Rezension über:

Reinhard Seyboth (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Vierter Band: Reichsversammlungen 1491-1493 (= Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe; Bd. 4), München: Oldenbourg 2008, 2 Bde., 1402 S., ISBN 978-3-486-58142-3, EUR 248,00
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Rezension von:
Paul-Joachim Heinig
Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Paul-Joachim Heinig: Rezension von: Reinhard Seyboth (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Vierter Band: Reichsversammlungen 1491-1493, München: Oldenbourg 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 6 [15.06.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/06/14188.html


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Reinhard Seyboth (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I.

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Welche außerhalb des Rezensenten liegenden Gründe die Besprechungsverzögerung dieses noch von Heinz Angermeier (†2007) eingeleiteten, aber erst nach dessen Tod erschienenen vierten Bandes der "mittleren" Reichstagsakten auch immer verursacht haben mögen (weswegen der seltene Fall eingetreten ist, dass vor dieser Online-Rezension bereits ausführliche Voten in einigen Printmedien vorliegen): Zwischen der Instruktion Großfürst Ivans III. von Moskau vom 16. August 1490 für die Gesandtschaft Jurij Trachaniots, "des Griechen", an König Maximilian (Nr. 441) und Jurijs am 22. Mai 1493 in Lübeck verfassten Bericht über seine zweite Mission (Nr. 1053 Anm. 1) breiten die beiden Teilbände unter 1084 Nummern wohl annähernd 1500 Schriftstücke aus. [1] Die Bündnisbeziehungen zu Moskau sind denn auch einer der aufregendsten Themenkomplexe, die von diesem Reichstagsaktenband nahezu exklusiv erschlossen werden. Sie richteten sich gegen Polen, wo die Jagiellonen die habsburgischen Ansprüche auf Ungarn (und Böhmen) ignorierten. Deren Durchsetzung schenkte Maximilian sehr zum Verdruss seines Vaters und zum Nachteil des praktischen Erfolges nicht das einzige Augenmerk, sondern er suchte sich gleichzeitig mittels der (auch vom Bearbeiter wohl zu Recht als von vornherein hybrid, wenn nicht abenteuerlich klassifizierten) bretonischen Heirat, also durch einen ähnlichen Zangengriff, an der aktuell geschwächten Krone Frankreich für alles ihm im burgundischen Erbfolgekrieg bereitete Ungemach zu revanchieren. Die Spannungen zwischen dem alten Kaiser und dem jungen König beschränkten sich aber nicht einfach auf die Frage einer Ost- oder Westorientierung der dynastischen und Reichs-Politik. Vielmehr war Maximilian viel stärker als sein in derlei Fragen gar nicht elastischer Vater bereit, die für seine ebenso entgrenzten wie sprunghaften Vorhaben unabdingbare militärische und finanzielle Hilfe der Reichsstände durch ein Entgegenkommen gegenüber deren emanzipativen "Reform-"Forderungen zu vergelten.

Einzigartig fokussiert wird alles dies in einem Brief (Nr. 421), in welchem der Kaiser am 1. Mai 1491 seinen auf dem Nürnberger Reichstag weilenden Sohn vor dem argumentativen Novum der Reichsstände warnte, sie seien Kaiser, König und Reich nicht aufgrund des lehnrechtlichen Treuegedankens zu Hilfe verpflichtet, sondern erbrächten diese ohne rechtlichen Zwang freiwillig. Niemand hat diesen Brief bis heute eindrücklicher charakterisiert als Eberhard Isenmann, welcher ihn schon 1983 "entdeckt" und nicht zufällig an das Ende seiner Tübinger Habilitationsschrift gestellt hatte [2]: "Es gibt wohl kaum ein anderes Dokument von kaiserlicher Seite, das die obrigkeitliche Herrschaftsauffassung der so glanzlosen Ära Friedrichs III. so einleuchtend und eindeutig aufschließt wie dieser Brief an Maximilian, der ein beschwörendes verfassungspolitisches Vermächtnis und zugleich eine Abrechnung mit der reichspolitischen Haltung der Stände darstellt ... "

Dieser Brief steht pars pro toto für die Fülle der Texte, die Reinhard Seyboth gewohnt akribisch aus insgesamt 58 deutschen und europäischen Archiven und Bibliotheken zusammengetragen hat. Die von ihm in einer sehr umfänglichen Einleitung in einen neuerlichen (zuletzt Susanne Wolf 2005 [3]) Deutungszusammenhang gestellten Quellen belegen und rechtfertigen abermals eindrucksvoll die beständige und unersetzliche Leistung der "Reichstagsakten": die Bereitstellung und Erschließung des zur Beantwortung einer Fülle von Fragestellungen im Scheitel von Mittelalter und Früher Neuzeit unabdingbaren Basismaterials. Etliche "gescheiterte" Reichstage dieser Zeit (die aber vielleicht als herrscherliche Gefolgschaftsversammlungen mittelalterlicher Manier gedacht waren und somit nur für diejenigen Zeitgenossen oder nachlebenden Historiker "gescheitert" waren, die von einem "Reichstag" mehr erwarteten) lassen den Band von seinem eigentlichen Sujet "Reichstag" besonders weit entfernt sein. Dadurch tritt monarchisches Tun im Allgemeinen und die heute zu Recht viel höher als früher eingeschätzte Aktivität des Kaisers im Besonderen noch deutlicher als sonst hervor, oder anders: Mangels eines Eigenlebens der "gescheiterten" Tage überwiegen die konzeptionellen, kommunikativen und organisierenden Quellen habsburgischer Provenienz. [4] Konkret erschlossen wird das sich "gestaltend verdichtende" Reich in der letzten Phase einer ersten, zwangsläufig prekären habsburgischen Doppelregierung sowie - nicht weniger prägnant - am Vorabend der Reichsreform von 1495. [5] Deren unerlässliche Voraussetzung, das zeigt dieses Kompendium einmal mehr überdeutlich, war der Tod des diesbezüglich völlig unzugänglichen Kaisers. Dessen Ableben im August 1493, nicht die Königswahl Maximilians (1486), bildet die eigentliche Zäsur in der Reichsgeschichte. Der Band verdeutlicht zugleich die Stellung dieses Reiches innerhalb des beginnenden Mächteeuropas mit seinen durch rigoros agierende Dynasten (einschließlich der Habsburger) und ihrer Bündnispolitik heraufbeschworenen Staatenkonflikten und besitzt somit eine gediegene europäische Dimension.

Die Darbietung des Materials als Volltext, Teiledition oder Regest ist gewohnt zuverlässig, einschließlich der Angaben zu den Standorten der Vorlagen und einem wissenschaftlichen Apparat inklusive weiterführender Literatur. Die Kommentierung ist natürlich nicht unanfechtbar, aber durchweg gelehrt und zweckmäßig. Der Übersichtlichkeit kommt das obligatorische chronologische Verzeichnis aller erwähnten Texte (1291-1338) ebenso sehr zugute wie ein um Sachlemmata angereichertes Personen- und Ortsregister. Scheint man sich diesbezüglich an den besten Beispielen der "älteren" Reihe orientiert zu haben, so hat man z.B. die gegliederte Erweiterung der Kopfregesten von der "jüngeren" Reihe übernommen. Ein ebensolches Aufgreifen vorteilhafter Prinzipien bei gleichzeitigem Beibehalten der hier so eindrücklichen Umfänglichkeit (z.B. bei der Archivrecherche) und Sorgfalt würde wohl auch der "älteren" Reihe besser bekommen als die Tendenz zu Reichstagsakten "light", die niemanden zufriedenstellen.


Anmerkungen:

[1] Tatsächlich folgen chronologisch noch drei weitere Stücken: zwei Mandate Kaiser Friedrichs III. vom 25. Mai aus Linz wegen der Juden im Reich und ein Schreiben Herzog Georgs von Bayern-Landshut an König Maximilian.

[2] Dieses leider ungedruckt gebliebene opus magnum ist seit 2008 über http://kups.ub.uni-koeln.de/volltexte/2008/2321/ einzusehen, so dass es bei der hier besprochenen Edition unbenutzt, der im dortigen Teil 3, S. 640f. gegebene Hinweis auf das (durch Korrekturen zur Reinschrift hin verschärfte) Konzept des Kaiserschreibens im HHStA Wien, Fridericiana 5, fol. 23-25v (pag. 323-328) unentdeckt blieb.

[3] Susanne Wolf: Die Doppelregierung Kaiser Friedrichs III. und König Maximilians (1486-1493). Grundlagen und Probleme habsburgischer Reichsherrschaft am Ende des Mittelalters (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer: Regesta Imperii, 25), Köln-Weimar-Wien 2005.

[4] Dem versuchte man hier auch terminologisch gerecht zu werden: Heinz Angermeier spricht im Vorwort (13) vom Nürnberger Reichstag 1491 und anschließenden "Reichstagsversuchen", ja geradezu "gescheiterten Reichstagen" König Maximilians bis 1493, der Bearbeiter hingegen bezeichnet z.B. (53) und öfter die Nürnberger Versammlung wie alle folgenden (!) als königlichen Tag, der "alle wesentlichen Merkmale eines vollwertigen Reichstags" aufweise, und die Tage in Frankfurt, Metz, Koblenz, wieder Frankfurt und Colmar als tatsächliche oder projektierte Reichsversammlungen. Dem entspricht die Terminologie der Materialanordnung.

[5] Siehe z.B. schon den so genannten "Reichsordnungsplan" König Maximilians von 1491 (Nr. 367-369) mit Vorschlägen zu Kammergericht, Reichstagen und Außenpolitik.

Paul-Joachim Heinig