Rezension über:

Philipp Nordloh: Kölner Zunftprozesse vor dem Reichskammergericht (= Rechtshistorische Reihe; Bd. 370), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2008, 271 S., ISBN 978-3-631-58059-2, EUR 45,50
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Rezension von:
Gernot Sydow
Institut für Öffentliches Recht, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg / Bischöfliches Ordinariat, Limburg
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Gernot Sydow: Rezension von: Philipp Nordloh: Kölner Zunftprozesse vor dem Reichskammergericht, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 6 [15.06.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/06/15071.html


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Philipp Nordloh: Kölner Zunftprozesse vor dem Reichskammergericht

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Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs hat einer breiteren Öffentlichkeit den historischen Wert der dort verwahrten Archivalien vor Augen geführt. Zu ihnen gehört seit der Dezentralisierung des preußischen Aktenbestandes auch ein Bestand an Reichskammergerichtsakten. Philipp Nordloh hat für seine Münsteraner Dissertation unter Betreuung von Peter Oestmann aus diesem Bestand 20 Prozessakten ausgewertet, die in unterschiedlichen Konstellationen Kölner Zunftprozesse betreffen: Konkurrentenklagen zwischen verschiedenen Zünften, zunftinterne Konkurrenz und die Bekämpfung unzünftiger Konkurrenz.

Große Teile der Arbeit sind einer detaillierten Nachzeichnung dieser Verfahren gewidmet, soweit sie sich aus den Akten erschließen lassen: Prozessverlauf und Argumentation der Parteien werden ausführlich referiert, oft auch mit längeren Zitaten belegt, die nicht selten anschließend paraphrasierend wiederholt werden. Immer wieder sind erklärende Passagen eingefügt, die die Bedeutung eines Schriftsatzes prozessual einordnen und damit die rechtliche Argumentation auch für Leser nachvollziehbar machen, die mit Einzelheiten des gerichtlichen Verfahrens vor dem Reichskammergericht nicht vertraut sind. So wird die Studie auch zu einer induktiven Einführung in das kammergerichtliche Verfahren.

Die Schilderungen der einzelnen Prozesse sind interessant zu lesen, anschaulich dargestellt und beruhen auf einer gründlichen und - soweit erkennbar - verlässlichen Aktenauswertung. Konkrete Probleme und Lebenssituationen werden auf diese Weise lebendig. Die Arbeit ist spannend zu lesen - ein echtes Lob für eine wissenschaftliche Arbeit. Wie die Weißgerber ihr exklusives Recht zum Wollpflücken begründeten, wer kupferne Ölgefäße herstellen durfte, warum Caspar Schneider nicht in die Malerzunft aufgenommen wurde oder ob der Weinhändler seine Weinfässer bereifen durfte - all dies lässt sich nicht in einer Rezension nacherzählen. Wer sich nicht selbst zu den Ruinen des Kölner Stadtarchivs aufmachen möchte, der findet hierfür in der Studie von Nordloh eine gewinnbringende Lektüre.

Wünschenswert wäre indes eine gründlichere Literaturauswertung gewesen. So belegt Nordloh bei der einleitenden Darlegung des Forschungsstandes das aus seiner Sicht bis heute gängige Urteil über das Zunftwesen als dirigistisch und fortschrittsfeindlich mit vier Belegen aus Werken, die 1862, 1917, 1920 und 1948 erschienen sind (17, Fußnote 10). Eine neuere und profunde Arbeit wie die von Ziekow über Freiheit und Bindung des Gewerbes bleibt unerwähnt und unausgewertet. Nicht recht nachvollziehbar ist auch, weshalb Nordloh für die Abgrenzung von Polizei- und Justizsachen mehrfach eine Untersuchung von Carl Joseph Anton Mittermaier, noch dazu in einer späten Auflage von 1847 anführt. Mittermaier hat sicherlich für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts führende Untersuchungen des Prozessrechts vorgelegt. Die Heranziehung dieser Studie hätte aber zumindest die nicht ohne weiteres zu bejahende Frage nahelegen müssen, ob die von Mittermaier herausgearbeiteten Abgrenzungstopoi bereits im 18. Jahrhundert Geltung beanspruchten.

Diesen Diskussionen über die Abgrenzung von Polizei- und Justizsachen scheint Nordloh insgesamt etwas verständnislos gegenüber zu stehen. Dass er in den Schriftsätzen der Parteien verallgemeinerungsfähige Definitionen beider Begriffe vermisst, war sicher kein taktischer Schachzug der Parteien, um auf diese Weise zu vermeiden, die Ansicht der Richter zu verfehlen (so aber 251). Man kann auch kaum die bisherige Forschung hierzu pauschal als unbefriedigend bezeichnen mit der Behauptung, sie könne nicht plausibel erklären, warum dieser Unterscheidung eine derart große Aufmerksamkeit geschenkt worden sei (249). Das Fehlen einer verallgemeinerungsfähigen Definition und die hohe Aufmerksamkeit für die Abgrenzung erschließen sich durch die Überlegung, dass mit Hilfe dieses Begriffspaares ein höchst diffiziler politischer Grundsatzkonflikt über Ausübung und Kontrolle von Herrschaftsgewalt auf einen Begriff gebracht war. Dies ermöglichte eine rechtswissenschaftliche Diskussion der zu Grunde liegenden Fragen. Eine solche terminologische Einigung ist daher einer erhebliche Leistung, aber nicht die Lösung der Sachprobleme.

Die übergreifenden Ergebnisse der Untersuchung sind dünn: Nach fast 200 Seiten detaillierter Schilderung einzelner Prozesse folgen gut acht Seiten eines Resümees, das keines ist und treffend schlicht "Schluss" genannt wird. Dieser "Schluss" stützt sich für die wenigen, substanzlosen Aussagen zur Zunftverfassung allein auf die schon eingangs herangezogene Schrift von 1862, ergänzt um einen Aufsatz aus einem (offenbar herausgeberlosen) Heft 26 von "Geschichte in Köln", das als lokalgeschichtliches Heftchen an Hand der Angaben des Literaturverzeichnisses nicht nachweisbar ist. Ein solches Resümee ist schon nach der Anlage der Studie von Nordloh zu wenig: Wer eingangs einen Forschungsstand skizziert, nach dem die Zunftverfassung dirigistisch und innovationsfeindlich gewesen sei, muss am Ende eine Aussage darüber treffen, was die eigenen, gründlichen Archivstudien zur Modifikation, Bestätigung und Überwindung dieses Forschungsstandes beigetragen haben.

So hinterlässt die Studie den Eindruck, hier habe sich ein Doktorand monate-, wenn nicht jahrelang verdienstvoll im Archiv vergraben und über dieser Kärrnerarbeit vergessen, dass er irgendwann das Gelesene an Hand übergreifender Fragestellungen auch auswerten und in größere Kontexte einordnen muss, wenn es mehr sein soll als eine gute, verlässliche, interessant zu lesende Aneinanderreihung von Einzelschilderungen. Schade, dass diese Chance vertan wurde.

Gernot Sydow