Uwe Backes / Patrick Moreau (eds.): Communist and Post-Communist Parties in Europe (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung; Bd. 36), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, 660 S., ISBN 978-3-525-36912-8, EUR 76,90
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Mit dem Ende des Ostblocks und dem Scheitern des "real existierenden Sozialismus" schwand auch das Interesse am Kommunismus und den kommunistischen Parteien. Anstatt sich mit einem vermeintlichen Relikt des politischen Systems des Kalten Kriegs zu beschäftigen, gerieten aufgrund tagespolitischer Ereignisse nationalistische und rechtsgerichtete Parteien ins Visier der Forschung und der Öffentlichkeit. Gegen diesen Trend veranstaltete das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung im September 2005 die Tagung "Taking Stock of Communist and Post-Communist Parties in Europe". Die Ergebnisse der Konferenz wurden 2008 im Sammelband "Communist and Post-Communist Parties in Europe" veröffentlicht. Als Herausgeber fungierten die Politologen Uwe Backes, stellvertretender Direktor des Hannah-Arendt-Instituts, und Patrick Moreau, Mitarbeiter des Centre National de la Recherche Scientifique (Paris).
Den Schwerpunkt des Bandes bilden 17 länderspezifische Fallstudien aus West-, Nord-, Süd- und Osteuropa. Darüber hinaus widmet sich Galina Michaleva in ihrem Beitrag Russland. Die Autoren, die vielfach durch Forschungen als Kenner der Kommunismusforschung ausgewiesen sind, beschäftigen sich in erster Linie mit der Frage nach Kontinuität und Wandel der kommunistischen und postkommunistischen Parteien in Europa nach dem Fall des Ostblocks. Einige Beispiele seien im Folgenden angeführt.
Die Politologen Stéphane Courtois und Dominique Andolfatto zeichnen die Entwicklung der Kommunistischen Partei Frankreichs nach und machen für deren seit 1978 zu konstatierenden Niedergang interne Strukturschwächen und das orthodoxe Festhalten an der marxistisch-leninistischen Ideologie verantwortlich. Auch in weiteren Beiträgen über ehemals einflussreiche kommunistische Parteien in West-, Nord- und Südeuropa - wie im Aufsatz von Simone Bertolino über Italien - wird deutlich, dass die Unfähigkeit, sich veränderten weltpolitischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, hauptverantwortlich für den Machtverlust war. Dabei habe die Idee des Eurokommunismus diesen Prozess verstärkt, da sie aufgezeigt habe, dass auch ein von Moskau unabhängiger Weg nicht unmöglich erschien. Nutznießer dieses Wandels waren sozialistische und sozialdemokratische Parteien, deren Parteiführer es verstanden, sich seit Ende der 1970er Jahre als eigentliche Motoren dringender Reformen zu inszenieren.
In Ländern, in denen die kommunistischen Parteien während des Kalten Krieges nur eine marginale politische Rolle spielten, fand eine nahezu entgegengesetzte Entwicklung statt. Ein gutes Beispiel hierfür bietet Deutschland: Patrick Moreau schildert den Niedergang und die Renaissance des Kommunismus anhand der PDS und der Linkspartei. Diesmal seien es die postkommunistischen Parteien, die von der aktuellen sozioökonomischen Krise und der Schwäche der sozialdemokratischen Partei profitieren und sich am linken Rand des Parteienspektrums als starke politische Kraft etablieren könnten.
In den ehemaligen Staaten des Ostblocks habe der Wille zur Selbstbefreiung und zur Reform zu einem Zusammenbruch der traditionellen politischen Landschaft geführt. Auf verschiedenen Wegen und mit unterschiedlichem Erfolg hätten ehemalige Kommunisten versucht, sich mit der neuen Situation zu arrangieren. Während sich nach Ansicht von Miroslav Marešin in Tschechien nach wie vor eine starke "authentische" kommunistische Partei behaupte, hätten sich in der Slowakei sozialdemokratische Parteien durchgesetzt. Sowohl für Polen wie auch für Weißrussland stellen Piotr Sula und Rudolf A. Mark eine Kontinuität der politischen Eliten fest. Dort hätten sich die postkommunistischen Parteien fest ins Parteiensystem integriert und mittlerweile auch etabliert. Sula zweifelt jedoch am Bekenntnis der Nachfolgeparteien zum demokratischen Wertesystem.
Eine zweite Gruppe von Aufsätzen beschäftigt sich mit der internationalen Vernetzung der postkommunistischen Parteien und der Gewerkschaften, der Rolle des Kommunismus in Zeiten der Globalisierung und bietet eine ländervergleichende Bilanz. Darin kommen Backes und Moreau zum Ergebnis, dass auch nach dem Niedergang des "real existierenden Sozialismus" der Kommunismus als Kern einer "politischen Religion" bestehen geblieben sei. Die Erben der kommunistischen Parteien befänden sich in einem Erneuerungsprozess und würden versuchen, mithilfe moderner sozialer Bewegungen wieder mehr politischen Einfluss zu gewinnen. Diese Anstrengungen würden jedoch erfolglos bleiben, sofern es den amtierenden Regierungen und demokratischen Parteien gelänge, die zahlreichen sozioökonomischen Probleme zu lösen, denen sie gegenüberstehen.
Die Beiträge bieten aufschlussreiche und detaillierte Einblicke in die Komplexität des Wandels der internen Strukturen kommunistischer und postkommunistischer Parteien in Europa. Gerade der vergleichende Ansatz ermöglicht es dabei, die nationalen Besonderheiten, aber auch die Gemeinsamkeiten besser herausstellen zu können. Äußerst hilfreich sind zudem die zahlreichen Tabellen, Grafiken und Karten sowie die Bibliografie am Ende des Sammelbandes. Zu bedauern ist jedoch, dass der Band keinen Beitrag zur kommunistischen Partei Spaniens enthält, die zusammen mit der französischen und italienischen Schwesterpartei zu den bedeutendsten kommunistischen Parteien Westeuropas der Nachkriegszeit zählte. Auch scheint eine grundsätzliche Abneigung gegen postkommunistische Parteien bisweilen den Blick für andere politische Szenarien als den bloßen Ausschluss dieser Parteien aus dem politischen System zu versperren. So zeigen die jüngsten politischen Ereignisse in einigen deutschen Bundesländern, dass eine Beteiligung dieser Parteien an der Regierungsverantwortung ihre vielfach weltfremden - in der Bevölkerung aber durchaus populären - Forderungen entlarven kann. Auch kleinere Ungenauigkeiten im Personenregister und der Bibliografie - das Buch "Empire" wurde nicht von Aldo Moro und Antonio Negri, sondern von Negri und Michael Hardt verfasst - trüben ein wenig den sehr positiven Gesamteindruck.
Insgesamt bietet der Sammelband einen präzisen Überblick über die Thematik und einen unverzichtbaren Ausgangspunkt für jeden, der sich intensiver und auf dem neuesten Forschungsstand mit der Entwicklung der kommunistischen und postkommunistischen Parteien in Europa beschäftigen möchte.
Tobias Hof