Bruno Bleckmann: Die Germanen. Von Ariovist bis zu den Wikingern, München: C.H.Beck 2009, 359 S., 40 Abb., 28 Karten, ISBN 978-3-406-58476-3, EUR 24,90
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Bruno Bleckmanns Buch über die Germanen ist wie so viele andere im Jubiläumsjahr der Varusschlacht erschienen, welches wie zwei Jahre zuvor das Konstantinsjahr eine wahre Flut von Publikationen zum Thema ausgelöst hat. Das Gedenken an die vor 2000 Jahren im "Teutoburger Wald" stattgefundene Vernichtung dreier römischer Legionen nebst Hilfstruppen durch germanische Verbände unter Arminius führte nicht nur zu drei Ausstellungen in Haltern, Kalkriese und Detmold mit zahlreichen Begleitveranstaltungen und -aktionen, sondern rückte wieder einmal die römische Germanienpolitik sowie die Germanen selbst in den Mittelpunkt des Medieninteresses. Zahlreiche Beiträge von Fachkolleginnen und -kollegen sowie selbsternannten Expertinnen und Experten ließen einen dichten Wald von Publikationen entstehen, vor dem sich der unbedarfte Leser wie ein römischer Legionär in Germanien fühlen muss. Dieses authentische Gefühl ist einer der wenigen Vorteile, die man aus der saisonalen Literaturdichte ziehen mag, sind doch die meisten Werke zusammenfassenden Inhalts und unterscheiden sich nur durch die oft ohnehin schon bekannte Perspektive der Autorin oder des Autors. Leider hat uns das Jahr 2009 keine weiteren neuen spektakulären Funde zum Thema beschert.
Wie dem auch sei, Bruno Bleckmanns (B. B.) Buch ist auch noch nach 2009 lesenswert, da es weniger versucht, über Material- und Quelleninterpretationen ein bestimmtes Germanenbild zu vermitteln, sondern eine stark an den schriftlichen Quellen orientierte chronologische Überblicksdarstellung von ca. 1000 Jahren Geschichte der Germanen bietet.
Die Einleitung (11-47) versucht zunächst eine Begriffsbestimmung und unterteilt sich in die Aspekte "Selbst- und Fremdwahrnehmung der Germanen", "Sprache und Germanendefinition", "Germanenbegriff", "Kulturelle und religiöse Gemeinsamkeiten", "Germanen als Volk" und "Germanen als Gegenstand der Alten Geschichte". Der Autor orientiert sich bei ethnologischen, archäologischen und sprachwissenschaftlichen Themen weitgehend am Reallexikon für germanische Altertumskunde und an den Beiträgen von Herwig Wolfram, was durchaus Sinn macht. Hervorzuheben sind aber vor allem rezeptionsgeschichtliche Aspekte, welche die Entwicklung des Germanenbildes von der antiken Ethnographie, die insbesondere durch Tacitus beeinflusst ist, bis zur "germanischen Erbgesundheitspflege" des nationalsozialistischen Rassenforschers Hans Günther beinhalten (35-41). Noch Hans Much hatte in seinem 1967 wieder aufgelegten Germania-Kommentar in den Schweden die "reinrassigen Germanen" gesehen. Interessant ist ferner der Abschnitt über die Probleme der Alten Geschichte mit dem Germanenthema (41-47). B. betont dabei zu Recht das Fehlen von Historiographien über lange Strecken der germanischen Geschichte, die außerdem, wenn sie vorliegen, sehr einseitig sind und in den wenigsten Fällen ein unabhängiges Germanenbild dokumentieren. Es wird sehr deutlich, dass die althistorische Forschung notgedrungen von einem in den griechisch-römischen Schriftquellen dokumentierten Barbarenbild ausgehen muss, während ein großer Teil der Quellen aus archäologischen Funden und mittelalterlichen Sprachzeugnissen besteht. Dies erfordert eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit, die B. zwar voraussetzt, aber leider nicht eigens thematisiert. Er nimmt ganz bewusst die Perspektive des Althistorikers ein und gliedert sie chronologisch, nach dem Duktus der literarischen Überlieferung.
Das Kapitel 1 (48-88) beginnt mit den Triumphalfasten des Jahres 222 v.Chr., in denen zum ersten Mal Germanen erwähnt sind, behandelt die frühen Auseinandersetzungen der Römer mit germanischen Gruppen, insbesondere Kimbern und Teutonen, und endet schließlich mit der berühmten Auseinandersetzung Caesars mit Ariovist. B. illustriert dieses Kapitel - wie auch die weiteren - mit verständlich präsentiertem Kartenmaterial und Abbildungen wie etwa dem Ausgrabungsplan der germanischen Siedlung von Feddersen-Wierde (57 Abb. 3). Hervorzuheben ist eine kritische Wertung des Gallien-Germanien-Schemas Caesars (70-80), welches einer Überprüfung am archäologischen Material nicht standhält. Außerdem vermag der Autor zu zeigen, wie stark Caesars plakative Differenzierung die römische Sichtweise auch für die Zukunft beeinflusst hat.
Kapitel 2 beinhaltet die römische Okkupationspolitik in der frühen Kaiserzeit (89-154). Der Autor versucht zunächst auf die gesellschaftliche Struktur einzelner Stämme einzugehen, die sicher nicht, wie noch im 19. Jahrhundert angenommen, aus gleichberechtigten freien Bauern bestanden, sondern allesamt von einer Gruppe von Adligen beherrscht wurde. Für diesen Teil wäre im Literaturverzeichnis die immer noch grundlegende Arbeit von Peter Kehne anzuführen. [1] In der Folge beschäftigt er sich mit den römischen Eroberungszügen vor der Varuskatastrophe, um dann der Niederlage des Varus gegen Arminius einen eigenen Abschnitt zu widmen (114-126). Er bleibt hier sehr kursorisch und versucht sich weitreichender Wertungen zu enthalten, so werden die Funde der zivilen Siedlung Waldgirmes zwar erwähnt (111f.), die Frage der Zerstörung 9 n.Chr. und des erneuten Ausbaus dieser bemerkenswerten Anlage 10 n.Chr. wird jedoch nicht angeschnitten. [2] B. geht davon aus, dass Germanien auch rechtsrheinisch provinzialisiert und Köln die neue Hauptstadt werden sollte, nimmt aber auch zur zentralen Problematik der Lokalisierung und der Weiterexistenz der ara Ubiorum keine Position ein (112). In diesem Zusammenhang wird richtig festgestellt, dass das rechtsrheinische Germanien nach neuesten archäobotanischen Untersuchungen nicht nur aus Wäldern und Sümpfen bestand und es durchaus Wege und ein Siedlungssystem gab. Zu den Bemerkungen über Quinctilius Varus wäre noch zu ergänzen, dass dieser durchaus vor seiner Statthalterschaft mit den germanischen Verhältnissen vertraut sein musste, da er Legat der später in Germanien mit ihm untergegangenen Legio XIX war, wie eine neue Lesung der Inschrift auf einer Bleischeibe zeigt, die im Legionslager Dangstetten gefunden wurde. Bei der Frage der Lokalisierung der Varusschlacht lässt sich eine gewisse Präferenz des Autors für den Fundplatz Kalkriese erkennen, wenn er auch eine spätere Datierung nicht ausschließt. B. macht zu Recht deutlich, dass die Frage nach der Lokalisierung hinter denjenigen nach den Strategien und Taktiken von Römern und Germanen, nach Logistik und Ausnutzung geographischer Gegebenheiten zurücksteht (125). Die folgenden Züge des Germanicus werden eher kursorisch behandelt, das Kops Plateau und das Lager auf dem Hunnerberg in Nijmegen mit wichtigen Funden werden leider nicht erwähnt. Dass es zwischen der Abberufung des Germanicus und dem Bataveraufstand des Jahres 69 n.Chr. weiterhin römische Aktivitäten in Germanien gab, ist so gut wie sicher, es gibt allerdings wenig ergiebige Quellen für diese Zeit. Sueton (Caligula 43-45) berichtet von einem inszenierten Feldzug des Caligula in Germanien und die beiden Scribonii Brüder waren seit spätestens 63 n.Chr. Befehlshaber der germanischen Heeresgruppen, bevor sie 67 von Nero zum Selbstmord gezwungen wurden. Immerhin sind sie auf mehreren germanischen Inschriften, darunter die berühmte Große Iupitersäule aus Mainz erwähnt. B. bleibt auch im Folgenden seiner Konzeption treu und vernachlässigt nur schlecht dokumentierten Zeiträume sowie den Raum der späteren germanischen Provinzen. Bei der Darstellung des Bataveraufstandes folgt er im Wesentlichen den Historien des Tacitus, die er kritisch zu kommentieren weiß. Leider vermisst man einen Hinweis, dass Vitellius am 2. Januar 69 in Köln zum Kaiser ausgerufen wurde und sich somit vor allem auf germanische Truppen stützte (Sueton, Vitellius 8). Gut herausgearbeitet sind die Motive des Chattenkrieges Domitians und die Einrichtung der germanischen Provinzen (146-148). Die Karte auf Seite 148 ist sehr hilfreich, doch berücksichtigt sie nicht die neuere Forschungen zu der wahrscheinlichen Zugehörigkeit des Tungrergebietes zur niedergermanischen Provinz. Leider vermisst man auch jeden Hinweis auf die Verschwörung des Statthalters Saturninus im Winter des Jahres 89 n.Chr., welchem die Chatten über den Rhein zu Hilfe eilen wollten. einem wesentlichen Grund für die Reduzierung der germanischen Truppenstärke. Die Einrichtung des Limes als Verteidigungssystem unter Traian wird treffend geschildert und auch die Handelsbeziehungen zu Großgermanien (besser als "Freies Germanien") werden thematisiert.
Das Kapitel 3 gilt dem Ende der Pax Romana, der Zeit zwischen den Markomannenkriegen und der Reichskrise des 3. Jahrhunderts (155-190). Der Autor orientiert sich hier vornehmlich an Cassius Dio, Ammianus Marcellinus, der Historia Augusta und Herodian, inschriftliche Zeugnisse werden vernachlässigt. Zusätzlich werden aber auch germanische Waffenniederlegungen des 2. bis 4. Jahrhundert in Jütland besprochen (160-162), die zeigen, dass die germanischen Krieger immer einheitlicher ausgerüstet waren und es ferner zu einer überregionalen und für die Römer äußerst gefährlichen Kooperation germanischer Gruppen kam. Zentrale Themen sind die Markomannenkriege und die Diskussion um die Pläne Marc Aurels zur Einrichtung einer markomannischen Provinz, die als Konstrukt Herodians verworfen werden (167), oder die Zusammenschlüsse germanischer Großgruppen wie Goten, Franken und Alemannen und ihre Einfälle in Reichsgebiet (168-184). Ein wichtiger Abschnitt beschreibt treffend die zivilisatorische Angleichung der germanischen Eroberer an die Römer im 3. Jahrhundert n.Chr.
Die folgenden Kapitel 4 und 5 können als die gelungensten Teile des Buches bezeichnet werden. Hier bewegt sich der Autor in seinem ureigenen Metier, der Spätantike. Dargestellt werden zunächst die Germanenprobleme des 4. Jahrhunderts, welches von Grenzkämpfen und Gebietsverlusten, verbunden mit einer zunehmenden "Germanisierung" des römischen Heeres gekennzeichnet ist (191-231). Eine Zäsur war dabei die vernichtende Niederlage des Valens bei Adrianopel 378, deren Folgen die ersten germanischen Nachfolgereiche auf reichsrömischen Boden waren (220-231). Das 5. Jahrhundert wird von dem Rückzug des weströmischen Militärs hinter die Alpen und der damit verbundenen Überschreitung des Rheins durch plündernde Vandalen und Alanen am Silvestertag des Jahres 406 eingeleitet. B. B. beschließt dieses Kapitel, in dem er insbesondere die Wanderzüge der verschiedenen germanischen Großgruppen auf römischem Reichsgebiet beschreibt, mit dem Ende des Weströmischen Reiches 476 n.Chr. (232-267).
Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Einrichtung germanischer Reiche in Europa nach dem Ende des Weströmischen Reichs (268-316). Es schlägt dabei einen sehr großen zeitlichen Bogen von der Spätantike bis zum Frühmittelalter. Während die Betrachtung der weiteren Geschichte der West- und Ostgotenreiche sowie des Frankenreiches schon aus Gründen der Kontinuität und ihres spätantiken Ursprungs als sinnvoll gewählt und auch durchaus gelungen bezeichnet werden können, scheint der Einbezug der Langobarden, der Nordseegermanen in England und gar der Wikinger in Skandinavien mir doch eher eine eigene Darstellung aus frühmittelalterlicher Perspektive wert.
Abgerundet wird die Darstellung, die aus Gründen der Lesbarkeit auf Anmerkungen verzichtet, von ausführlichen und meist gut gewählten bibliographischen Hinweisen, einer nützlichen Zeittafel und einem ausführlichen Register.
Trotz mancher Kritik im Detail, die den positiven Gesamteindruck nicht schmälert, handelt es sich um eine sehr gelungene Gesamtdarstellung der Geschichte der Germanen aus althistorischer Sicht vornehmlich auf der Grundlage antiker literarischer Quellen, wobei andere Quellengattungen durchaus Berücksichtigung finden. Sie sei jedem ans Herz gelegt der sich einen zuverlässigen Überblick über das Thema auf der Grundlage der neueren Forschung verschaffen will.
Anmerkungen:
[1] P. Kehne: Formen römischer Außenpolitik in der Kaiserzeit. Die auswärtige Praxis im Nordgrenzenbereich als Einwirkung auf das Vorfeld. Mikrofiche, Hannover 1989.
[2] Dazu zuletzt: A. Becker: Lahnau-Waldgirmes und die Feldzüge des Germanicus, Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins 9 (2008), 83-90.
Wolfgang Spickermann