Albrecht Jockenhövel (Hg.): WBG Weltgeschichte. Band I: Vom Beginn bis 1200 v. Chr. (= WBG Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert; Bd. 1), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009, XVI + 496 S., ISBN 978-3-534-20104-4, EUR 58,20
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Gustav Adolf Lehmann / Helwig Schmidt-Glintzer (Hgg.): WBG Weltgeschichte. Band II: 1200 v. Chr. bis 600 n. Chr. (= WBG Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert; Bd. 2), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009, VIII + 500 S., ISBN 978-3-534-20105-1, EUR 58,20
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Gustav Adolf Lehmann: Alexander der Große und die "Freiheit der Hellenen". Studien zu der antiken historiographischen Überlieferung und den Inschriften der Alexander-Ära, Berlin: De Gruyter 2015
Gustav Adolf Lehmann: Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2008
Gustav Adolf Lehmann / Rainer Wiegels (Hgg.): Römische Präsenz und Herrschaft im Germanien der augusteischen Zeit. Der Fundplatz von Kalkriese im Kontext neuerer Forschungen und Ausgrabungsbefunde. Beiträge der Tagung des Fachs Alte Geschichte der Universität Osnabrück und der Kommission 'Imperium und Barbaricum' der Göttinger Akademie der Wissenschaften in Osnabrück, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007
Die beschleunigte Verflechtung der Welt in den letzten Jahrzehnten hat einer Gattung zu ungeahnter Konjunktur verholfen, die eine Zeit lang im modernen Wissenschaftsbetrieb antiquiert anmutete und als Angelegenheit einiger teils argwöhnisch beäugter Außenseiter galt: der Weltgeschichte. Schon längst betrachtet niemand mehr die Globalisierung mit ihren unübersehbar tiefgreifenden Auswirkungen als ein abstraktes, rein akademisches Phänomen. Zu den Reflexionen über die Fundamente der eigenen Kultur tritt seither nicht nur das Bedürfnis nach einer genaueren Kenntnis fremder Staatenwelten, sondern auch der Wunsch nach komplexeren Einsichten in die wechselseitige Beeinflussung der Zivilisationen generell. Nicht mehr, wie früher so häufig, als bloße Synthese von Nationalgeschichten, sondern als transkulturelle Geschichte, als Beziehungs- oder Differenzgeschichte, wird inzwischen die moderne Weltgeschichte geschrieben, die auf einem anspruchsvollen Theoriegebäude ruht. Keiner Rechtfertigung bedarf deshalb die nunmehr erscheinende, auf sechs Bände angelegte "WBG Weltgeschichte", die dezidiert aus dem Bewusstsein für globale Zusammenhänge und für die Notwendigkeit internationaler Kooperation erwachsen ist (Bd. 1: IX, VX, Umschlag).
Prononciert tragen die Herausgeber, assistiert von Joseph Fischer, einem früheren Bundesaußenminister, das ehrgeizige Programm vor, an dem ihr Unternehmen gemessen werden muss. Man beabsichtige, einen "im Zeichen der Globalisierung stehende[n] Gesamtüberblick über die Menschheitsgeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart" vorzulegen (Umschlag Bd. 1). Die verschiedenen Kulturen würden "nicht isoliert" betrachtet, so wird behauptet; stattdessen habe man eine "globale Perspektive" gewählt und die "Themenfelder logisch verzahnt". Geschaffen werden solle eine Grundlage, auf der künftig die Globalisierung "jenseits der Tagespolitik" erörtert werden könne (Fischer, IX f.). Die "Unterschiedlichkeit bei der Verfolgung von Lebens- und Wohlstandsicherungsinteressen in der Vergangenheit" sei, wie Herausgeber Schmidt-Glintzer versichert, "der Stoff der vorliegenden Darstellung" (XII). Was sodann an einzelnen Themen aufgelistet wird, die behandelt werden sollen, umfasst buchstäblich alle Bereiche des Geschichtlichen, die sich denken lassen. "Jede[r] an der Geschichte Anteil nehmende [...] Zeitgenosse [...]", fügt Schmidt-Glintzer selbstbewusst an, werde auf die "Weltgeschichte" nicht verzichten können (XVI). An diesem Anspruch aber sind die ersten beiden Bände im Ganzen dramatisch gescheitert.
Denn auch die "WBG Weltgeschichte" leidet an einem Defizit, das bei jeder Art von Universalgeschichte droht: Sie ist zu einer konventionellen Buchbindersynthese geworden. Womöglich liegt es bereits am Zuschnitt der Reihe, dass kaum eines der anfangs gegebenen Versprechen eingelöst wird. Aktuelle Ansätze der Universalgeschichtsschreibung werden nicht reflektiert, und bei weitem zu knapp fällt die grundlegende Einleitung von Schmidt-Glintzer aus, zu der es bezeichnenderweise keine Angaben im Literaturverzeichnis gibt. Zu wenig wurde bedacht, so scheint es, dass eine Weltgeschichte nicht zwingend in die tiefste Tiefe der Zeit reichen müsse; zu wenig, dass sie keine enzyklopädischen Absichten zu verfolgen brauche; zu wenig, dass sie problemorientiert ausgerichtet sein und "querdenkend an globale Zusammenhänge" herangehen müsse. [1] Der letzterwähnte Aspekt begegnet nur als Absichtserklärung im Vorwort. Zu besichtigen ist stattdessen der Versuch, die Geschichte der Globalisierung als totale Globalgeschichte zu schreiben, worauf die Herausgeber allerdings betont viel Wert legen (XIII-XVI). Gewiss wird man ein solches allumfassendes Vorhaben nicht als illegitim bezeichnen. Aber es übersteigt notwendig die Möglichkeiten einer Autorengruppe aus profilierten Persönlichkeiten, die niemand auf ein kohärentes und zugleich originelles Programm einzuschwören vermag, wie es am ehesten die individuelle Gestaltungskraft eines einzelnen, möglichst kompletten Gelehrten hervorbringt.
In der "Weltgeschichte" aber bleiben viele Autoren thematisch ihren gewohnten Bahnen verhaftet. Denn auch wenn für die einzelnen Abschnitte durchweg ausgewiesene Experten verantwortlich zeichnen, deren Kompetenz völlig außer Frage steht, so bieten sie doch meist nicht mehr als solide Zusammenfassungen jener Bereiche, in denen sie sich als Spezialisten betätigt haben. Nicht konstruktiv, sondern additiv ist diese Weltgeschichte angelegt. An einfallsreiche Darstellungen, wie sie Jürgen Osterhammel und Christopher Bayly zum 18. und 19. Jahrhundert oder auch David Christian mit seiner innovativen big history "Maps of Time" vorgelegt haben, reicht sie jedenfalls nirgends heran. Zwar heißt es, das Gesamtkonzept und die Struktur der Einzelbände seien von den Herausgebern gemeinsam erarbeitet worden (Fischer, X). Doch die Themen sind weitgehend am chronologischen Faden aufgereiht und nach geographischen Gesichtspunkten gegliedert; selten werden übergeordnete Fragestellungen verfolgt, und wenn, dann regelmäßig nur auf knappstem Raum, bisweilen sogar beschränkt auf Drittel- oder Viertel-Seiten. Von einer "logische[n] Verzahnung" der "Themenfelder" kann, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Rede sein, wie schon ein flüchtiger Blick in die Inhaltsverzeichnisse lehrt. Kulturgeschichtliche Fragestellungen kommen genauso wenig zu ihrem Recht wie die eminent wichtige Ideengeschichte. Vielmehr herrscht die Ereignisgeschichte klassischer Provenienz vor, die einen fatalen Verzicht auf inhaltliche Schwerpunkte nach sich zieht. So kommt es, dass wenig Überraschendes viel Raum einnimmt und man gleichzeitig einer Oberflächlichkeit begegnet, die sogar viele Einführungsdarstellungen hinter sich lassen. Die eigentlichen Themen der Reihe, die Potenzen der Geschichte und ihre Wechselwirkungen, verharren hingegen vielerorts im Dunkeln.
Die Schwächen der "Weltgeschichte" treten noch nicht so sehr im I. Band in Erscheinung. Dort folgen immerhin auf die Darstellung der Entwicklung des Menschen zwei lesenswerte Abschnitte über die Herausbildung der Sprachen (83-91) und über frühe Formen der Wirtschaft und das Siedlungswesen im Neolithikum (93-144). Später schließt sich, umrahmt von der Vorstellung der Frühen Hochkulturen und der "ferne[n]" Lebensräume (klingt die Überschrift nicht wie eine Reminiszenz an den Eurozentrismus, dem man abgeschworen haben wollte?), ein kulturgeschichtlich geprägtes Kapitel über die Kupfer- und die Bronzezeit an (295-364). Zu den Höhepunkten des ersten Teils zählt auch der prägnante, die Einzelergebnisse zusammenführende Ausblick (460-472) des Herausgebers Albrecht Jockenhövel.
Im II. Band jedoch dominiert vollends eine strenge Einteilung des Stoffes in separate, absichtsvoll voneinander getrennte Blöcke. Die Behandlung der antiken Staaten nimmt im Vergleich mit Asien bei weitem den größten Platz ein. In der Einleitung konzentriert sich Lehmann fast ausschließlich auf den Mittelmeerraum, streift kurz den Austausch zwischen Europa und Asien und konstatiert, dass die beiden Geschichtsräume sich "annähernd gleichzeitig, aber voneinander weitgehend unabhängig" entwickelt hätten (1). Sehr lange Übersichten schließen sich an, die kaum über Bekanntes oder leicht Erschließbares hinausgehen, zumal im Teil über die Asiatischen Großreiche, aber über weite Strecken auch in der Darstellung des Mittelmeerraumes. Zwar gelingt es etwa Bleckmann, die gesamte Geschichte Roms auf vierzig Seiten von den Anfängen bis zur Spätantike stringent nachzuzeichnen, doch verlautet nichts über die römische Kultur, und auch die politischen Systeme der jeweiligen Epoche, die Republik, die Kaiserzeit und die Spätantike, bleiben mit ihren Eigenarten seltsam konturlos und blass, mochten sie auch eine noch so große Nachwirkung im europäischen Denken entfalten. An einem ähnlichen Manko leidet der Abschnitt über die griechische Geschichte von Lehmann, der wenig über die Entstehung des Politischen sowie die Entwicklung der politischen Ideologie und des Demokratiegedankens mitteilt. Was danach zur griechischen Kultur ausgeführt wird, hat bestenfalls die Qualität dürftiger Handbuchartikel oder erschöpft sich in lieblosen Überblicken, so besonders das Kapitel über die (Natur-)Philosophie und Technik (Engster, 212-222). Fast überall vermisst man weitausgespannte Linien und übergreifende Zusammenhänge. In Stil und Substanz bestechen immerhin die Beiträge von Wiesehöfer über den Orient (47-67, 194-200, 281-297), von Baltrusch über das wechselhafte Verhältnis zwischen Römern und Juden (264-280) sowie von Schmidt-Glintzer über die Religionen der Seidenstraße (406-432). Nur in diesen Partien sieht man die Postulate einer modernen Weltgeschichtsschreibung verwirklicht.
Alles in allem enttäuscht die "WBG Weltgeschichte" also nicht nur als Weltgeschichte. Nach der Lektüre bleibt, was noch viel schlimmer ist, außerdem undeutlich, worin eigentlich, zumindest in seinen antiken Ursprüngen, das Wesen der westlichen Kultur besteht. Wer Näheres über sie erfahren will, muss beispielsweise, um zwei Neuerscheinungen zu nennen, die so unterschiedlichen wie gedankenreichen Bücher von Wilfried Nippel oder Heinrich A. Winkler zur Hand nehmen, die künftigen Universalhistorikern als Ausgangspunkte dienen mögen. [2] Für die globalisierte Welt von heute hat der Leser mit ihnen wertvolle Verständnishilfen zur Hand; Weltgeschichten freilich nicht.
Zur Ausstattung: Jeder Band enthält eine Fülle nützlicher Fotos, Graphiken und Karten. Die Register helfen für eine detaillierte Recherche nicht weiter, doch erwirbt man mit dem Kauf persönliche Zugangsrechte für eine Onlinefassung, die nach Erscheinen des letzten Bandes freigeschaltet wird.
Anmerkungen:
[1] So etwa Jürgen Osterhammel: Alte und neue Zugänge zur Weltgeschichte, in: Jürgen Osterhammel (Hg.): Weltgeschichte, Stuttgart 2008, 9-32, hier: 17ff.
[2] Wilfried Nippel: Antike oder moderne Freiheit, Frankfurt a.M. 2008; Heinrich A. Winkler: Geschichte des Westens, München 2009.
Nils Steffensen