Peter C. Hartmann / Florian Schuller (Hgg.): Der Dreissigjährige Krieg. Facetten einer folgenreichen Epoche (= Themen der Katholischen Akademie in Bayern), Regensburg: Friedrich Pustet 2010, 214 S., ISBN 978-3-7917-2217-7, EUR 24,90
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In die inzwischen beachtliche Reihe neuerer Publikationen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges fügt sich der vorliegende Sammelband ein, der aus einem Kolloquium der Katholischen Akademie Bayern hervorgegangen ist. Entgegen dem Tenor des Untertitels, der kaum mehr als historische Streifzüge erwarten lässt, präsentiert sich das Werk als Gesamtdarstellung, das einem breiten Leserkreis Zugänge und Einsichten zu den epochalen Voraussetzungen, makro- und mikrohistorischen Ausformungen, zentralen Akteuren und Folgen der Ereignisse von 1618-1648 verschaffen will. Vielversprechend im Hinblick auf die Qualität des Bandes ist nicht zuletzt die Tatsache, dass er Autoren vereinigt, die in den letzten Jahren mit richtungsweisenden Beiträgen zur Beurteilung der Epoche hervorgetreten sind. Dem Leser eröffnet sich damit die erfreuliche Aussicht auf ein Buch, das zentrale Gegenstandsbereiche thematisiert und sich auf der Höhe der seit circa zwei Jahrzehnten intensivierten Forschung bewegt.
Am Beginn des insgesamt zwölf Beiträge umfassenden Bandes stehen Aufsätze von Helmut Neuhaus (10-22) und Axel Gotthard (23-45) zur Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges. Liegt das Hauptaugenmerk von Neuhaus auf den reichs-, konfessions- und mächtepolitischen Konstellationen um 1600, so widmet sich Gotthard vor allem den kriegstreibenden Zuspitzungen, die sich aus der konfessionellen Polarisierung des Reichsverbandes infolge eines in den 1580er Jahren einsetzenden Generationswechsels der Akteure ergaben. Hierauf folgt - als Auftakt zum Mittel- und Hauptteil, der die Phasen und Auswirkungen des Krieges behandelt - Johannes Burkhardts profunde Analyse der böhmischen Erhebung von 1618 (47-57). Sie fiel als letztlich gescheitertes Projekt einer Einzelstaatsgründung in eine Zeit mit tendenziell wieder rückläufigen konfessionellen Konfliktpotentialen und gibt dem Autor einmal mehr Gelegenheit, gegenüber der klassischen "Lesart vom Religionskrieg" (49) seine These vom Dreißigjährigen Krieg als "Staatsbildungskrieg in Fortsetzungen" (56) zu erläutern. Die vier anschließenden Beiträge von Marcus Junkelmann, Maximilian Lanzinner, Johannes Burkhardt und Christoph Kampmann stellen bekannte Akteure des Krieges (Tilly, Maximilian I. von Bayern, Gustav II. Adolf, Wallenstein) ins Zentrum vielschichtiger Betrachtungen. In diesen politisch-biographischen Essays, die bei aller Anerkennung struktureller Kriegsursachen zurecht die Bedeutung personaler Faktoren - so die von Kampmann herausgestellte Intransigenz zahlreicher Akteure - unterstreichen, finden sich gleichsam en passant auch die Hauptlinien der Ereignisgeschichte bis ca. 1634/35 (und im Falle des 1651 verstorbenen bayerischen Herzogs bzw. Kurfürsten sogar bis 1648) wieder. Ein methodisches Glanzstück liefert dabei Johannes Burkhardt, der seine Überlegungen zu den möglichen Beweggründen, die den Schwedenkönig Gustav II. Adolf zum Kriegseintritt veranlassten, in Gestalt eines erkenntnisförderlichen fiktiven Streitgesprächs präsentiert und mit guten Argumenten auf die universalistische Legitimationsideologie des "Gotizismus" als handlungsleitendes Motiv verweist (95-107).
Abgerundet wird das Mittelstück des Bandes durch Frank Kleinehagenbrocks gründliche Analyse der Kriegshandlungen im schwedisch-französischen Krieg von 1635 bis 1648 (129-145) sowie durch zwei Beiträge, die sich den subjektiven Erfahrungen widmen, die Menschen im "Krieg aller Kriege" (147) gewonnen haben. Hierbei handelt es sich zum einen um die instruktiven, einem Problemaufriss gleichkommenden Überlegungen von Bernd Roeck, der sich im Wissen um die geringe Zahl aussagekräftiger Quellen an erste vorsichtige Antworten auf die Frage nach der zeitgenössischen mentalen Krisenbewältigung und den Konturen einer Schreckenserlebnisse austarierenden psychischen Ökonomie herantastet (146-157), zum anderen um die historisch-anthropologisch orientierte Untersuchung Hans Medicks zur seinerzeitigen Wahrnehmung und Naherfahrung von Kriegsgewalt und Leid (158-172).
Keine Darstellung des Dreißigjährigen Krieges kommt um eine ausführliche Würdigung des Westfälischen Friedens herum, der in der Regel als Abschied vom Ideal eines hierarchischen Europa und Ausdruck fortan geltender staatlicher "Gleichordnung" (185) betrachtet wird. Es handelt sich um eine Deutung, die - so auch in dem vorliegenden Band - etwas vorschnell über die noch bis weit ins 18. Jahrhundert in der diplomatischen Praxis zu beobachtenden konkurrierenden Rollen- und Rangauffassungen hinweggeht. Dies ist jedoch der einzige Einwand, der dem Schlussteil des Bandes entgegenzuhalten ist. Franz Brendle schildert in seinem pointierten, auch auf die Erinnerungskultur eingehenden Beitrag die auf katholischer Seite zuweilen als Niederlage empfundenen Friedensregelungen von 1648 in ihren Intentionen, Grundsätzen und konkreten Inhalten (173-183). Dagegen bietet Johannes Burkhardt im letzten und abschließenden seiner insgesamt drei Buchbeiträge eine umfassende historisch-politische Bewertung und wirkungsgeschichtliche Würdigung des Vertragswerks, dessen Bestimmungen er in Anlehnung an seine verstärkt seit 1998 verfochtene Interpretationsperspektive als wegweisendes und fortschrittliches Modell föderaler Organisation in Europa verstanden wissen will (184-193).
Ohne Frage wird der mit 19 Abbildungen illustrierte Band dem Anspruch gerecht, ein größeres Publikum zuverlässig, anschaulich und unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes mit einem der bedeutendsten Ereigniszusammenhänge der deutschen und europäischen Geschichte vertraut zu machen. Insofern ergänzt er die Fachliteratur auf sinnvolle Weise. Bietet das Buch dem Experten auch wenig Neues, so macht es doch deutlich, in welch beachtlichem Maß die Betonung der conditio humana und damit einhergehende mentalitätsgeschichtliche Impulse Eingang in die Erforschung der Epoche gefunden haben. Dieser Befund gilt keineswegs nur für die Aufsätze von Bernd Roeck und Hans Medick, sondern findet ein deutliches Echo auch in einem nur vordergründig als "politische" Analyse erscheinenden Beitrag wie dem von Axel Gotthard, dessen Ausführungen über weite Strecken einer Anthropologie des Konfessionskonflikts um 1600 gleichkommen. Dies ist eine - um ein in dem Band häufig verwendetes Wort zu bemühen - "Lesart", die spannend und aufschlussreich ist und nur begrüßt werden kann.
Helmut Gabel