Pepa Castillo / Silke Knippschild / Marta García Morcillo (eds.): Imagines. La antiguedad en las artes escénicas y visuales, Logroño: Universidad de la Rioja 2008, 798 S., ISBN 978-84-96487-32-1, EUR 33,65
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Antikenrezeption ist en vogue. Oder anders formuliert: Seit den Neunzigerjahren kommt es in Spanien verstärkt zu einer Auseinandersetzung mit der Rezeption und Instrumentalisierung von Antike in der Moderne. Das betrifft zum einen den Bereich der Wissenschaftsgeschichte, also die Institutionalisierung der Altertumswissenschaften insbesondere unter den Bedingungen der Diktatur [1], und zum anderen die jeweilige Gegenwart: Wer argumentierte in welchem Kontext und zu welchem Zwecke mit "Antike"? [2] Dieses Spektrum von Untersuchungen ergänzt nun der vorliegende Band, der aus einer internationalen Tagung hervorgegangen ist, die im Jahre 2007 an der Universidad de la Rioja stattfand. Er versammelt auf insgesamt 800 Seiten 49 Beiträge, in denen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler spanischer, französischer, italienischer, englischer, amerikanischer und deutscher Provenienz der Antikenrezeption im Bereich der szenischen und visuellen Künste widmen. Dieser Schwerpunktsetzung folgend ist der Band zweigeteilt: unter der Überschrift "La Antigüedad en las Artes Escénicas" stehen Theater, Oper und Kino im Mittelpunkt; der zweite Teil "La Antigüedad en las Artes Visuales" thematisiert Architektur, Skulptur und Malerei sowie Comic, Werbung und Design. Ein weiterer Abschnitt zum didaktisch wertvollen Umgang mit der Antike beschließt den Band ("El Uso Didáctico del Legado Clásico"). Dem allgemein gehaltenen Titel entsprechend ist das Themenspektrum also sehr weit gefasst und da der Band weder eine Einführung noch eine Zusammenfassung bietet, stehen die Texte grosso modo beziehungslos nebeneinander. Der Bogen reicht geografisch vom alten Griechenland und Rom bis nach Nueva Granada und Japan, thematisch von Zorrilla über Asterix bis zur Gattung der "Mangas" oder der Marmeladenmarke "Helios". Da der Klappentext als Zielsetzung der Tagung aber allein eine "positivistische Bestandsaufnahme" nennt, lautete die Frage wohl zunächst auch nur, was denn in den einzelnen Bereichen rezipiert worden sei: Die Form und insbesondere die Funktion dieses Transformationsprozesses geraten nur vereinzelt in den Blick.
So zeigt Ricardo del Molino am Beispiel des Theaters in der Ersten Republik in Kolumbien (Patria Boba, 1810-1816) auf, dass die Antike allein von der sozialen Gruppierung als Argument benutzt wurde, die die Unabhängigkeitsbewegung anführte (La Antigüedad Clásica en la Nueva Granada: teatro revolucionario e iconografía republicana, 69-82). Indem man sich vorzugsweise auf das republikanische Rom bezog, konnte man die indigene Vergangenheit ausblenden; sie wurde erst dann wieder aktiviert, wenn die Elite der Mehrheit bedurfte. Francisca Feraudi-Gruénais beschäftigt sich mit den Inschriften in den Werken des niederländischen Malers und Zeichners Lawrence Alma-Tadema (L.A.T: L(awrence) A(lma) T(adema) und die Transformation antiker Inschriften oder: Wie funktioniert(e) "Antike-Rezeption"? 491-514). Sie betont ihre detailgenaue und realitätsnahe Darstellungsweise - und hinterfragt die Originaltreue. Dabei zeigt sich, dass es sich durchgehend um Ausschnitte von Inschriften handelt; durch die partielle Darstellung nahm der Künstler also bewusst Einschränkungen und Gewichtungen vor. Offensichtlich interessierte ihn - vielleicht mit Blick auf seine Käuferschaft - die Imagination eines "antikischen Lebensgefühls" mehr als dessen Rekonstruktion; der Beitrag berührt mithin eine der essentiellen Fragen nach der Funktion von Kunst in der Gesellschaft. Javier Andreu untersucht exemplarisch Stadtwappen im heutigen Navarra und kann wahrscheinlich machen, dass die Gemeinden Liédana, Bertizarana, Cascante, Valle de Lana und Lodosa in dem Moment archäologische oder epigrafische Zeugnisse in ihre Wappen integrierten, in dem sie eine Privilegierung ihres Status erfuhren (La Antigüedad como argumento: su uso en la heráldica municipal de Navarra, 579-588). Ende des 17. bzw. Anfang des 18. Jahrhunderts nahm man "Antike" also auf der Ebene städtischer Selbstdarstellung bereits ebenso für die Legitimierung der Gegenwart in Anspruch wie zwei Jahrhunderte später auf parteipolitischer Ebene: Marta García Morcillo zeigt am Beispiel von Plakaten aus dem Spanischen Bürgerkrieg, wie sowohl die Falange als auch die Republikaner auf Symbole und Allegorien aus der Antike rekurrierten (La Antigüedad Clásica en el cartel político contemporáneo: de la Europa decimonónica a la Guerra Civil española, 591-614). Beide Seiten bedienten sich des Merkurstabes oder der Personifikation "Hispania" und damit der gleichen Formen, um diametral unterschiedliche Inhalte zu kommunizieren. Schließlich fragt Miguel Ángel Novillo nach den Beweggründen von René Goscinny und Albert Uderzo bei der Gestaltung des 1969 erschienenen Heftes von "Asterix in Spanien" (Astérix en Hispania: realidad histórica o realidad caricaturizada, 659-671). Hier dient die Antike als Möglichkeit, das zeitgenössische Franco-Spanien humorvoll in den Blick zu nehmen: den Bau der Autobahnen ebenso wie die Anfänge des Tourismus, Stierkampf und Fiesta.
Die beispielhaft herausgegriffenen Beiträge lassen das Potenzial der Thematik deutlich werden: Antikenrezeption ist das Resultat aktueller Diskussionen in den jeweiligen Gesellschaften; sie reflektiert eine Gegenwart, die in diesem Medium auf politische Befindlichkeiten und Problemlagen reagiert. Wenn die Altertumswissenschaften - als Teil der Geschichtswissenschaften - also weiterhin als eine politische Wissenschaft verstanden werden wollen, sollte der Bestandsaufnahme generell die Reflektion folgen. Die Zeiten der Antiquare sind passé.
Anmerkungen:
[1] Grundlegend: José Beltrán Fortes / Fernando Gascó (Eds.): La antigüedad como argumento. Vol. 1: Historiografía de arqueología e historia antigua en Andalucía, Sevilla 1993; Fernando Gascó / José Beltrán Fortes (Eds.): La antigüedad como argumento. Vol. 2: Historiografía de arqueología e historia antigua en Andalucía, Sevilla 1995 und José Maria Candau Morón / Francisco Javier González Ponce / Gonzalo Cruz Andreotti (Eds.): Historia y mito. El pasado legendario como fuente de autoridad. Simposio Internacional. Sevilla, Valverde del Camino y Huelva 2003, Málaga 2004.
[2] Gloria Mora / Margarita Díaz-Andreu (Eds.): La cristalización del pasado. Génesis y desarrollo del marco institucional de la arqueología en España, Málaga 1997; Fernando Wulff Alonso / Manuel Álvarez Martí-Aguilar (Eds.): Antigüedad y Franquismo (1936-1975), Málaga 2003; zu den Anfängen der Disziplin siehe auch Gloria Mora: Historias de mármol. La arqueología clásica española en el sigo XVIII (= Anejos de AEspA; 18), Madrid 1998.
Sabine Panzram