Eckard Michels: "Der Held von Deutsch-Ostafrika". Paul von Lettow-Vorbeck. Ein preußischer Kolonialoffizier, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2008, 435 S., ISBN 978-3-506-76370-9, EUR 39,90
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Paul von Lettow-Vorbeck war ohne Frage einer der populärsten Heerführer des Ersten Weltkriegs. "Im Felde" gilt er bis heute als "unbesiegt" und nicht nur die Londoner Times huldigte den deutschen General nach dessen Tod im Jahre 1964. Auch DER SPIEGEL [1] und zahlreiche andere Stimmen würdigten den Kolonialgeneral als beispielhaften Soldaten (10-11, 343-344). Eckard Michels Biographie geht es anders als der Titel zunächst vermuten lässt indes vor allem darum, diesen Mythos zu dekonstruieren. Dabei widmet sich Michels nicht nur der Person, sondern auch dem öffentlichen und zum Teil politisch genutzten Identifikationsobjekt Lettow-Vorbecks, sowohl in der Weimarer Republik als auch der jungen Bundesrepublik. Der General soll dabei in Anlehnung an Hagen Schulze und Etienne François als "kolonialer und militärischer Erinnerungsort" dem tatsächlichen Geschehen in Ostafrika gegenübergestellt werden. (13)
Zu diesem Zweck gliedert sich die Studie in drei gut aufeinander abgestimmte und austarierte Hauptkapitel, in denen der Autor zunächst den Vorkriegswerdegang (25-118), das Kommando in Ostafrika im Ersten Weltkrieg (119-244) und schließlich die weniger bekannte späte Karriere und Heldenverehrung Lettow-Vorbecks nachzeichnet (245-354).
Für Michels war Lettow-Vorbeck ein typischer Vertreter des ostelbischen Kleinadels, der sich durch militärische Leistungen einen Platz in der Geschichte suchte. Statt aber den militärisch wohl eher unbefriedigenden, weil mit mühseligen Aufstiegchancen verbundenen Dienst im Reich anzutreten, wählte Lettow-Vorbeck zielbewusst den schnellen und sichereren Aufstieg über eine Verwendung in Übersee. Zunächst in China gegen die Boxer (1900-1901) und dann in Deutsch-Südwestafrika gegen die Herero und Nama (1904-1907) lernte er die imperiale Kriegführung kennen und konnte gerade bei seinem Förderer Lothar von Trotha auf sich aufmerksam machen. Anders als viele seiner Kameraden im Garderegiment, die sich in der Heimat oftmals in der so genannten "Majorsfalle" wiederfanden, gelang ihm auf diese Weise eine geradezu blitzartige Karriere. Noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurde er mit nur 43 Jahren, also drei bis fünf Jahre früher als üblich, zum Oberstleutnant befördert (116).
Seinen nachhaltigen Ruhm erreichte er wenige Monate später in Deutsch-Ostafrika, als er die kleine deutsche Schutztruppe gegen die britische Übermacht befehligte und mit seinen vermeintlich "treuen Askaris" die britischen Verbände über Tausende von Kilometern beinahe über die gesamte Dauer des Ersten Weltkrieges beschäftigt hielt. Erst zwei Wochen nach Beendigung des Krieges kapitulierte er und erhielt wenig später einen umjubelten Empfang in Berlin. Neben Paul von Hindenburg avancierte er damit zum beliebtesten General des Ersten Weltkrieges, dem auch seine Gegner ausnahmslos großen Respekt zollten. Er wurde sogar nach England zu Veteranen-Treffen eingeladen und auch die Askari gedachten ihm noch lange nach seinem Tod (306-310, 348). Gleichwohl spürte Michels die Kehrseite des Mythos auf. Danach war Lettow-Vorbeck vielleicht ein brillanter Taktiker des Kleinkrieges, vermochte aber sein Vorgehen wie auch seine Erfolge nicht in den strategischen Gesamtzusammenhang des Krieges einzuordnen. Statt Deutschland auf dem europäischen Kriegsschauplatz zu entlasten, trug er mit seiner Politik der verbrannten Erde vielmehr maßgeblich zu der "humanitären Katastrophe" zwischen 1914 und 1918 in Afrika bei (236), ohne dass die vereinzelten Erfolge eine größere Wirkung auf die Entscheidungsschlachten an der Westfront gehabt hätten. Sein "Meisterplan" erwies sich damit schon frühzeitig als illusorisch, ohne dass Lettow-Vorbeck etwas an seinem Vorgehen änderte. Von einem "ritterlichen Krieg" kann damit sicher nicht mehr die Rede sein. Gleichwohl fällt der etwas moralische Duktus der Studie zu deutlich aus, denn weshalb hätte sich Lettow-Vorbeck anders verhalten sollen als seine Gegner, die über eine Million Träger zum Kriegsdienst pressten und in deren Augen schwarze Soldaten ohnehin bloß als Kanonenfutter angesehen wurden (234). Lettow-Vorbeck bewies ihnen zumindest das Gegenteil. Aber auch politisch erwies sich der anhaltende und hartnäckige Widerstand seiner Truppen im höchsten Maße kontraproduktiv, da die Alliierten damit den Eindruck gewinnen mussten, dass auch ein Nachkriegsdeutschland niemals auf seine Kolonien verzichten würde (237).
Der Zusammenbruch 1918 kam für Lettow-Vorbeck einem Trauma gleich. An eine klaren Ordnung gewöhnt und klaren Hierarchien folgend wirkte die Nachkriegszeit wie eine permanente Bedrohung auf ihn und er reagierte auf die neuen Verhältnisse unbelehrbar mit Hass und Ablehnung. Ausdruck dessen war nicht zuletzt seine aktive Beteiligung am Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 (277-286). Mit seiner geradezu pathologischen Furcht vor dem Bolschewismus und seinem Streben nach einer Wiederherstellung der militärischen Großmachtposition Deutschlands, wurde er nach dem Krieg zu einem typischen Vertreter seiner militärischen Kaste und ein mehr als passiver Wegbereiter des 'Dritten Reiches'. Zwar lehnte er die NSDAP lange ab, glaubte aber wie die Kamarilla um Hindenburg daran, sie für die konservativen Ziele einspannen zu können (312-318).
In der zweiten Nachkriegszeit betrachtete sich Lettow-Vorbeck lediglich als Opfer, nicht aber als Mitverantwortlicher an den Fehlentwicklungen. In ihrer Suche nach übriggebliebenen Vorbildern war die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft nur allzu gern bereit, ihm diese Rolle abzukaufen und ihn als leuchtende Ausnahme und einen der wenigen positiven Erinnerungsorte für das gute Ansehen Deutschlands in Afrika darzustellen (334-338). Lettow-Vorbecks Vorbildfunktion empfahl sich aber auch politisch nicht nur wegen seines positiven Ansehens in Großbritannien, dem neuen NATO-Verbündeten, sondern auch weil sich die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Kaiserreiches im Systemkonflikt mit der DDR als Alleinvertreter deutscher Interessen in Afrika und in der Welt betrachtete (348, 362).
Insgesamt hat Eckard Michels mit seiner Biographie eine lesenswerte Studie über Paul von Lettow-Vorbeck vorgelegt, die weit mehr ist als eine Biographie des Weltkriegsgenerals. Sie liefert darüber hinaus eine kritische Analyse der kolonialen Kriegführung, des Kaiserreiches wie auch eine überaus reflektierte rezeptionsgeschichtliche Betrachtung Lettow-Vorbecks als Identifikationsfigur für die Nachkriegsgesellschaften Weimar-Deutschlands und der Bundesrepublik.
Anmerkung:
[1] Der Spiegel: Paul von Lettow-Vorbeck 12/1964, 73.
Andreas Rose