Oliver Meys: Memoria und Bekenntnis. Die Grabdenkmäler evangelischer Landesherren im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter der Konfessionalisierung, Regensburg: Schnell & Steiner 2009, 888 S., ISBN 978-3-7954-2173-1, EUR 149,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Eine wahrhaft monumentale Dissertation von 888 Seiten oder 3,3 kg hat jüngst Oliver Meys unter dem Obertitel "Memoria und Bekenntnis" vorgelegt, in der er die zahlreichen Grabdenkmäler der evangelischen Landesherren im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter der Konfessionalisierung untersucht. Seine Leitfrage ist, wieweit die Grabmäler als Herrscherdenkmäler auch als Zeichen des landesherrlichen Kirchenregiments, des Summepiskopats, dienen. Vor allem aber erfasst Meys seinen Forschungsgegenstand unter drei Fragestellungen, nach dem Standort, dem Typus und der Ikonografie der Grabmäler.
Seine Betrachtung erstreckt sich bis zum Jahr 1650, da mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges die Konfessionsbildung weitgehend ihren Abschluss fand und auch die Grabmäler in der Folge weniger aufwendig ausfallen. Territorial weitet Meys die Betrachtung aus auf die außerhalb des Reichs gelegenen Herzogtümer Schleswig und Preußen, während Böhmen und Schlesien wegen der dort nicht entwickelten protestantischen Landesherrschaft unberücksichtigt bleiben. Etwas versteckt ist der Hinweis auf die Aussparung der brandenburgischen Kurfürsten, weil für diese die Gruftbestattung in Särgen gewählt wurde (30, Anm. 18).
Zu Beginn der Frage nach dem Ort ergründet Meys die historischen Voraussetzungen von Residenz und Grablege. Die fortdauernde Intention des Grabmals vom Hochmittelalter über die Reformation hinaus ist laut Otto Gerhard Oexle die soziale Memoria, die am Grabmal als Ruhm und Legitimierung von Herrschaft zu begreifen ist. Allein die Distanz von Grablege und Residenz verringerte sich im Laufe der Jahrhunderte, bis sie spätestens mit der Reformation miteinander verschmolzen. Im konkreten Kirchenbau habe der Chor auch in der lutherischen Kirchensymbolik seine hervorgehobene Stellung behalten, weil hier in Taufe und Abendmahl die Gegenwart Gottes erfahrbar werde. Diese Nobilität des Chores hätten sich denn auch die Grabmäler der Fürsten zu eigen gemacht.
Im zweiten Kapitel geht Meys den verschiedenen Grabmalstypen nach, die er nach Frei- und Wandgrabmälern und in weitere Untergruppen gliedert. Eindeutige Einflussnahmen wie vom Grabmal König Friedrichs I. in Schleswig auf das Grabmal Edo Wiemkens in Jever oder in der Gruppe der "serlianaartig erweiterten Ädikulamonumente" (202) bilden eher die Ausnahme. Indem der Autor einzelne architektonische Motive erörtert, zum Beispiel Säulen und deren Eignung für die Anbringung von Wappen, kann es nicht ausbleiben, dass auch Werke gleichen Typs oft unverbunden nebeneinander stehen. Etwas unglücklich erscheint mancherorts das Festhalten an starren Typologien, wenn Meys zum Beispiel eine an der Wand stehende Tumba als Freigrabmal diskutiert, den fest mit der Tumba verbundenen Architekturprospekt aber gesondert in der Kategorie Wandgrabmal betrachtet.
Die Analyse der Ikonografie leitet Meys mit einer Darstellung des reformatorischen Bildverständnisses ein. Während die Reformer nur selten konkrete Bildinhalte vorgeben und von Grabmälern ganz schweigen, beschränkt sich die Auswahl der Themen auf zentrale Glaubensinhalte. Im Einklang mit der lutherischen Kreuzestheologie, aber auch in Konsequenz einer vorreformatorischen Entwicklung findet sich am häufigsten die Darstellung der Kreuzigung Christi. Darunter versteht Meys vor allem das Bild des vor dem Kruzifix knienden Beters, wiewohl die Frage aufgeworfen sein mag, ob diese Szene nicht primär den frommen Lebenswandel des Verstorbenen veranschaulichen soll. Ferner untersucht der Autor die Verwendung begleitender Bibelzitate, die weitgehend Luthers Empfehlungen für Epitaphe entsprechen. Über die Betrachtung von Tugendallegorien kommt Meys auf eine Entwicklung des ikonografischen Repertoires zu sprechen, das ab 1600 zunehmend weltlicher geprägt ist; die personifizierte Justitia rückt nun vermehrt an die Stelle der Fides oder der Caritas.
Seine Analysen bündelt Meys in einem kurzen Schlusswort. Zur Ikonografie resümiert er, in den Monumenten zeige sich das "Bekenntnis zu zentralen Aussagen des christlichen Glaubens", das Konsequenz aus dem von Luther neu formulierten "allgemeinen Priestertum der Gläubigen" (314) sei. Diese Kausalität steht aber nicht nur deshalb auf tönernen Füßen, weil an katholischen Fürstengräbern gleicherweise Glaubenszeugnisse dargestellt sein mögen, sondern weil gerade die evangelischen Landesherren die Kirchenleitung von den Bischöfen übernommen hatten, ihre Repräsentation somit alles andere als "allgemein" war. Meys konstatiert ferner, der Konzentration kirchlicher und weltlicher Administration an den landesherrlichen Residenzen und deren Kirchen stehe das weitgehende Fehlen von Hinweisen auf den Summepiskopat an den Grabmälern gegenüber; allein der Standort der Monumente im Chor könne ein Anhalt dafür sein, dass der Landesherr den Platz des Bischofs eingenommen habe. Etwas unvermittelt wird im letzten Absatz die Differenz zwischen der ikonografischen Gleichförmigkeit der Landesherren-Grabmäler und "anderen protestantischen Grabdenkmälern" (315) von individuellerer Bildauswahl angesprochen, nachdem letztere bisher nicht vorgestellt wurden.
Mehr als die Hälfte des Buches nimmt der Katalog der Grabmäler ein, der aufgrund der Verflechtungen der Territorien und Dynastien sinnvoll nur alphabetisch nach Orten geordnet werden konnte. Jedem der ungefähr 90 Orte wird eine historische Einordnung zu den jeweiligen Dynastien, Residenzen und Kirchen zuteil. Über einen gewöhnlichen Katalog geht auch die Zusammenstellung der einzelnen Monumente weit hinaus: Der Autor belässt es nicht bei einer knappen Aufzählung verschiedener Parameter, sondern beschreibt die einzelnen Monumente eingehend und analysiert je nach Ergiebigkeit deren Bildprogramm. Ausführliche Bibliografien und Wiedergaben der Inschriften runden die einzelnen Einträge ab. Ähnlich umfassend ist das Künstlerverzeichnis angelegt, das alle namentlich bekannten Bildhauer und Architekten mit kurzen Biografien und Oeuvrekatalogen vorstellt. Register zu den Orten, Dynastien (leider nicht zu den Personen) und, dem Forschungsgegenstand höchst angemessen, zu den an den Grabdenkmälern zitierten Bibelstellen, schließen das Werk ab.
Das Buch reiht sich ein in die Folge zahlreicher Einzelstudien und Forschungsprojekte der letzten zwei Jahrzehnte, die sich Grabmälern, Denkmälern und anhängenden Fragen widmen. Evangelische Grabmäler und Epitaphe hat für den schlesischen Raum insbesondere Jan Harasimowicz erforscht, dessen Ausführungen zu Theologie und Kunst Meys vorwiegend folgt. [1] Teilweise parallel ist die Dissertation von Andrea Baresel-Brand zu den Grabdenkmälern nordeuropäischer Fürstenhäuser entstanden, die den gleichen Zeitraum wie Meys abdeckt, allerdings auch katholische Grablegen untersucht. Wiewohl die Konfessionalität dort nicht im Vordergrund steht, ermöglicht es Baresels Ansatz, die protestantischen oder katholischen Eigentümlichkeiten der Monumente stärker herauszuarbeiten. [2]
Meys hat sich der Mühe unterzogen, neben den weithin bekannten Grabmälern auch das sepulkrale Erbe der deutschen Duodezfürstentümer zu betrachten, die bisher allenfalls regional begrenzt Forschungsgegenstand waren. Er eruiert die gemeinsamen Facetten verschiedener Monumente und vor allem deren Variationen. Einzelne Grabmäler zeichnen sich so deutlicher vor einem breiteren Horizont ab, und Zusammenhänge lassen sich leichter erkennen. Etwas ermüdend ist leider in allen Haupt- und Unterkapiteln die additive Reihung der einzelnen Beispiele, während die zusammenfassenden Passagen etwas kurz kommen oder bereits an den Kapitelanfang gestellt sind. Dass in Bezug auf die Monumente die lutherische Theologie stärker herausgearbeitet wird als die reformierte, gründet in ihrer Verbreitung in Deutschland wie auch in den für die Kunst ergiebigeren Schriften Luthers. Nicht ganz befriedigen kann die These des Summepiskopats, auf den die Grabmäler hinwiesen: Da diese zumeist erst nach dem Ableben des Fürsten ausgeführt wurden, hätte sich das Kirchenregiment stets erst postum manifestieren können, was sicher nicht intendiert war.
Meys versteht seine Studie ausdrücklich auch als Materialsammlung für weitere Fragestellungen, denen sich hier zweifellos ein reiches Fundament und viele Diskussionsansätze bieten. Ob zu möglichen Unterschieden von lutherischen, reformierten und katholischen Monumenten, regionalen Vorlieben oder ikonografischen Besonderheiten, ausgehend von diesem unverzichtbaren Werk lässt sich in viele Richtungen fortdenken.
Anmerkungen:
[1] Jan Harasimowicz: Kunst als Glaubensbekenntnis. Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte der Reformationszeit, Baden-Baden 1996.
[2] Andrea Baresel-Brand: Grabdenkmäler nordeuropäischer Fürstenhäuser im Zeitalter der Renaissance 1550-1650, Kiel 2007.
Raphael Beuing