Johannes Bähr / Jörg Lesczenski / Katja Schmidtpott: Handel ist Wandel. 150 Jahre C. Illies & Co., München / Zürich: Piper Verlag 2009, 334 S., ISBN 978-3-492-05322-8, EUR 29,95
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Trotz ihrer immensen Bedeutung für die moderne Weltwirtschaft werden Handelsunternehmen in der wirtschaftshistorischen Literatur für das 19. und das 20. Jahrhundert nur selten thematisiert. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass Handelshäuser in der Öffentlichkeit weit weniger präsent waren als produzierende Unternehmen mit ihren riesigen Fabrikarealen und rauchenden Kaminen und deshalb in weit geringem Ausmaß die Aufmerksamkeit der Unternehmensgeschichte erregt haben. Zum anderen liegt die Marginalisierung dieser unbekannten Intermediäre darin begründet, dass sie sich durch einen ausgeprägten Hang zur Diskretion auszeichnen, weshalb der Zugang zu ihren Archiven der historischen Forschung in der Regel verwehrt bleibt. [1]
Umso erfreulicher, dass mit der vorliegenden Studie zur Firma C. Illies & Co., welche zu den ersten deutschen Handelshäusern gehörte, die eine kontinuierliche Geschäftstätigkeit in Japan aufnahmen, etwas Licht ins Dunkel kommt. Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums beauftragte Illies die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, die Geschichte des Handelshauses zu untersuchen. Als Quellengrundlage dienen die im Firmenarchiv von Illies vorhandenen Aufzeichnungen, die erstmals wissenschaftlich ausgewertet wurden, sowie die Akten aus weiteren fünfzehn öffentlichen und privaten Archiven in Deutschland und Japan. Zudem wurden Interviews mit ehemaligen Mitarbeitern und Teilhabern geführt. Als Leitthemen der Untersuchung dienen einerseits die Frage nach den Strategien zur Anpassung an fremde Märkte und andererseits die Bezüge zwischen der geschäftlichen Entwicklung und der inneren Struktur des Handelshauses. Bei letzterem Punkt interessiert die Autoren insbesondere die Frage, ob Familienunternehmen über besondere Vorteile im globalen Handelsgeschäft verfügten, denn wie die meisten anderen im Welthandel tätigen Handelshäuser blieb auch Illies bis heute in Familienbesitz.
Die Studie besteht aus drei Teilen, die jeweils von einem Mitglied des Autorentrios verantwortet werden. Im ersten Teil beschreibt Katja Schmidtpott die Frühphase des 1858 vom Hamburger Kaufmann Louis Kniffler gegründeten Handelshauses. Anfänglich betätigte sich die Firma L. Kniffler & Co. vor allem in der Ausfuhr von japanischen Rohstoffen wie Rohseide, Tee, Seetang oder Kohlen. Ab Mitte der 1860er Jahre engagierte sie sich zunehmend im Rüstungsgeschäft, da das Shogunat am Vorabend der Meiji-Restauration eine massive Aufrüstungspolitik betrieb. Hierbei kam der Firma zugute, dass Louis Kniffler 1862 zum preußischen Vizekonsul für Nagasaki ernannt wurde und so direkten Zugang zur japanischen Regierung erhielt. Nachdem Kniffler sich 1880 aus dem Geschäft zurückgezogen hatte, übernahm der bisherige Teilhaber Carl Illies das Unternehmen, welches er in C. Illies & Co. umbenannte. In der Folge lieferte das Unternehmen vermehrt Chemikalien, Farben, Eisenbahnschienen und Maschinen nach Japan und konnte 1887 die lukrative Vertretung des Waffenproduzenten Krupp übernehmen.
Der zweite Teil der Darstellung, der von Johannes Bähr verfasst wurde, schildert die Entwicklung der Firma Illies im Zeitalter der beiden Weltkriege. Obwohl Japan nach 1918 immer weniger auf Importe angewiesen war, blieben industrielle Qualitätsprodukte weiterhin gefragt. Illies war deshalb durch die Vertretung von deutschen Firmen wie MAN, Dornier, BMW und später Bosch schon bald wieder höchst erfolgreich im Geschäft, nachdem die japanischen Besitzungen der Firma 1914 konfisziert worden waren. Nach der Machtübernahme des Nationalsozialismus und dem japanischen Einmarsch in China 1937 wurde der deutsch-japanische Handel vollständig vom Rüstungsgeschäft dominiert, wobei Handelshäuser wie Illies gewissermaßen als unternehmerische Achse dieses Geschäfts dienten. Zum Nationalsozialismus hatte die Firma ein ambivalentes Verhältnis. Während die in Asien tätigen Mitarbeiter höchst aktiv in den Auslandorganisationen der NSDAP waren, stand die Besitzerfamilie der Partei indifferent bis ablehnend gegenüber. Auf geschäftlicher Ebene arrangierte sich die Firma aber durchaus mit den neuen Machtverhältnissen. Nachdem das Japangeschäft aufgrund des Krieges zusammengebrochen war, gründete Illies neue Niederlassungen im besetzten Polen und später auch in Rumänien. Diese importierten Textilien, Leder, Glas und Kosmetikartikel aus Deutschland sowie dem Protektorat Böhmen und Mähren und handelten vermutlich auch mit geraubten Gütern aus ehemals jüdischem Besitz. Nach Ende des Krieges stand Illies in Deutschland vorerst unter Kontrolle der Alliierten, während die Besitzungen in Japan durch die Alliierten konfisziert wurden. 1952 wurde erneut eine Filiale in Tokio gegründet, die davon profitierte, dass die japanische Wirtschaft nach Beginn des Koreakrieges einen starken Boom erfuhr.
Im dritten Teil der Studie schildert Jörg Lesczenski, wie Illies sich in der Nachkriegszeit von einer auf Japan fokussierten Import- und Exportfirma immer mehr zu einem Dienstleistungsunternehmen wandelte, welches im Auftrag von westlichen Industriefirmen Anlagegeschäfte abschloss, Patente auswertete und Lizenzen vergab. Parallel zu dieser Umorientierung erfolgte eine geografische Expansion mit der Gründung neuer Niederlassungen im ganzen ostasiatischen Raum und ab den 1990er Jahren auch in Russland, Zentralasien, Indien und den Arabischen Emiraten.
Die Studie, die durch ein knappes Schlusswort abgerundet wird, ist sorgfältig gestaltet und bietet einen guten Überblick über die Geschichte des Unternehmens und die ökonomischen Funktionen von Handelshäusern im modernen Welthandel. Sie zeigt, dass der geschäftliche Erfolg des Familienunternehmens nicht zuletzt daher rührte, dass es immer wieder gelang, familienfremde Manager zu Teilhabern zu ernennen und so die Handlungsfähigkeit der Firmenleitung sicher zu stellen. Bedauerlich ist jedoch, dass man wenig über die Tätigkeit der japanischen Mitarbeiter erfährt, obwohl diese in Japan, wo die Firma unter japanischem Namen tätig war, als eigentliche Direktoren der Firma angesehen wurden. Wohl auf fehlenden Quellenzugang wird es zurückzuführen sein, dass Zahlen zu Umsatz- und Gewinnentwicklung fast ganz fehlen. Auch die Bedeutung der Familienform für den Erfolg des Unternehmens wird eher angetippt als wirklich analytisch ergründet. Schade ist zudem, dass die Geschichte von Illies an keiner Stelle mit derjenigen von anderen Handelshäusern verglichen wird. So haben verschiedene Unternehmenshistoriker in den letzten Jahren wichtige Werke vorgelegt, die hätten helfen können, die Entwicklung von Illies in den allgemeinen Kontext der Entwicklung des Welthandels im 19. und 20. Jahrhundert einzuordnen. [2]
Diese Bemerkungen sollen den äußerst positiven Eindruck, den diese Studie hinterlässt, nicht mindern. Aber sie zeigen, dass es bei der unternehmenshistorischen Aufarbeitung des modernen Welthandels auch weiterhin an offenen Fragen nicht mangelt.
Anmerkungen:
[1] Christof Dejung: Unbekannte Intermediäre. Schweizerische Handelsfirmen im 19. und 20. Jahrhundert, in: traverse, Zeitschrift für Geschichte, 1/2010, Spezialheft "Wirtschaftsgeschichte", 139-155.
[2] Philippe Chalmin: Negociants et chargeurs. La saga du négoce international des matières premières, Paris 1985; Stanley Chapman: Merchant Enterprise in Britain. From the Industrial Revolution to World War I, Cambridge etc. 1992; Geoffrey Jones: Merchants to Multinationals. British Trading Companies in the Nineteenth and Twentieth Centuries, Oxford und New York 2000.
Christof Dejung