Sanjay Subrahmanyam: Explorations in Connected History. From the Tagus to the Ganges, Oxford: Oxford University Press 2005, 276 S., ISBN 978-0-19-566865-0, GBP 18,99
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Muzaffar Alam / Sanjay Subrahmanyam: Indo-Persian Travels in the Age of Discoveries, 1400-1800, Cambridge: Cambridge University Press 2007
Bei vorliegender Studie handelt es sich um den zweiten Teil der von Sanjay Subrahmanyam zeitgleich veröffentlichten Sammelbände über seine Vorstellungen einer 'Connected History'.[1] Der Verfasser versteht darunter, dass man die Geschichte der europäischen und islamischen früh-neuzeitlichen Imperien nicht losgelöst voneinander beschreiben könne - zu eng seien sie zu diesem Zeitpunkt kulturell und ökonomisch miteinander verbunden gewesen.
Christopher Bayly weist in seiner unlängst vorgelegten und viel beachteten Studie darauf hin, dass "all historians are world historians now, though many have not yet realized it". [2] Dass viele Historiker dies nicht genug in ihren Arbeiten zum Ausdruck bringen, mag daran liegen, dass auf einen world historian eben äußerst schwierige Aufgaben warten. Und so verlangt auch Subrahmanyam: "Rather, the historian of the period that I am interested in must dig deep into the archives, but he must also listen closely to texts, whether in Persian, Sanskrit, or the Indian vernacular languages". (15) Hinzu käme noch Arabisch sowie die für die europäische Expansionsgeschichte relevanten Sprachen. Doch der Aufwand lohnt sich: "Rescuing History from the Nation" heißt die Devise der Globalhistoriker, wie es Prasenjit Duara so treffend formuliert hat. [3]
Eine auf die Nation zentrierte Geschichtschreibung ist aber nicht nur in asiatischen Ländern der Fall [wie zum Beispiel bei Anhängern der Hindu-Nationalisten (BJB), die immer wieder den 'Fremdeinfluss' der Muslime auf Indien betonen, oder etwa regimetreuen Historikern in Iran, die einen kulturellen Austausch, z.B. zwischen Indien und dem Iran, am liebsten aus der 'eigenen' Geschichte löschen würden] - sondern auch in Europa, wo die traditionelle Geschichtsschreibung die Entwicklung der eigenen Gesellschaft nach wie vor aus sich heraus, also als Nationalgeschichte, beschreibt. [4]
Die 250 Seiten lange Studie ist in 8 Kapitel unterteilt, die, abgesehen von der Einleitung, bereits im Vorfeld in leicht veränderter Form veröffentlicht wurden.
Zwei wesentliche Punkte sind in der Einführung 'On the Window that was India' (1-17) hervorzuheben, wobei Subrahmanyam mit diesem Titel auf eine Studie von Arthur Basham anspielt. [5] Diese war ab Mitte der fünfziger Jahre für lange Zeit ein Standardwerk in den South-Asian Studies und zielte, indem Basham die indische Geschichte isoliert von der muslimischen behandelte, darauf ab, das 'Besondere' an Indien zu beschreiben.
In seiner Einführung geht Subrahmanyam erstens gegen die Zielsetzungen und theoretischen Grundlagen der 'area studies' vor, die einer früh-neuzeitlichen Vernetzungsgeschichte im Weg stehen: "[...] perhaps more than most, I have for many years entertained an ambigious and even hostile relation to the very notion of 'area studies.' (2) Denn "[...] there were also larger spaces of shared culture that transcended imperial frontiers, and enabled scribes, poets, artillerymen, physicians, and even artisans to move across the frontiers demarcated by latter-day 'area studies'.(11)
Sein zweites Ziel ist es, die Zeiteinteilung und den Raum seiner Untersuchung darzulegen: Zeitlich spricht Subrahmanyam der indischen Geschichte die Epoche der Frühen Neuzeit zu: Obwohl "[...] universalism is today increasingly unfashionable [...]", sei der Vorteil deutlich zu erkennen: "[...] to put it simple - I believe that we cannot periodize Indian history as if India were something apart from the rest of the world, following its own strictly internal rythms until it is incorporated into the British Empire. The advantage with the idea of the 'early modern' is that it allows us to place South Asia in a set of wider historical conjunctures." (4) Und räumlich betrachtet wäre es wenig konstruktiv, wenn man sich durch Geschichtsschreibung das Ziel setzt, kulturelle Barrieren zu überwinden anstatt kulturelle Grenzen zu ziehen, Imperien und Staatengebilde in der Frühen Neuzeit als Inseln, also Räume, die zur Isolierung und Abschottung prädestiniert sind, zu deuten. [6] Für so eine isolierende Geschichtsschreibung könnte man etwa Fernard Braudels Studie l'Identité de la France heranziehen. [7] In dieser verneint Braudel die Möglichkeit, dass Frankreich ein Produkt eben dieses kulturellen Austausches sei, so Subrahmanyam.
Auf der anderen Seite fällt es europäischen (Asien-)Forschern nicht schwer, außereuropäischen Kulturen die Eigenschaft einer 'Crossroaod'-Kultur zuzusprechen. Hier dient als gutes Beispiel die monumentale Studie von Denys Lombard, [8] dessen (wesentliche) These es ist, dass man die Geschichte Javas nur verstehe, wenn man sie in Beziehung mit den weit abliegenden Staatengebilden in Verbindung zieht. Die Frage Subrahmanyams ist also berechtigt: "Is this a luxury that a french historian could afford only when dealing with a distant land, but not when seizing the thorny branch of French history itself? The puzzle remains, and all the more so, when one reads a work like [...] Lieux de Mémoire, a work that it seems is even more enclosed, even more 'hexagonal', than Braudel's vision of France." Und weiter:" For why it is so easy to see Java as a crossroad, and not the territory of France? Or indeed that of India?"(7)
Nach diesen einleitenden Fragestellungen und thematischen Abgrenzungen folgt das zweite, vielleicht stärkste Kapitel, in welchem Subrahmanyam sein ganzes Können unter Beweis stellt ('On Indian Views of the Portuguese in Asia, 1500-1700, 17-45). In diesem Abschnitt soll die Frage geklärt werden, wie die Geschichte einer 'crossroad'-Kultur zu schreiben sei und auf welchen schriftlichen Zeugnissen man sie aufbauen könnte. Hier gibt es letztlich zwei Extreme: auf der einen Seite gibt es Autoren, die europäischen Schriften, wenn sie über Asien schreiben, kaum trauen. [9] Auf der anderen Seite existiert eine Tendenz, den indo-persischen Mogul-Quellen jede Aussagenkraft abzusprechen und allein die europäischen Texte als vertrauenswürdig anzusehen. Für diese Position wäre z.B. Michel de Certau zu nennen, der noch vor ungefähr 25 Jahren außereuropäischen Kulturen ihre eigene Geschichtsschreibung absprach, da sie, einfach ausgedrückt, kein eigenes Geschichtsbewusstsein hätten. [10] Certaus Annahmen sind jedoch keinesfalls antik:" The concept of a historiography on 'European Expansion' rests even today in large part on the idea that European testimonies are sufficient to reconstruct the nature and logic of the presence of Europeans in different parts of the globe. It is thus still suggested that sources other than those of the Europeans were largely irrelevant for the historian of the Portuguese or Dutch in Asia. Where do the roots of this viewpoint lie? This is surly the point of departure for any discussion of Asian sources on the Portuguese in Asia."(20)
Subrahmanyam will - wie die Osmanistin Suraiya Faroqhi [11] - einen Mittelweg einschlagen und bei manchen Ereignissen portugiesisch-europäische wie auch indo-persische Mogul-Quellen gleichberechtigt heranziehen: "[...] it is the suggestion, that we need to ask ourselves in a systematic fashion what Asian sources tell us about the Portuguese in Asia which the Portuguese (and more generally the European) sources fail to allow us to comprehend." (23) Es folgt eine Typologie der wesentlichen asiatischen Quellen (chronicles, letters and diplomatic correspondence, routine administrative papers, travelogues and memoirs, oral sources recorded at a later date). Subrahmanyam kritisiert die Tatsache, dass die Geschichte des Mogulreiches im Wesentlichen auf Mogul-Quellen basiere, während europäische Zeitzeugen bei der Schilderung der muslimischen Herrscher (z.B. die Briefe der Jesuiten in Akbar) höchstens marginal vorkommen. Auch fehlt ihm eine intensive Auseinandersetzung mit der Quellengattung der 'Travelogues and memoirs', die "[...] extremly usefull and interessting, but surpringsly little used sources" (27) seien.
Die Frage, ob zwischen den oben genannten Quellenarten und Literatur überhaupt ein Unterschied sei, beantwortet der Autor klar und deutlich: "It would be, to my mind, a fundamental error to subject a chronicle like Abu l-Fazls Akbar Nāma to analysis under the same rules as one uses to analyse the travelogue of Evliya Çelebi. The Authors in the two cases were aiming at quite different ends and, as historians, we should give due weight to their intentions, even if we wish to see them as motivated by prejudices, ideological baggage, and so on."(29) Hinzu kommt noch das Problem, das indisch-asiatische Zeugnisse im Wesentlichen für mentalitätsgeschichtliche Untersuchungen herangezogen werden, weniger um Fragen auf dem 'factual level' zu klären. Dies sei aber zu ändern, wie Subrahmanyam fordert, genauso wie die letztlich darauf aufbauende Argumentation, dass der "[...] mental process of the 'oriental' were a closed book to the Portuguese [...]."(29)
Äußerst interessant ist Subrahmanyams Appell, mehr auf 'methaphorical-texts' einzugehen, also Ängste, (Drogen-)Phantasien etc., wie z.B. die des Sulṭān Bahādūr von Gujarat, der, durch ein wenig Bhang berauscht, in der Lage war, "[...] to travel at night to Portugal, and to Brazil, and to Turkey, and to Arabia and Persia."(11) Wie nahm also ein indischer Sulṭān des 16. Jahrhunderts die Welt (in seinen Träumen) war, was waren seine Wünsche und Ziele? "It is not only historical truth, that should interesst the historian, but also the fantasies that were held to be truths in other times." (33)
Der Vergleich asiatischer und portugiesischer Quellen zu einem bestimmten Ereigniss "[...] has a history of its own" (43) - ließen wir z.B. die portugiesischen Quellen weg, so würden wir nur sehr wenig über die Brutalität der Europäer in Indien erfahren, da diese viel detaillierter auf Gewaltexzesse gegen die 'Ungläubigen' und Nutzlose (Inútil) eingingen; sehr wahrscheinlich, so Subrahmanyam, weil sie es, wie z.B. bei der Tötung von Kindern, als "[...] a natural part of the conduct of war" (43) deuteten. Auf der anderen Seite sei es enorm ergiebig, Mogul-Quellen auch auf der faktualen Ebene heranzuziehen, denn, "[...] one can no longer be shure, (hier spielt er auf Lopes 'Introduction on Asian sources' an) that the European source is generally 'true', and that the Asian source too is 'true', so long as it coincides with the European one."(43) Und ein ebenso neues Bild würde man z.B. von den Holländern in Indien erhalten, würde man ihre Geschichte weniger auf Rechnungen, Listen, etc. aufbauen, wodurch sich das Bild des "[...]grim Calvinist, with his finger on the pulse of the market [...]" ausgezeichnet konstruieren ließe, als vielmehr ihre narrativen Zeugnisse mehr in den Vordergrund zu stellen.(43)
Der zweite, entscheidende Abschnitt der Studie ist das fünfte Kapitel (Sixteenth-Century Milleniarism from the Tagus to the Ganges, 102-138), in dem eine Kernaussage von Subrahmanyams 'Connected History' ausführlich dargestellt wird. "What were the great phenomena, that united the world in the early modern period, making it possible for those who lived in differnt parts of the world, however unevenly, to imagine for the first time the existence of a truly global scale?" (103) Subrahmanyam deutet diesen spezifisch globalen Milleniarismus als das kulturelles Bindeglied des frühneuzeitlichen Eurasiens. Er sei die Voraussetzung dafür gewesen, dass ein portugiesischer Priester Ende der 1580er Jahre nächtelange Diskussionen mit einer der größten Herrscherpersönlichkeiten Geschichte, Ǧalāl ad-Dīn Muḥammad Akbar (1556-1605) führen konnte. Neben diesem 'backdrop of discussions' (107) fungierte diese eurasische Furcht aber auch sowohl als Revolutions- und Herrschaftslegitimation (dieses Wechselverhältnis lässt sich vor allem in Iran unter Šāh 'Abbās [reg. 1588-1629]beobachten, 115f.) [12], als auch als Grundlage vielfältiger Expansion (auf Osmanischer Seite vor allem unter den Selim I. [reg. 1517-1520] und Süleyman [reg.1520-1566], auf europäischer Seite unter Karl. V [reg. 1519-1566], 111f.). Zusammenfassend lässt sich der 'Sixteenth-century Milleniarism' als "[...] dominating ideology, as building block of empire, and fuel for imperial ambition [...]" beschreiben. (104)
Die Ansätze der 'Connected History' dienen der neueren Forschung immer öfter als Impuls, etwa bei John Darwins wichtiger, jüngst erschienener Studie [13]. Alle Hinsichten und Ergebnisse in einer Buchbesprechung zu referieren ist natürlich unmöglich. Wer aber mehr über 'European Chroniclers and the Mughals' (138-150) oder etwa 'Violence, Grievance and Memory in Early Modern South Asia (80-102) bis hin zu 'Dutch Tribulations in Seventeenth-Century Mrauk-U' (200-249) erfahren möchte, der greife zu dieser Studie - ein weiteres Standardwerk euro-asiatischer Geschichtsschreibung.
Anmerkungen:
[1] Für eine ausführlichere Einführung in die Theorie der 'Connected History' vgl.: Tilmann Kulke: Rezension von: Sanjay Subrahmanyam: Explorations in Connected History. Mughals and Franks, Oxford: Oxford University Press 2005, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 1 [15.01.2009], URL: http://www.sehepunkte.de/2009/01/15512.html.
[2] Christopher Bayly: The Birth of the Modern World, 1780-1914, Global Connections and Comparisons, Oxford 2004.
[3] Prasenjit Duara: Rescuing History from the Nation. Questioning Narratives of Modern China, Chicago 1997.
[4] Vgl. hierzu etwa die einleitenden Worte bei Sebastian Conrad/Jürgen Osterhammel (Hgg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871 - 1914, Göttingen 2004.
[5] Arthur Basham: The Wonder that was India. A Survey of the History and Culture of India before the Coming of the Muslims, London 1954.
[6] Eine ausgezeichnete Argumentation (aufbauend auf den Ideen der 'connected history') für eine euro-asiatische Vernetzungsgeschichte der früh-neuzeitlichen Imperien gibt Serge Gruzinski: Les mondes mêlés de la Monarchie catholique et autres 'connected histories', in Annales HSS, Vol.56 (1), 2001, 85-117. Diese Ausgabe der Annales [mit dem Titel Temps Croisés, Mondes Mêlés] ist im Allgemeinen zu empfehlen, führt sie doch ausgezeichnet in die Forschung zur euro-asiatischen Geschichte der Frühen Neuzeit ein.
[7] Fernand Braudel: L'Identé de la France, Paris 2000.
[8] Denys Lombard: Le Carrefour Javanaise: Essai d'histoire globale, 3 Bd., Paris 1988.
[9] Burton Stein: Vijayanagara (=The New Cambridge History of India, Bd. 1.2), Cambridge, 1989.
[10] Michel de Certau: The Writing of History, (Übers. Tom Conley), New York, 1988, 3-5, zit. nach Subrahmanyam (2005), 19.
[11] Suraiya Faroqhi: Approaching Ottoman History: an Introduction to the Sources Cambridge, 1999.
[12] Zur Geschichte Irans in der Frühen Neuzeit vgl. ausgezeichnet Monika Gronke: Geschichte Irans. Von der Islamisierung bis zur Gegenwart, München 2006, 65-85.
[13] John Darwin: After Tamerlane. The Rise and Fall of Global Empires, 1400-2000, London 2007, 12. Vgl. hierzu die Besprechung im vorliegenden Forum der Islamischen Welten.
Tilmann Kulke