Rezension über:

Eva-Maria Lackner: Republikanische Fora, München: Biering & Brinkmann 2008, 397 S., ISBN 978-3-930609-55-0, EUR 148,00
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Rezension von:
Bernhard Linke
Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Linke: Rezension von: Eva-Maria Lackner: Republikanische Fora, München: Biering & Brinkmann 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 4 [15.04.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/04/16104.html


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Eva-Maria Lackner: Republikanische Fora

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Betrachtet man das Interesse der archäologischen Forschung der zurückliegenden Jahrzehnte für den griechischen und römischen Kulturraum im Vergleich, ergibt sich eine auffällige Asymmetrie. Während für die griechische Frühzeit eine intensive Schwerpunktsetzung erkennbar ist, die zu vielfältigen Neuinterpretationen der historischen Abläufe beigetragen hat, liegt bis heute das nicht-griechische Altitalien im Windschatten der Forschung. Insbesondere für den römischen Herrschaftsbereich zur republikanischen Zeit gibt es zwar Einzelforschungen, doch bleibt die archäologische Erschließung dieser Epoche eher unbefriedigend. Die Konzentration auf die im Entstehen begriffene imperiale Metropole lenkt das Interesse in das Zentrum und lässt die Bedeutung der Peripherie verblassen. Allein vor diesem Hintergrund darf man der Autorin dankbar sein, dass sie sich an eine umfassende Synopse der architektonischen und urbanen Relikte der Fora in Italien der republikanischen Zeit gewagt hat.

Die Arbeit von Eva-Maria Lackner zerfällt in zwei große Teile. Der erste Hauptteil bietet einen Katalog, in dessen Rahmen die Fundlage zu den Kolonien im alten Italien in alphabetischer Reihenfolge dargelegt wird (11-212). Dabei beginnt die Darstellung der Einzelfälle mit einer knappen, aber informativen Übersicht mit den wichtigsten Daten zu der betreffenden Kolonie: Gründungsdatum, Status, Vorgängerbesiedlung, bekannte historische Ereignisse, Lage und Verkehrsverbindung. Nach einer Vorbemerkung zur topographischen Lage wird das archäologische Material zur Stadt allgemein, zum Forum, und zu extra-urbanen Heiligtümern dargelegt. Wenn dabei eine markante chronologische Differenzierung der Fundsituationen möglich ist - wie z.B. im Falle von Ardea oder Cora, wird dies in der Darstellung durch Unterpunkte berücksichtigt.

Insgesamt bietet schon dieser erste Teil dem Leser eine Fülle von Angaben, die die Autorin mit hoher Präzision und einem stupenden Arbeitsaufwand zusammengetragen hat. Ohne in Spekulation zu verfallen, wird jeweils ein genaues Bild der Fundlage gegeben, das durch profunde Eigeninterpretationen abgerundet wird. Sowohl der Leser, der sich einen allgemeinen Überblick zur urbanen Entwicklung in dieser Epoche verschaffen will, als auch der Rezipient, der zu einzelnen Orte konkrete Fragestellungen hat, wird diesen Teil der Arbeit mit großem Gewinn zur Hand nehmen.

Der zweite Hauptteil ist dann der 'Konzeption und Entwicklung urbaner Zentren im römischen Italien zwischen hegemonialem Ideal und realer Ausformung' gewidmet. In einem ausführlichen Einleitungsteil werden die historische Entwicklung der römischen und latinischen Kolonien rekonstruiert und unsere Informationen zu deren institutionellen Aufbau zusammengefasst. Dieser Abschnitt ist umso wichtiger, als die verschiedenen Stadien in der Entwicklung des Rechtsstatus der römischen Neugründung selbst in der althistorischen Forschungsliteratur nicht immer ihrer hohen Bedeutung entsprechend präsent sind. Der Übergang von latinischen Kolonien zu großen Bürgerkolonien im zweiten Jahrhundert v. Chr., die kaum über eine institutionelle Infrastruktur verfügten, ist von eminenter Bedeutung für die Frage nach der Konstruktion von Staatlichkeit in der hohen Republik. Lackner betont zu Recht, die dramatische Reduktion der staatlichen Organisationstiefe, die mit diesem Wechsel verbunden war. Die Dichte staatlicher Infrastruktur war in der republikanischen Zeit also nicht einem simplen linearen Vertiefungsprozess unterlegen, sondern konnte auch für viele Bürger abnehmen, wenn man in eine der neuen Kolonien wechselte. Im terminologischen Bereich wünschte der Leser sich etwas mehr Vorsicht bei der Verwendung von Begriffen wie z. B. 'Verfassung'. Auch ob die Römer damit einverstanden gewesen wären, den Senat als das höchste Organ ihres Staates zu bezeichnen, ist fraglich (219).

Nach dieser historisch-staatsrechtlichen Rahmung kehrt die Arbeit zu ihrem Kernthema, der architektonischen Ausgestaltung der öffentlichen Räume, zurück. Nun werden die Kolonien nach urbanistischen Parametern geordnet, wobei sie verschiedenen Typen der Stadtanlage, wie dem 'topologischen Typus' oder dem 'Fischgrat-Typus' bzw. ihren Mischformen, zugerechnet werden. Den Abschluss bildet dann eine ausführliche Tabelle zu verschiedenen urbanistischen Merkmalen der einzelnen Städte (Fluss- oder Meeresanbindung, Lage in der Ebene oder auf dem Berg, Tempel etc.).

In einem kurzen, aber interessanten Zwischenkapitel werden das Vorhandensein einer Arx und vor allem eines Tempel für den capitolinischen Jupiter analysiert. Dabei zeigt es sich, dass keineswegs regelmäßig ein Jupiter-Tempel nachzuweisen ist. Im Gegenteil, zumeist wird seine Existenz lediglich von der Forschung als Notwendigkeit vorausgesetzt und dann entsprechend die Fundlage interpretiert. Ein Vorgehen, das die Autorin mit sicherem Gespür kritisch hinterfragt; auch damit eröffnet sie eine weitreichende historische Interpretationsperspektive für die weitere Forschung. Das Schlusskapitel ist der Ausgestaltung der Fora gewidmet, deren unterschiedliches architektonisches Erscheinungsbild wieder in einem breiten Überblick dargelegt wird. Kernergebnis ist dabei, dass sich latinische Kolonien und Bürgerkolonien im zweiten Jahrhundert v. Chr. angleichen. Bei den latinischen Kolonien verlieren die politischen Funktionalbauten an Bedeutung und bei den Bürgerkolonien entstehen Fora. Nach dem Darstellungsteil folgt in der Arbeit auf 58 Seiten ein ausführlicher Abbildungsteil, in dem sich die Grundrisspläne der Kolonie in hervorragender Qualität wiederfinden und am Ende eine dreiteilige Synopse zur architektonischen und urbanistischen Gestalt der Kolonien gegeben wird.

Die Qualität der Arbeit in einer Synthese wertend zusammenzufassen, ist in dem vorliegenden Fall bemerkenswert leicht: Es handelt sich sowohl hinsichtlich der Materialaufarbeitung als auch bezüglich der historischen Analyse um eine herausragende Studie, die die Fähigkeit der Autorin erweist, die materielle Fundlage mit komplexen Abläufen der politischen Entwicklung der römischen Hegemonie zu verbinden. Damit ist es ihr gelungen, für ein schwieriges und wichtiges Thema für die weitere Forschung Grundlagen zu legen und Impulse zu geben.

Bernhard Linke