Stefan Weppelmann (Hg.): Zeremoniell und Raum in der frühen italienischen Malerei (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; 60), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2007, 252 S., ISBN 978-3-86568-260-4, EUR 49,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Elisabeth Vavra (Hg.): Imaginäre Räume: Sektion B des internationalen Kongresses "Virtuelle Räume" Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2007
Matteo Burioni / Johannes Grave / Andreas Beyer (Hgg.): Das Auge der Architektur. Zur Frage der Bildlichkeit in der Baukunst, München: Wilhelm Fink 2011
Hanna Christine Jacobs: Raumerzählung. Narration und räumliche Disposition hagiographischer Bilderzyklen des Tre- und Quattrocento, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2019
Schon der Titel dieses großformatigen und reich bebilderten Werks vermag großes Interesse zu erzeugen, könnte man doch meinen, dass Themen der italienischen Malerei selten aus dem Strom formgeschichtlicher Zusammenhänge isoliert werden. Hier ist es der Fall, wenn man auch dem Buch einen anderen Namen geben müsste, da ein Teil der Beiträge weder Zeremoniell noch Raum zum Gegenstand haben.
Schon Bernd W. Lindemann betont, man dürfe "sich nicht nur mit den sich wandelnden Formen [...] beschäftigen, sondern [...] nach den funktionsspezifischen Eigenheiten [...] auf den Schultern von Jacob Burckhardt" (5) fragen. Stefan Weppelmann, der 2004 das zu diesem Buch führende Kolloquium in Berlin veranstaltete, setzte sich ebenfalls ab von bloßer Kennerschaft und propagiert eine historisch-soziologische Erschließung. Damit meint er wohl, inwiefern in der frühen italienischen Malerei Zeremoniell reflektiert und im Raum verortet wird. Das wird schon bei Miklós Boskovits Beitrag nicht eingelöst, wenngleich dessen interessante Ausführungen über Bodes Kunstkennertum allenfalls als Negativfolie im Kontext steht - allerdings, nachvollziehbar ist auch, dass man den wissenschaftlichen Abendvortrag des verdienten Wissenschaftlers nicht außen vor lassen möchte. Dennoch wird nicht nur Boskovits Weppelmanns Ansatz kaum gerecht, nämlich Themen vorzustellen, die sich aus der komplexen Verbindung von zeremonieller Handlung, Raum und Bild ergeben. Demzufolge sei die zeremonielle Praxis der bestimmende Parameter für die Beurteilung und Integration der soziologischen Bedeutung von Kunstwerken. Weppelmann selbst führt Michael Baxandalls Begriff des "social relationship" ein, um aber dann hauptsächlich von Liturgie zu sprechen (8). Das Altarbild war lange nur Element von Datierungs-, Zuschreibungs-, Stil- und Künstlergeschichte, schließlich weise es aber, Kees van der Ploeg (8) zitierend, "different functions" auf. Zeremoniell als Verweis auf eine kultische, zumeist religiöse Handlung (9) zu minimieren, noch dazu, wenn man vorher (8) Ernst Cassirers "Philosophie der symbolischen Form" und Panofskys weiterführende Arbeiten nennt, scheint dann doch eine unzulässige Verkürzung zu sein. Selbst ein Blick ins Lexikon des Mittelalters hätte, wie die immerhin einleitend zitierte Literatur, verdeutlichen müssen, dass man Verweise aus der Malerei nur in den seltensten Fällen als Zeremoniell betrachten kann. Prompt heißt es "funktional geht es darum, an bestimmten Raum-Zeit-Punkten den Einbruch des sakralen, göttlichen, in die profane Welt zu visualisieren." Zeremoniell soll hier verstanden werden als "Komplex von öffentliche[n], symbolische[n] Gesten, welche dem oder den Mitwirkenden und einer Zuschauerschaft in verbaler oder nonverbaler Weise ein Bild von einer politischen, sozialen oder religiösen Ordnung vermittelt [...] Zeremoniell benötigt Öffentlichkeit, Symbolhaftigkeit, Praktizierende und Teilnehmende." (9) Dem genannten Einführungsvortrag (14-26) folgen zwei Abschnitte, "Repräsentation von Zeremoniell und Raum im Bild" (28 ff.) und "Zeremoniell und Raum als Parameter für Bildgestalt und -funktion" (106 ff.) mit 14 Aufsätzen.
Bruno Santi (28-39) hält die Entstehung des Handlungsraumes in der Sieneser Malerei für ein Zeremoniell. In den hervorragenden Beiträgen von Erling S. Skaug (40-51) und Irene Hueck (52-59) spielt das Zeremoniell in besagtem Sinn keine Rolle. Ansätze dazu sind immerhin zu finden im letztgenannten Beitrag, in dem Sano di Pietros Berliner Antoniusmesse im Sieneser Dom von Irene Hueck diskutiert wird (57 f.). Warum der Aufsatz aber die Entwicklung des gotischen Messkelchs in diesem Zusammenhang (?) diskutiert, bleibt wohl ebenso unklar wie der Umstand, warum bei diesem reich bebilderten großformatigen Band die hierzu (zum "Zeremoniell") gehörenden Vergleichsabbildungen nicht gezeigt werden. Gerd Kreytenberg beschreibt "die Darstellung des Tabernakels von Orsanmichele" (60-67). Der Codex Biadaiolo der Florentiner Biblioteca Laurentiana zeigt auf fol. 79 r die Momentaufnahme einer Zeremonie, wie sie in den Statuten der Laienbruderschaft, der Compagnia della Madonna di Orsanmichele (Capituli, Statuten von 1294) wiedergegeben wurde. Raum und Altar werden im Zusammenhang ihrer Dekoration, Nutzung und Darstellung in der Handschrift diskutiert, und ebenso beredt wird Auskunft über das religiöse Leben und die damit verbundenen Handlungen einer Gesellschaft gegeben. Philine Helas (68-81) diskutiert die ungewöhnliche ikonografische Kombination zweier Cassoni (Truhenbilder) oder Spalliere (Wandverkleidung), die paarweise anlässlich von Hochzeiten hergestellt und zusammengeführt wurden (71, Abb. 4 muss wohl Abb. 2 heißen). Sie reflektierten als biblische Szenen und in Kombination mit profanem Zeremoniell gesellschaftliche Bedingungen. Kaum nachvollziehbar ist hier die postulierte Darstellung von Florenz (75 f.); an dieser Stelle würde man eher an eine Assoziation denken, worauf auch Kress (ebd. in Fußnote) hinweist. Sicher könnte die Zurschaustellung des Zeremoniells als öffentliche Relevanz von Familienverbindungen gedeutet werden (79); Panofsky hätte dies jedoch als Ikonografie bezeichnet, und das scheint mir das Problem dieser brillanten Publikation zu sein. Philipp Zitzlsperger (82-91) fasst Kleiderordnung als Teil des Zeremoniells. Seine These ist (86), dass das frühneuzeitliche Gewand eine Insignie darstelle. Das Tragen des Rochets berühre eine rechtsverbindliche Ebene; dennoch herrscht auch hier (88) unbekümmerter Umgang mit Begriffen wie z.B. "liturgisches Zeremoniell". Ebenso behandelt Birgitt Blass-Simmens Aufsatz (92-103) Geschichte und Liturgie und ist Ikonografie in bestem Sinn: Eine Londoner Zeichnung von Jacopo Bellini (Abb. 6) entspreche dem Klosterhof von San Giobbe in Venedig (Abb. 4). Dies sei wichtig in Zusammenhang der Situierung und Bedeutung des Aufenthaltes und der Predigt Bernhardins von Siena und der Deutung des Sieneser Bildes von Sano di Pietro, wobei letzteres zeremonielle Akte in einer Szene verdichte.
Mit Victor M. Schmidt und seinen Ausführungen über Feste und bewegliche Tafelbilder im Kirchenraum (106 ff.) beginnt der zweite Teil. Die Tafelbilder sind im originalen Funktionszusammenhang zu evaluieren; zu rekonstruieren sei das ursprüngliche Aussehen mittelalterlicher Kircheninnenräume, die Sichtbarkeit (Vorhänge etc.) sowie die Entwicklung der Tafelmalerei. Der Verfasser führt eloquent durch die mittelalterliche sakrale Architektur und erläutert feste und bewegliche Elemente derselben. Damit "rennt" er genauso "offene Türen" ein, wie mit seiner Forderung (oder seinem Beispiel), dafür Ordines, Inventare und entsprechende Quellen zu nutzen. Immerhin geben seine Forschungsergebnisse eine andere Sicht auf die spätmittelalterlichen Kircheninnenräume wieder als man sie sich bisher gemeinhin vorstellte. Johannes Tripps (116-127) schließt eine Lücke, indem er Wandelaltäre, Liturgie und liturgische Festlegungen nördlich und südlich der Alpen untersucht. Interessant erscheinen in diesem Zusammenhang das ostentative Zeigen oder eben die Verdeckung der Ausstattung bzw. liturgischer Objekte, die man bisher für nicht wandelbar hielt und wozu eine neue Arbeit von Victor M. Schmidt erschienen ist. Stefan Weppelmann (128-159) widmet sich in einem umfangreichen Aufsatz dem Berliner Marientod Giottos. Seine eindrucksvolle Analyse, die sich nicht nur mit dem Kirchenraum und der liturgischen Praxis beschäftigt, sondern auch historische und ikonografische Betrachtungen einschließt, mündet in eine gesamthafte Rekonstruktion des Innenraums von Ognissanti in Florenz. Seine zahlreichen Hypothesen werden der Forschung sicher eine Zeit lang Raum für wissenschaftliche Überprüfung bieten (vgl. bereits die Rezension von Bastian Eclercy, in: Journal für Kunstgeschichte 12 (2008), 28 ff., bes. 34).
Methodisch gesehen, bleiben trotz beeindruckender Einzelanalysen einige Zweifel. Den Rezensenten störte u.a. die sprachliche Diktion, da Hypothesen sehr schnell im Indikativ weiter behandelt wurden, wenn sie zu weiteren Folgerungen dienen sollten (z.B. 138); außerdem ist nicht alles virtuell, was gemalt ist und dieses nicht alles ambivalent (134 f.). Wolf-Dietrich Löhr (160-183) deutete Vannuccios Berliner Kreuzigung von 1380 als private, konzentrierte und "verkürzte Kleinform" (172) des Bildprogramms der Erlöserkirche aus Lecceto mit erstaunlichen "Subtexten" und "Sprechakten" (174 f.) als "Programmbild der Augustinereremiten" (176). Laurence Kanter (184-193) widmet sich den Darstellungen des seligen Gerhard von Villmagna und rekonstruiert die Münchner Seitenflügel von Nardo di Cione (ebd. Abb. 2 und 3) als Teile des ursprünglichen Hochaltars von Santa Maria degli Angeli. Gail E. Solberg (194-209) postuliert die Gestaltung des Altarbildes in San Pier Maggiore (Jacopo di Cione; ca. 1370; Polyptychon, teilweise in London) als "visuelle Erinnerung" in Form eines "Hochzeitszeremoniells" (194), das die Investitur des jeweils neuen Florentiner Bischofs als oder im Ritual der symbolischen Hochzeit reflektiere. Diese Deutung impliziere einen an Rom orientierten und dort ähnlich verstandenen Kontext von Krönung Mariae und Loyalität der Kommune gegenüber der römischen Kirche und somit hier wie dort eine "zusätzliche Information" (204 f.) in besagtem Kontext. Warum diese "zusätzliche Information" nicht für die anderen Marienkrönungen gelten sollten, so dass diese auch - oder eben nicht - das Investiturzeremoniell reflektierten, wurde allerdings nicht deutlich genug dargestellt. Ebenso wenig wird mitgeteilt, in welchem Verhältnis Vermählung (Christi, Mariae), Sponsus-Sponsa-Motiv und Marienkrönung bzw. Mariae Himmelfahrt in Beziehung zum Polyptychon aus San Pier Maggiore stehen. Sollte hier die dortige Abb. 4, rekonstruiert für die Predella, das Schlüsselbild sein, so überlässt die Autorin den Lesern, dies zu erraten (vgl. 194) und überschüttet geradezu im Anschluss mit Material, das mit dieser Deutung nur wenig bis nichts gemein hat. Ingeborg Bähr schließlich widmete sich den Heiligengräbern in Siena (210-222). Diese seien nicht immer als aufwendige Grabmalarchitekturen ausgeführt worden, sondern auch als hölzerne Kästen, wie sie sich etwa in der Pinacoteca Nazionale in Siena befinden (Abb. 4-6). Sie könnten als kleine zweitürige (Reliquien-) Schreine ausgeführt worden sein und der Verehrung der Heiligen gedient haben.
Dem Text folgen ein gemeinsames Literaturverzeichnis, Autorenverzeichnis, englische Zusammenfassungen und ein Register. Format, Ausstattung der von der DFG geförderten Tagung und des Bandes stellen, so auch Eclercy in seiner Rezension (siehe oben), einen wichtigen Meilenstein in der Erforschung der italienischen Malerei des Due- und des Trecento dar. Das Buch trägt lediglich den falschen Titel und evoziert bei Lesern Hoffnungen, die nicht erfüllt werden, während die Autoren alle möglichen Kunststücke zu vollbringen versuchen, die nicht zum Thema (Ikonografie, Malerei etc.) passen.
Gottfried Kerscher