Mark R. Cohen: Unter Kreuz und Halbmond. Die Juden im Mittelalter, München: C.H.Beck 2005, 224 S., ISBN 978-3-406-52904-7, EUR 24,90
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Das Zusammenleben von Juden und Muslimen im mittelalterlichen Nahen Osten schildert Bernard Lewis als "eine Art von Symbiose [...], die in der westlichen Welt zwischen hellenistischer und Neuzeit nicht ihresgleichen hatte".[1] Diese inzwischen anerkannte Beschreibung der Situation der Juden in der islamischen Welt möchte Mark Cohen näher beleuchten: "[...] ich will beschreiben, in welcher Hinsicht und aus welchem Grund dies [das ist die Tatsache, dass die Juden in der arabisch-islamischen Welt sicherer gelebt haben, der Verfasser] so war, um auf diese Weise das Verständnis der jüdisch-christlichen Beziehungen [...] zu vertiefen." (11)
Das hier zu besprechende Werk ist die Übersetzung der amerikanischen Originalausgabe, die 1994 unter dem Titel "Under Crescent and Cross. The Jews in the Middle Ages" in Princeton erschienen ist. Sie ist eine um die Anmerkungen gekürzte Ausgabe, die glücklicherweise die Buchtitel, auf die der Autor verweist, in einer kleinen Bibliographie am Ende des Buches aufführt. (15) Wer aber die vollständigen Quellenangaben einzusehen wünscht, muss auf die englische Ausgabe zurückgreifen.
Mark Cohen stellt darin die jüdisch-muslimischen und die jüdisch-christlichen Beziehungen im Mittelalter (ungefähr: 7.-13. Jahrhundert) in einer dichten systematisch-vergleichenden Analyse gegenüber. Diesen Vergleich zieht er auf mehreren Ebenen: auf einer religiösen, einer rechtlichen, sowie auf einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen.
Dabei stellt er diesen Vergleich in den Kontext der Debatte um die Mystifizierung der jüdischen Geschichte (Kapitel 1). Während einige Juden dem "Mythos einer interreligiösen Utopia" (26) nachhängen, der auf die tolerante Haltung der Muslime vor allem im islamischen Spanien rekurriert, vertreten andere Juden den Gegenmythos einer "neue[n] 'wehleidige[n]' Deutung der jüdisch-arabischen Geschichte" (28), demzufolge es eine regelmäßige islamische Judenverfolgung in der Geschichte gab.
Die religiöse Ebene: Cohen beschreibt die Haltungen des frühen Christentum zum Judentum bzw. des (sunnitischen) Islam zum Judentum (Kapitel 2). Während sich die frühen Christen ständig theologisch vom Judentum abgrenzen und ihre anfänglich marginale Stellung überwinden mussten, konnte sich der frühe Islam, der sich nicht "gegen" das Judentum etablieren musste, als neue, höherstehende Religion darstellen, der die früheren Religionen idealerweise in sich aufnahm oder sie zumindest in einem Unterwürfigkeitsverhältnis neben sich bestehen lassen konnte.
Die rechtliche Ebene: In einem sehr ausführlichen Teil vergleicht der Autor desweiteren die rechtliche Stellung der Juden unter christlicher und muslimischer Herrschaft (Kapitel 3-4). Dabei nimmt er die Terminologie Guido Kischs ("Judenrecht") auf und gliedert es in vier Rechtsbereiche auf. Das römische "Judenrecht" nimmt eine sehr tolerante Haltung den Juden gegenüber ein, die dann im christlich-römischen "Judenrecht" (im Codex Theodosianus) weitergeführt wird. Auch das kanonische "Judenrecht" garantierte - zumindest bis zum 12. Jahrhundert - in den Sicut Judeis-Bullen den jüdischen Gemeinden Schutz. Das weltliche "Judenrecht" war durch die Privilegienbriefe der Herrscher gekennzeichnet, die allerdings immer neu ausgehandelt werden mussten und die dann unter Friedrich I. in die sogenannte "Kammerknechtschaft" der Juden mündeten.
Unter islamischer Herrschaft war das "Judenrecht" ein "ḏimmī-Recht".(68) Basierend auf dem Koran garantiert das "ḏimmī-Recht" den Schutz für das Leben und eine religiöse Autonomie in einer untergeordneten Stellung, insofern die Anhänger der Buchreligionen (beispielsweise die Juden) eine jährliche Steuer (ǧizya) entrichten. Eine detaillierte Ausformung des "ḏimmī-Recht" sieht Cohen in dem sogenannten "Pakt des Omar", der eine Sammlung von Verboten für und Selbstverpflichtungen von - vor allem - Christen und Juden enthält, der aber erst im 12. Jahrhundert schriftlich belegt ist.[2] "Proto-šurūṭ-Sammlungen" lassen sich jedoch schon Anfang des 9. Jahrhunderts nachweisen.[3] Die Verbindungen zum zweiten Kalifen 'Umar b. al-Ḫaṭṭāb (reg. 634-644), nach welchem diese "Bedingungen 'Umars" benannt wurden, sind unbelegt. Verboten war es zum Beispiel, neue Gotteshäuser zu bauen, die nicht-muslimische Religionen öffentlich sichtbar zu machen und Konvertiten zum Islam an der Konversion zu hindern. Darüberhinaus enthalten diese šurūṭ-Sammlungen auch Kleidervorschriften als Symbole der Trennung und Demütigung und regelmäßige Ausschlüsse von Juden und Christen von öffentlichen Ämtern. Dennoch waren die Auswirkungen dieser Regelungen für die Juden positiver als im mittelalterlichen Europa, da sie, so der Autor, eine lange und rechtlich stabile Beziehung zwischen beiden Religionsgruppen garantierten.
Die wirtschaftliche Ebene: Im frühmittelalterlichen Europa übten die Juden den negativ konnotierten Beruf des (Fern-)Händlers aus (Kapitel 5). Mit Entstehung von christlichen Kaufmannsgilden wurden die Juden aus diesem Bereich verdrängt, so dass sie den Schwerpunkt des Wirtschaftens auf den Geldverleih verlegten. Im Gegensatz hierzu war der Handel insgesamt, und damit auch jüdische Händler, in der islamischen Welt positiv konnotiert. Auch das Kreditwesen, das zwar keine Zinsen erheben durfte, aber über Gewinnanteile profitabel funktionierte, war ein anerkanntes Betätigungsfeld für Muslime und Juden. Darüberhinaus waren die Juden in den islamischen Märkten viel mehr integriert als in Europa, wo sie wirtschaftlich ausgegrenzt wurden.
Die gesellschaftliche Ebene: Mark Cohen beleuchtet mehrere Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs (Kapitel 6-8). 1. Gesellschaftliche Hierarchien: Im mittelalterlichen Europa standen Juden auf der niedrigsten Stufe der Hierarchie, ab dem 13. Jahrhundert wurden sie sogar dort nicht mehr geduldet, während sie in islamischen Ländern zwar auch einen niederen Rang einnahmen, diesen aber regelmäßig durchbrechen konnten. 2. Die ethnische Zusammensetzung: Diese war in Europa nur bis zum 11. Jahrhundert, in den islamischen Ländern aber bis in die Moderne sehr vielfältig. 3. Die Juden als Stadtbewohner: Sie lebten in Europa ausgegrenzt von den anderen Bewohnern, in islamischen Städten aber entsprechend der für die ganze Gesellschaft gültigen Norm freiwillig getrennt. 4. Der Alltag von Juden: Dieser war in der islamischen Welt viel geselliger, gewöhnlicher und weniger konfliktgeladen als in Europa. Am Ende des Buches beleuchtet der Autor jüdische Reaktionen auf Verfolgungen, die es in der islamischen Welt in viel geringerem Maße gab als in Europa (Kapitel 10), und interreligiöse Polemiken (Kapitel 9). Dabei stellt er fest, dass es kaum jüdische Polemiken gegen den Islam gibt - ein Ausdruck für eine nur geringe "antijüdische Aggressivität" (159).
Die Breite dieses Vergleiches bringt es mit sich, dass der Autor auf den Forschungen anderer Wissenschaftler aufbauen muss, die er regelmäßig gebührend zitiert, und dass er nur eingeschränkt eigene Forschungsakzente setzen kann. Der Ansatz, die Verhältnisse der Juden in Europa denen in der islamischen Welt konzise gegenüberzustellen, ist jedoch ein wichtiger und spannender zugleich! Diese Monographie ist sowohl bereichernd als auch erhellend! Der einzige Wermutstropfen ist das vom Verlag gestaltete belanglose Cover, das ein gestrecktes Kreuz und einen verzerrten Halbmond zeigt.
Zusammenfassend bleibt nur noch, dem Leser die Lektüre dieser gut lesbaren und faktenreichen Monographie ans Herz zu legen und mit dem Gütesigel zu schließen: Ein wichtiges Buch!
Anmerkungen:
[1] Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Üb. Liselotte Julius. München: C.H. Beck 2004, 85.
[2] Siehe dazu: Jens J. Scheiner: Vom Gelben Flicken zum Judenstern? Genese und Applikation von Judenabzeichen im Islam und christlichen Europa (849-1941). Frankfurt 2004, 28.
[3] Ebenda, 31.
Jens Scheiner