Athina Lexutt: Die Reformation. Ein Ereignis macht Epoche, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, 226 S., ISBN 978-3-412-20304-7, EUR 22,90
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Die Autorin, Professorin für Kirchengeschichte am Institut für Evangelische Theologie der Universität Gießen, geht in ihrem Buch der Frage nach, "ob und in welcher Hinsicht von der Reformation als Epoche gesprochen werden kann". Dies ist ihrer Einschätzung nach die zentrale Frage, denn sie bewege "die Gemüter zu recht", da "einiges von der Beantwortung der Frage" abhänge (10). Was genau das sein soll, bleibt unscharf, deutlich aber wird, dass die bereits in den späten 70er Jahren des letzten Jahrhunderts im Sonderforschungsbereich 8 "Spätmittelalter und Reformation" an der Universität Tübingen zwischen dem Kirchenhistoriker Heiko Augustinus Oberman und den beiden "Profan"historikern Josef Engels und Ernst Walter Zeeden mit Verve diskutierte Frage, ob die Reformation als Umbruch zu werten oder ob aufgrund der Kontinuitäten zum Spätmittelalter Zurückhaltung bei dieser Bewertung geboten sei, aufs Neue diskutiert werden soll, mit anderen Worten: Die Autorin will den theologischen Gehalt der Reformation fokussieren, um ihn vor der Nivellierung durch historische Kontinuitätsanalysen zu bewahren.
Sie beginnt mit Definitionen ihrer beiden zentralen Begriffe. Eine Epoche ist ihrer Meinung nach ein "weitgehend homogener Zeitabschnitt" (20) - was sicher nicht die einzig mögliche Definition ist -, Reformation ist die "theologische, religiöse, politische und soziale Bewegung des 16. Jahrhunderts, die in der über die Pauluslektüre gewonnene Erkenntnis Martin Luthers von der Rechtfertigung des Gottlosen ihren Anfang nahm, in eine Kritik an Kirche und Theologie der Zeit mündete und sich in ihrer institutionellen und lehrhaften Konsolidierung mit den politischen und kirchlichen Strukturen einerseits und den althergebrachten Lehrmeinungen andererseits so sehr rieb, dass schließlich eine Trennung zwischen den Anhängern dieser Bewegung und den traditionellen Kräften unausweichlich wurde" (21) - eine Definition, bei der einige Begriffe, die zur Definition eingesetzt werden, ihrerseits nach Definition verlangen (politische und kirchliche Strukturen einerseits, althergebrachte Lehrmeinungen andererseits; traditionelle Kräfte). Bemerkenswert ist auch, dass die Autorin bereits in der Einleitung ihre Leitfrage beantwortet ("Die Reformation ist also eine Epoche", 25), da doch noch rund 200 Seiten folgen, auf denen die Beantwortung der Frage eigentlich hergeleitet werden sollte.
Die eigentliche Darstellung beginnt mit dem Jahr 1517. Im ersten Teil ("Das Werden - 1517-1525") folgt Lexutt den Ereignissen bis zum Wormser Reichstag, widmet sich auf zwei Seiten den Anfängen der Reformation in der Schweiz unter Zwingli, um sich dann ausgehend von den Wittenberger Unruhen dem radikalen Flügel der Reformation der Chronologie vorausgreifend bis zum Täuferreich von Münster zuzuwenden. Ein knappes Kapitel über den Bauernkrieg beschließt den ersten Teil. Der zweite Teil ("Die Konsolidierung - 1525-1555") folgt dem Gang der Ereignisse, unterbrochen durch eine äußerst knappe Darstellung der Anfänge der Reformation in England (111f.) und schließend mit einer knappen Darstellung der Genfer Reformation unter Johannes Calvin. Der dritte Teil ("Die Unumkehrbarkeit - 1555-1580") thematisiert die katholische Reform und die innerprotestantischen Streitigkeiten und schließt mit zwei knappen Kapiteln zum Fortgang der Reformation in Frankreich, England und den Niederlanden sowie zu den reformatorischen Entwicklungen in Nord- und Osteuropa. Bemerkenswert ist angesichts der in der Einleitung erklärten Absicht des Buches, dass die theologische Seite der Reformation in diesen drei Kapiteln nicht thematisiert wird, sie verstehen sich als eine "Parforceritt durch die geschichtlichen Ereignisse" (144).
Der Reformation als theologischem Ereignis widmet sich Lexutt erst ab S. 145, nachdem sie festgestellt hat: "Vielleicht wäre es redlicher, diesen Teil auszulassen - aber das käme der Amputation eines entscheidenden Gliedes der Reformation als Ereignis und Epoche gleich" (145). In knappen Skizzen charakterisiert sie das jeweils Spezifische der theologischen Konzepte der "der vier großen Theologen der Reformationszeit" (168), Martin Luthers, Ulrich Zwinglis, Philipp Melanchthons und Johannes Calvins, ohne diese aber an den "Parforceritt durch die geschichtlichen Ereignisse" zurückzubinden. Hier wäre der Ort gewesen aufzuzeigen, welche politischen Optionen mit den unterschiedlichen theologischen Positionen verbunden waren bzw. verbunden werden konnten. Hilfreich sind die sich anschließende Erörterung des theologischen Normgehalts der lutherischen und reformierten Bekenntnisschriften sowie des anglikanischen Bekenntnisses und die Betrachtung der theologischen Diskussionen bis 1648, die allerdings auch wieder sehr knapp gerät. Insbesondere die Streitpunkte der lutherischen Orthodoxie um die Deutungshoheit nach Luthers Tod erschließen sich - zumindest in ihren historischen Auswirkungen - nicht.
Im Schlusskapitel wird die Bedeutung der Kirchengeschichte für die Erforschung und Darstellung der Reformation festgehalten. Als Fazit hält Lexutt fest, dass die Kirchengeschichte "immer wieder den Finger auf die theologische Seite der Reformation zu legen" habe, "ohne die eine Wahrnehmung, erst recht eine Darstellung der Epoche unmöglich gelingen kann": "Nur so wird das Epochale des Zeitabschnitts deutlich, und eine Profangeschichte, die den theologischen Impetus als historisches Faktum ernst nimmt, wird sich nicht verschließen können, darin ebenfalls den epochalen Charakter zu entdecken" (211).
Allerdings sind bei Lexutt weitaus mehr Verkürzungen zu verzeichnen als in der Regel bei den "Profan"historikern. So sind ihrer Meinung nach 1555 viele weltliche Fürsten evangelisch geworden, weil ihnen auf diese "Weise der nicht zu unterschätzende Kirchenbesitz" zufiel (120). Andere Interpretationsmöglichkeiten, bei Profanhistorikern in der Regel zu finden, bietet sie nicht an. Außerdem sieht sie im Streben nach politischer Autonomie einen "Zug der Zeit", und dies bedeutet ihrer Meinung nach "in den meisten Fällen notwendig eine Ablösung von Rom, und wie sollte die in jener Zeit unmissverständlicher geschehen als mit einer Hinwendung zur Reformation?" (144) Welche Motive dafür sprechen konnten, sich nicht der Reformation zuzuwenden, wird nicht einmal angedeutet.
Ärgerlich sind eine Reihe von Fehlern, die dem Lektorat entgangen sind: An der Wende zum 16. Jahrhundert soll die das "Mittelalter bestimmende Ständestruktur" auseinander gebrochen und das Raubrittertum entstanden sein (32), zudem die bürgerliche die höfische Kultur abgelöst haben (32), im 17. Jahrhundert "die Kurwürde Böhmens auf Bayern übergegangen" sein (29). Merkwürdig muten in einem Buch mit wissenschaftlichem Anspruch Formulierungen an wie "Die Welt war gerade dabei ihre Eierschalen abzustreifen und mit staunenden Augen sich selbst wahrzunehmen. Sich, die Natur, die Menschen, die Texte" (33) oder auch die Bezeichnung der englischen Reformation als "ein Kabinettstückchen der Reformationsgeschichte" (111). Des Schlusssatz des Buches "Die Reformation entfaltet ihre epochale Wirkung auch in unseren Tagen" (212) stellt nochmals unter Beweis, dass der Begriff epochal recht beliebig verwendet wird, denn die Homogenität zwischen der Zeit der Reformation und unserer Zeit soll damit wohl kaum konstatiert werden.
Wer sich den theologischen Gehalt der Reformation erschließen will, für den kann der zweite Teil des vorliegenden Buches nützlich sein; er hat aber auch zahlreiche andere Publikationen von Kirchenhistorikern zur Auswahl. [1] Ist man hingegen an den historischen Zusammenhängen interessiert, sollte man selbst für einen Parforceritt durch die geschichtlichen Ereignisse auf profundere Darstellungen zurückgreifen.
Anmerkung:
[1] Jüngstes Beispiel: Thomas Kaufmann: Die Geschichte der Reformation, Frankfurt am Main 2009.
Helga Schnabel-Schüle