Wolfgang Huschner / Frank Rexroth (Hgg.): Gestiftete Zukunft im mittelalterlichen Europa. Festschrift für Michael Borgolte zum 60. Geburtstag, Berlin: Akademie Verlag 2008, VIII + 400 S., ISBN 978-3-05-004475-0, EUR 49,80
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In ihrer ureigenen Funktion als Ehrengabe sind Festschriften zweifellos unverzichtbar - ob sie zwangsläufig mit einer Rezension bedacht werden müssen, ist gleichwohl eine andere Frage. Den Rezensenten jedenfalls kann dieser wissenschaftliche Literaturtypus vor Probleme stellen. Denn wie konzipiert man eine Festschrift? Diese im akademischen Bereich immer wieder aufs neue virulente Frage erlaubt zweifellos viele Antworten, und im Grunde entzieht sich die Konzeption einer Festschrift einer weitergehenden inhaltlich-kritischen Beurteilung, liegt ihr erstes Ziel, ja ihre vorrangige Raison d'être doch eben in der individuellen Ehrung des jeweiligen Jubilars. Wohlfeil wäre vor diesem Hintergrund die Kritik des Rezensenten, dass ein kohärentes Konzept in manchen Fällen schwer erkennbar ist, sich zuweilen in einem Titel erschöpft, der die gebotenen Aufsätze mühsam zusammenzuhalten scheint, so sehr er von den Herausgebern auch mit Bedacht gewählt sein mag. Die Qualität der einzelnen Beiträge mag noch so hoch sein, angesichts der Aufgabe einer inhaltlichen Charakterisierung und kritischen Bewertung wird der Rezensent ihrer zwischen zwei Buchdeckel gebundenen Gesamtheit möglicherweise ein wenig ratlos gegenüberstehen, und selbst das bewährte "variatio delectat" ändert nichts an einer gewissen Spröde des Gegenstandes. Unredlich wäre es, dies den Herausgebern anzulasten.
Umso erfreuter darf ein Rezensent sein, wenn er eine Festschrift in die Hände bekommt, die ihm seine Arbeit leicht macht. Und die Festschrift zum 60. Geburtstag Michael Borgoltes im Jahr 2008 stellt genau solch einen Fall dar. Über alle akademischen Wirkungsstätten hinweg hat Borgolte ein wissenschaftliches Œuvre vorgelegt, das sich in seinen klaren Schwerpunkten geschlossen und zugleich vielfältig präsentiert - und genau dies spiegelt sich nicht zuletzt in den Arbeiten seiner akademischen Schüler, die zum vorliegenden Band beigetragen haben.
Der Titel des Buches nimmt Bezug auf die zentralen Themenkomplexe im Werk Borgoltes, die sich mit den Begriffen "Europa" und "Stiftungen" kennzeichnen lassen. Beide Begriffe bilden auch die Überschriften zu den zwei Teilen des Bandes, die vom Umfang her ungefähr gleichgewichtig sind (je sieben Aufsätze). Auf diese Weise sind auch die zahlreichen Rekurse der Autoren auf die Schriften des Jubilars vorgezeichnet.
"Europa" steht dabei für eine kulturell vergleichende Perspektive, etwa im Sinne des Kulturtransfers oder der interkulturellen Einbeziehung gerade auch der nichtchristlichen, insbesondere der jüdischen und islamischen Anteile am europäischen Mittelalter. Michael Brauer, der in seinem Beitrag der reformationszeitlichen Konstruktion des prußisch-heidnischen Rituals der 'Bockheiligung' nachgeht, betrachtet das "Verhältnis von Einheit und Vielfalt, die Spannung zwischen Einheitsbestrebungen und lokalen Reaktionen" als "eine der großen Herausforderungen bei der Erforschung des mittelalterlichen Europa" - gerade das "dialektische Aushandeln von Einheit und Vielheit" erscheine so als "europäische Grundstruktur" (146). Dieser dynamische Europabegriff zeigt sich freilich nicht allein in seiner historischen Konstruktion, sondern basiert bereits auf der Ebene der Quellen unter anderem auf der integrierenden Erfahrung des Fremden, wie zum Beispiel in einem isländischen Pilgerführer des mittleren 12. Jahrhunderts, dem "Leiðarvísir", den Dominik Waßenhoven vorstellt.
"Stiftungen" sehen die Autoren im Anschluss an Borgolte durchweg als sozialgeschichtliches Phänomen, das ausgehend von der Memoria-Forschung durch das Prinzip von Gabe und Gegengabe und durch die soziale Präsenz der Toten geprägt ist und das aus dieser Perspektive den Blick freigibt auf Fundationsprozesse, auf Funktionen und Nutzungen von Stiftungen sowie auf daraus erwachsende mentalitätsgeschichtliche Momente. So definiert Wolfgang Huschner "Stiftung" als ein "soziales System [...], das den Tod der Personen, die an deren Errichtung beteiligt waren, überdauerte". Neben dem "Stiftergedenken" als Gegenleistung der begünstigten Personen(gruppen) sei der Fundator auch im Handeln der von ihm "beauftragten Exekutoren oder Verwalter der Stiftung" gegenwärtig geblieben (333). An der herzoglichen Gründung des mecklenburgischen Klarissenklosters Ribnitz (1323/24-1331) zeigt Huschner, wie komplex ein Stiftungsprozess aufgrund differierender Interessen der Beteiligten und Betroffenen ablaufen konnte.
Insgesamt schreiten die Beiträge chronologisch wie regional einen weiten Kreis ab: von den religiösen, ethnischen und politischen Integrationsprozessen in den Grenzregionen des oströmischen Reiches des 4. bis 7. Jahrhunderts (Stefan Esders) und den Anniversarstiftungen Karls des Kahlen (Wolfgang Eric Wagner) über eine Jahrtag-Liste des Goslarer Stiftes St. Simon und Judas aus dem frühen 14. Jahrhundert (Tillmann Lohse) und das von Pierre Dubois um 1300 entworfene Projekt einer universalen Heilig-Land-Stiftung (Frank Rexroth) bis zum Preußenland der Reformationszeit (Michael Brauer). Neben den beiden Grundthemen "Europa" und "Stiftungen" werden die Aufsätze aber noch durch ein anderes Moment zusammengehalten, denn wie ein roter Faden durchzieht sie mehrheitlich die gezielte Reflexion methodischer Probleme.
Beispielsweise zeigt Juliane Schiel an dominikanischen Zeugnissen zum Mongolensturm und zum Fall Konstantinopels, wie das "Deutungschaos" (131), das durch diese aus zeitgenössischer Perspektive unerwarteten Ereignisse verursacht worden sei, auf Quellen- wie Forschungsebene in ein Allgemeingültigkeit beanspruchendes "Metanarrativ" (134) umgeformt werde. Dem setzt die Autorin in mehrdeutiger Formulierung das "Prinzip der produktiven Zerstörung" (so schon im Untertitel ihrer Abhandlung) und damit die bewusste Suche nach alternativen Deutungen in den Quellen entgegen. Jan Rüdiger bemüht sich, das 'Frontier'-Konzept für die spezifischen sozialen, kulturellen und politischen Strukturen Holsteins in der Zeit bis zum 12. Jahrhundert nutzbar zu machen, indem er diese aus der lebensweltlichen Situation eines Raumes sich mehrfach überlagernder und verschiebender Grenzen, aus der "Uneindeutigkeit des Niemandslandes" (86) erklärt. Anhand der im Mittelalter vielbeschworenen trojanischen Vergangenheit beschäftigt sich Kordula Wolf mit Konzepten der Mythos-Forschung. Mit der Gegenüberstellung der teils konkurrierenden "Deutungsinstrument[e]" (219) Eigenkirche und Stiftung am Beispiel der Gründung von Frauenklöstern in Sachsen während des 9. und 10. Jahrhunderts skizziert Claudia Moddelmog auch das spezifische Eigenleben, das Forschungsansätze entwickeln können. Immer wieder wird schließlich das methodische Element des Vergleichs hervorgehoben. Zum Beispiel behandelt Benjamin Scheller die Zusammenhänge zwischen mendikantischer Judenmission und Inquisition im 13. Jahrhundert in Aragon, Frankreich, Sizilien/Neapel und der Provence, Tim Geelhaar befasst sich anhand des Klosters Megisti Lavra auf dem Berg Athos und des New Minster in Winchester mit dem Innovationspotential von Stiftungen angesichts ähnlicher Herausforderungen im 10. Jahrhundert, und Ralf Lusiardi wählt den Vergleich mit islamischen Stiftungen zum Ausgangspunkt für einen Überblick zum Verhältnis von Familie und Stiftung im abendländischen Mittelalter.
In der Summe ist ein Band entstanden, der in seinen einzelnen Teilen vielfältige Anregungen bietet und in seiner Gesamtheit Positionen, Möglichkeiten und Erträge zweier Forschungskonzepte aufzeigt.
Sven Rabeler