Rudolf Leopold / Gerd Pichler (Hgg.): Koloman Moser 1868-1918, München: Prestel 2007, 464 S., 500 Abb., ISBN 978-3-7913-3868-2, EUR 65,00
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"Künstlerisch schaffen, heißt künstlerische Erlebnisse haben." [1]
Die vielseitige künstlerische Begabung Koloman Mosers wurde schon früh von seinen Zeitgenossen bewundert. Vielleicht am prägnantesten hat es der Kritiker Hermann Bahr formuliert, der neben Berta Zuckerkandl eifrigste Vorkämpfer für die Wiener Secession und Moderne der Jahrhundertwende, als er Moser mit dem Etikett des "Tausendkünstlers" versah. [2] Zu Recht, wie der vorliegende, prächtige Sammelband zeigt, welcher außer dem Namen des Künstlers nur dessen Geburts- und Sterbejahr im Titel führt und einen um den Forschungsstand aktualisierten Überblick über das umfangreiche Lebenswerk Mosers zu bieten verspricht.
Doch das kunsthistorische Problem, das aus dieser Vielseitigkeit erwächst, stellt sich bei dem Versuch einer gesamthaften Betrachtung und Würdigung des Werkes. Die Herausgeber begegnen dieser Frage durch die Unterteilung in sieben Kapitel (plus Anhang): "Die frühen Jahre", "Der Secessionist", "Wiener Werkstätte", "Für Kirche und Staat", "Malerei", "Der Bühnenkünstler" und "Biographie und Familie". Dabei überlagern sich eine chronologische Perspektive mit der Einzelbetrachtung der verschiedenen Gattungen, Medien und Objekte. Das erklärt sich zum Teil daraus, dass die von dem Stifter und Sammler Rudolf Leopold und dem jungen Kunsthistoriker Gerd Pichler herausgegebene Publikation zugleich als Katalog zur Gesamtschau diente, welche vom 25. Mai bis 10. September 2007 im Leopold Museum Wien ausgestellt war, in dem sich auch der umfangreichste Bestand der Gemälde Kolo Mosers befindet. Zudem kann man bei dem Künstler grob konsekutive Phasen unterscheiden, in denen ein Thema oder Genre über andere künstlerische Praktiken dominiert. Trotzdem aber scheint sich das Wesentliche bei Moser gerade in der Fülle, in der Einheit aus dem Mannigfaltigen, in der gleichzeitigen Durchführung und Wechselwirkung eines Gedankens oder Motivs in verschiedenen Materialien, Techniken und Kontexten zu verbergen.
Deshalb haftet der Unterteilung in Kapitel, welche sich wiederum aus kurzen, reich illustrierten Beiträgen ausgewiesener Moser-Kenner zusammensetzen (die bereits an anderer Stelle zu dessen Leben und Werk, oder zu den damit verbundenen Themen, wie beispielsweise zu Secession, "Ver Sacrum" oder zur Wiener Werkstätte publiziert haben), etwas Fragmentarisches an. Zwar vermögen die vertiefenden Einzeltexte detailreich den Forschungsstand zu reflektieren und in Einzelfragen neue Erkenntnisse zutage zu fördern, wie beispielsweise Gerd Pichlers überzeugende Identifikation der anonym gebliebenen Auftraggeber für Mosers "Wohnung für ein junges Paar" mit Gerta und Hans Eisler von Terramare (174-201), oder sein plausibler Hinweis auf die Autorenschaft Mosers für ein bisher Georg Kargl zugeschriebenes Glasfenster mit Doppeladler (274). Jedoch vermisst man eine übergreifende und verbindende These des Buches - was beispielsweise das Herausragende an Mosers künstlerischem Werk gewesen sei, um ihn neben Gustav Klimt zu stellen. Zudem bleiben die Quervergleiche zu anderen Zeitgenossen Mosers blass, speziell zu Josef Hoffmann, aber auch zu Otto Wagner, Joseph Maria Olbrich, Carl Moll oder zu Kritikern wie Adolf Loos. Es versteht sich, dass sich die Ausstellung auf eine reine Werkschau konzentrierte, aber hier hätte der Katalog die Möglichkeit geboten, über die namentliche Referenz hinaus Parallelen und Unterschiede innerhalb der Wiener Entwicklung der Jahrhundertwende und zu anderen Secessionsbewegungen aufzuzeigen und vergleichend etwa August Endell, Otto Eckmann, Bruno Paul, Henry van de Velde, Charles Rennie Mackintosh oder Edward Gordon Craig, um nicht zu sagen William Morris, hinzuzuziehen. Eine Ausnahme bildet der Beitrag von Elisabeth Schmuttermeier über die Schmuckentwürfe für die Wiener Werkstätte (222-228) oder auch Dunja Schneiders Text über die Entwürfe für die Heilig Geist Kirche in Düsseldorf (266-273), denen es jeweils einsichtig gelingt, Mosers Werk vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund zu kontextualisieren.
Die Abbildungen sind zahlreich, plausibel mit den Texten vernetzt und von guter Qualität, lediglich bleiben die Tunkpapierarbeiten Mosers im Unklaren (Kapitel III), die zwar mit zahlreichen Abbildungen vertreten sind, ohne aber im Text näher besprochen zu werden. Eine willkommene Zugabe stellt der Beitrag über das künstlerische Werk von Mosers Frau Ditha dar, die als geborene Mautner von Markhof einer reichen Bierbrauerfamilie entstammte und als Schülerin von Josef Hoffmann durch die Wiener reformierte Kunstgewerbeausbildung ging, wie ihre Arbeiten unzweifelhaft darlegen.
Eine gewisse Schlüsselposition nimmt das Kapitel V zu Kolo Moser als Maler ein: Hier handelt es sich um eine Revision der letzten Jahre und Jahrzehnte, seinen Beitrag als eigenständigen Weg innerhalb der Strömung der modernen Malerei anzuerkennen und aus dem Schatten Ferdinand Hodlers herauszuholen. Signifikanterweise sucht die Autorin Maria Rennhofer, die zuletzt selbst eine Mosermonografie veröffentlicht hatte [3], hier auch den direkten Vergleich mit Arbeiten Hodlers, dem entscheidender Einfluss auf Moser zugesprochen wird. Die Autorin vermag überzeugend die Parallelen und Unterschiede der beiden Maler herauszuarbeiten, doch weist ihr Argument für eine im Vergleich mit dem Naturalismus Hodlers zunehmende "zukunftsgerichtete" Abstraktion Mosers, ohne jedoch zu einem "innovativen Durchbruch" der reinen Komposition aus Farbe und Form zu gelangen, teleologische Züge auf. Moser wird so als ein "Suchender", aber letztlich am Maßstab der formalen Avantgarde à la Clement Greenberg "Gescheiterter" skizziert, was den Blick auf den Einzelwert der Gemälde als Porträts, Stillleben, Landschaften oder symbolische Kompositionen zu verstellen droht. Die angedeutete Beschäftigung Mosers mit Goethes Farbenlehre oder andere kontextuelle Hinweise versprechen eine fruchtbarere Interpretation des Werkes vor dem Hintergrund der Wiener Moderne.
Ob Moser durch diese erste Einzelschau seit 1979 [4] auch wirklich als Maler neben Klimt, Schiele und Kokoschka in den Olymp der Wiener Moderne aufsteigt, wie vom Direktor des Leopold Museums Peter Weinhäupl im Vorwort anspielungsreich erhofft [5], bleibt bis dahin abzuwarten.
Anmerkungen:
[1] Kolo Moser: "Mein Werdegang", in: Velhagen & Klasings Monatshefte 31/2 (1916), 254-262, wieder abgedruckt im vorliegenden Band 14-19, hier 19.
[2] Hermann Bahr: Secession, Wien 1900, 184.
[3] Maria Rennhofer: Koloman Moser. Leben und Werk 1868-1918, Wien 2002.
[4] Oswald Oberhuber (Hg.): Koloman Moser 1868-1918, Wien 1979 (Katalog 18. Mai - 15. Juli 1979).
[5] Réunion des Musées nationaux (Hg.): Vienne 1900. Klimt, Schiele, Moser, Kokoschka, Exposition de Galeries nationales du Grand Palais, 3. Oktober 2005 - 23. Januar 2006, kuratiert von Serge Lemoine, Marie-Amelie zu Salm-Salm, Paris 2005.
Ole W. Fischer