Eva Ortlieb (Bearb.): Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats. Serie I: Alte Prager Akten. Band 1: A-D, Berlin: Erich Schmidt Verlag 2009, 645 S., ISBN 978-3-503-09859-0, EUR 198,00
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Das vorliegende Werk ist der erste Band einer geplanten, umfangreichen Serie von Aktenverzeichnissen des kaiserlichen Reichshofrats. Letzterer war neben dem Reichskammergericht eines der beiden höchsten Reichsgerichte und - anders als das "ständische" Reichskammergericht - direkt am königlichen bzw. kaiserlichen Hof angesiedelt. Dort unterstützte der Reichshofrat aber nicht nur den König bzw. Kaiser bei der Aushandlung von Kompromissen oder dem Fällen von Urteilen in Streitsachen zwischen verschiedenen Parteien, sondern fungierte gleichzeitig als Ratgeber des Monarchen. Teilweise überschnitten sich die Zuständigkeiten beider Reichsgerichte; für Fragen, welche das Reichslehenswesen oder die kaiserlichen Rechte betrafen, war allerdings allein der Reichshofrat zuständig.
Der von Eva Ortlieb bearbeitete und von Wolfgang Sellert herausgegebene Band gliedert sich in mehrere Teile. Nach einem Vorwort (ab 7) und praktischen Hinweisen zur Nutzung der Edition (ab 19) bilden die verzeichneten Akten (ab 31) den Hauptteil des Bandes, der mit mehreren Indices (ab 529) und einem Abkürzungs- und Siglenverzeichnis (645) ergänzt wird.
Das Vorwort beschreibt in einer übersichtlichen, knappen Form die Entstehung des Reichshofrats und grenzt diesen zugleich gegenüber dem Reichskammergericht ab. Dabei wird festgestellt, dass sich das Reichskammergericht in der Forschung bisher eines größeren Interesses erfreute, was mit dem schwierigeren Zugang zu den Akten des Reichshofrats begründet wird. In der Tat sind die überlieferten Reichskammergerichts-Akten in den verschiedenen Archiven Deutschlands bereits in editierter Form, vergleichbar mit der Verzeichnung im hier vorliegenden Band, verfügbar - und damit auch entsprechend leichter zugänglich und nutzbar. Das bisherige "geringere Interesse" am Reichshofrat "bedauert" die Fachwelt, da der Reichshofrat "nicht weniger als das [Reichskammergericht] die Rechts- und Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches geprägt" hat (8). Vor allem gewann der Reichshofrat in Phasen der Blockade des Reichskammergerichts zusätzliche Bedeutung als in den betreffenden Zeiträumen einziges arbeitsfähiges Reichsgericht (9). Der im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien lagernde Bestand ist mit ca. 70.000 Akten fast so umfangreich wie die Überlieferung zum Reichskammergericht (8).
Die Bearbeiterin verweist auf bereits vorhandene Archivbehelfe zu den Reichshofrats-Akten, die allerdings nur wenig aussagekräftig sind, so dass die Gesamtedition bzw. -verzeichnung mit dem so genannten Teilbestand der "Alten Prager Akten" (ca. 5.000) begonnen wurde (12), wobei die Erschließung im Wesentlichen mithilfe der "Frankfurter Grundsätze für die Verzeichnung von [Reichskammergerichts]-Akten" erfolgt (13). Abweichend von diesem vor drei Jahrzehnten definierten Standard werden allerdings 14 statt acht Kategorien verwendet (22-29); das Grundgerüst der Verzeichnung (Archivsignatur, Beteiligte, Prozessgegenstand, Überlieferungszustand der Akte) ist aber vergleichbar. Die Relationen fehlen und bilden einen separat verzeichneten Bestand, der ebenfalls noch auf eine Bearbeitung wartet (15).
Die Akten selbst stammen nicht nur aus der Zeit Kaiser Rudolfs II., wie die Titulatur "Prager Akten" vermuten lässt, sondern sie decken den Zeitraum 1463 bis 1766 ab und dokumentieren den durch "Plünderungen, Umordnungen sowie durch Entnahmen und Hinzufügungen" herbeigeführten "schlechten Ordnungszustand" (12) des Bestandes, der offensichtlich zusätzliche Überlieferungen aus der Zeit vor der Bildung des frühneuzeitlichen Hofrates 1497/1498 enthält. Für 17 Prozesse bzw. Akten ist auf Basis der Überlieferung eine Datierung nicht möglich, für zwölf weitere Fälle ist sie unsicher. Neben den Justizakten finden sich auch andere Schriftstücke, Korrespondenzen und sonstige Vorgangsbeschreibungen, deren direkter Bezug zu den Prozessen zumindest auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist (19f.).
Die fünf Register (Beschreibung 29f.) orientieren sich ebenso wie die Verzeichnung an den Frankfurter Grundsätzen und sind gut nutzbar. Zum Nachdenken regt der sehr modern anmutende Registereintrag "Urlaub" an, mit dem auf einen "Kuraufenthalt" hingewiesen (199; Akte 349) und für den die Ausstellung eines "kaiserlichen Fürbittschreibens" beantragt wird. In der umfangreichen Registerkategorie zu den Fürbittschreiben ist dieser Vorgang ebenfalls verzeichnet, Registereinträge mit Bezug zum Stichwort "Kur" gibt es nicht. Auch wenn die Zuordnung des Sachverhalts zum Stichwort Urlaub zunächst unpassend erscheint, hilft hier ein Blick in das Grimmsche Wörterbuch: Dort wird Urlaub unter anderem als die "Erlaubnis, ein Dienstverhältnis [...] [zeitweilig] zu verlassen, beurlaubung" (Bd. 24, Sp. 2470) beschrieben - eine zeitgenössische Bedeutung (als Gegensatz zu einem permanenten Abschied), die auf den hier beschriebenen Vorgang passt.
Grundsätzlich ist der vorliegende Band inklusive der Erläuterungen und Register sehr gut gelungen und erleichtert wegen der methodischen Umsetzung der Verzeichnung mittels Orientierung an bereits etablierten Standards den Zugriff auf die grundlegenden Informationen in den Akten. Dies gilt besonders für im Umgang mit Reichskammergerichts-Verzeichnissen geübte Benutzer.
Mit der von Eva Ortlieb geleisteten Verzeichnung steht ein hilfreicher Einstieg in die Detailforschung zum Reichshofrat zur Verfügung, der in deutlich stärkerem Maße als bisher die Forschungen zu diesem Reichsgericht beflügeln wird. Damit werden zugleich die Möglichkeiten eines umfassenden Vergleichs zwischen Reichskammergericht und Reichshofrat ausgeweitet. Inwiefern allerdings tatsächlich eine Neubewertung des Verhältnisses zwischen den beiden Reichsgerichten erfolgt, müssen ausführliche Analysen und Vergleiche des Aktenmaterials zeigen, doch Eva Ortlieb verweist bereits im Vorwort auf "zahlreiche Beispiele für eine Kooperation" der Gerichte, die die bisher oft vertretene Argumentation einer "rivalisierenden Konkurrenz" abschwächen (14). Bezug nehmend unter anderem auf die schon erwähnten Bittschreiben an den Kaiser könnte dieser gleichfalls in seiner Rolle als "oberster Richter" und "Aufsichtsorgan über das Gerichtswesen im Reich" (13) eine von bisherigen Erkenntnissen abweichende Einschätzung erfahren. Endgültige Aussagen hierzu müssen aber zunächst spekulativ bleiben, solange nicht weitere Teilbestände der Reichshofrats-Akten verzeichnet und mit entsprechenden Fragestellungen bearbeitet sind.
Robert Riemer