundes- und Landesarchiven, im Besonderen die Bestände der "Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR" diesen Befund bestätigt: "Auch in der sowjetischen Besatzungszone fand eine teilweise öffentlich geführte Diskussion um die Frage der Rückerstattung statt. [...] Zu einer umfassenden Rückerstattung 'arisierten' Eigentums an die jüdischen Vorbesitzer kam es in der SBZ und später der DDR jedoch nie", stellt der Autor bereits auf der ersten Seite klar (7). Die geraubten Vermögenswerte seien im Besitz des Staates, vielfach sogar im Besitz privater Profiteure geblieben.
Wie ein Staat, der sich explizit als Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Unrechtsregime verstanden wissen wollte, diese Entscheidung politisch und moralisch gerechtfertigt hat, ist folglich die zentrale Frage dieser Studie zur "Rückerstattung Ost" in den Jahren 1945 bis 2000. Obwohl die sowjetischen Reparationsforderungen von Anfang an in Konkurrenz standen zu den Restitutionsansprüchen der NS-Verfolgten, kann Spannuth schlüssig nachweisen, dass die Verantwortung für die restriktive Rückerstattungspraxis nicht die Besatzungsmacht alleine trug. Dass diese in der unmittelbaren Nachkriegszeit in ihrem Machtbereich in Bezug auf die Rückerstattung kaum rechtliche Vorgaben erlassen hatte, gehört zu den überraschenden Ergebnissen dieser Studie. Die Position der Sowjetunion muss nach Spannuths Studie zumindest für die ersten Jahre nach dem Krieg als unentschieden bezeichnet werden.
Es sei vielmehr die Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) gewesen, welche sich von Anfang an strikt allen Forderungen nach Restitution verweigert habe. Auf der Grundlage behördlicher Schriftwechsel und anhand konkreter Fallbeispiele führt Spannuth den Nachweis, dass Forderungen jüdischer Emigranten nach Rückgabe ihrer Häuser und Betriebe mit Verweis auf das Fehlen völkerrechtlicher Abkommen durchweg abschlägig und mithilfe festgelegter Textbausteine beantwortet wurden. Lediglich den Forderungen von in der DDR lebenden jüdischen Eigentümern, welche auf den Grundbuchämtern persönlich vorgesprochen hatten, sei vor 1950 vereinzelt stattgegeben worden. In der Folge habe das Justizministerium mit einer Rundverfügung klargestellt, dass die Regierung der DDR auch jene Vermögenswerte zu behalten gedenke, die sich der NS-Staat in unrechtmäßiger Weise angeeignet hatte (96).
Für Reichsvermögen aus jüdischer Hand ergingen in den folgenden Jahren keine Regelungen, die fehlenden Rückerstattungsgesetze mussten vielfach als Begründung für die Beibehaltung des Status quo herhalten. Die Kosten für den Aufbau des Sozialismus in der DDR, die umfassenden Reparationsleistungen an die Sowjetunion und eine aktive Fürsorgepolitik für NS-Opfer mochten nach Auffassung der DDR-Führung, die an einer Wiederherstellung privater Eigentumsverhältnisse nicht interessiert sein konnte, diese Entscheidung rechtfertigen. Dass die Handlungsmaximen der damaligen DDR-Führung einen berechtigten Eigensinn gehabt haben mögen, bestreitet Spannuth. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die unterlassene Rückerstattung am Willen der von den NS-Enteignungen Betroffenen vollständig vorbeigegangen sei: "Diese wollten keine soziale Fürsorge, sondern sie wollten ihr Eigentum zurück." (236)
Schwerer noch wiegt der Vorwurf des Antisemitismus, der Spannuth in den untersuchten Beständen entgegengetreten ist: "Die untersuchten Quellen machen deutlich, dass die SED deshalb nicht bereit war, den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus ihr Eigentum zurückzuerstatten, weil sie in ihnen primär die bürgerlichen Klassengegner, die Vertreter des Kapitalismus sah." (237) Spannuth kann aber auch aufzeigen, dass dieser Kurs nicht unwidersprochen blieb. Hier folgt er den Studien von Angelika Timm und Mario Kessler und verweist erneut auf das prominente Beispiel Paul Merkers, Mitglied des Politbüros und prominenter Befürworter einer Rückerstattungspolitik. Der Fall Merker habe gezeigt, wie gefährlich es bereits ab 1948 war, sich in der DDR offen für jüdische Belange einzusetzen: Nach der Enthebung aus allen Ämtern im Jahr 1950 wurde Merker im Dezember 1952 festgenommen und erst vier Jahre später aus dem Gefängnis entlassen.
Nach der Wiedervereinigung ist die westdeutsche Restitutionsgesetzgebung auf die neuen Bundesländer übertragen worden. Während Constantin Goschler die erfahrungsgeschichtliche Dimension des Problems bereits vor einigen Jahren in den Blick genommen und aufgezeigt hat, dass die ostdeutsche Bevölkerung vielfach mit Unverständnis auf die Wiederbelebung früherer jüdischer Eigentumstitel reagiert hat [2], analysiert Spannuth die politischen Verhandlungen um die Rückerstattung im Rahmen des Einigungsvertrags. Erstmals unternimmt er darüber hinaus den Versuch einer Zahlenbilanz. Er selbst räumt ein, dass dieser aufgrund der schwierigen Quellenlage vorläufig bleiben muss. Schätzungsweise 135.000 Anträge hätten aus den fünf ostdeutschen Bundesländern nach 1989 vorgelegen, es habe sich folglich um einen "quantitativ erheblichen Gegenstand" gehandelt (239).
Dass dieses späte Kapitel der "Rückerstattung Ost" nach Ansicht des Autors weitgehend ohne Konflikte verlaufen ist, begründet Spannuth in erster Linie mit dem in einem halben Jahrhundert angesammelten Erfahrungswissen der Behörden und Gerichte: "Inhalt und Ziel sowie die Mechanismen der Wiedergutmachung waren in der Bundesrepublik bekannt und erprobt und konnten auf die östlichen Bundesländer übertragen werden. Zum zweiten fanden die Ämter und Gerichte ein bereits bestelltes Feld von Grundsatzentscheidungen vor." Es gehört zu den Stärken dieser Studie, in Fallstudien den Nachweis zu führen, dass diese Entscheidungen im Einzelfall bei den Betroffenen dennoch zu Irritationen führen konnten. Und es muss späteren Forschungen vorbehalten bleiben, diesen Konflikten nachzuspüren, welche die divergierenden Narrative des westlichen, des östlichen und des ganzen Deutschland noch einmal zentral zusammenführten.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Constantin Goschler / Jürgen Lillteicher (Hgg.): 'Arisierung' und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989, Göttingen 2002.
[2] Vgl. Constantin Goschler: Zwei Wege der Wiedergutmachung? Der Umgang mit NS-Verfolgten in West- und Ostdeutschland im Vergleich, in: Nach der Verfolgung. Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in Deutschland?, hg. von Hans Günter Hockerts / Christiane Kuller, Göttingen 2003, 115-137.
Claudia Moisel