Fernando Amado Aymoré: Die Jesuiten im kolonialen Brasilien. Katechese als Kulturpolitik und Gesellschaftsphänomen (1549-1760) (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; Bd. 1069), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2009, 425 S., ISBN 978-3-631-58769-0, EUR 69,80
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Vorliegende Arbeit wurde als Dissertation 2007 an der Universität Hamburg angenommen. Der Autor ist auch als Bearbeiter des ersten Bandes eines Mainzer Forschungsprojekts zu Jesuiten aus Zentraleuropa hervorgetreten, der nach Überarbeitung 2005 erschien. [1] Nach einer Einführung über Entstehung und missionarische Tätigkeit der gleich nach der Ordensgründung seit Mitte des 16. Jahrhunderts in Brasilien wirkenden Jesuiten liefert der Autor Angaben zu Vorbildern der Mission in Mexiko und Marokko, spezifischen Vorgaben des Kirchenrechts der iberischen Halbinsel und Lateinamerikas (Patronatsrecht) sowie zur Geschichte der Etablierung der Mission in Brasilien. Dabei geht er auch auf die nicht genug zu betonende Bedeutung der Sprachkenntnisse von Übersetzern und Dolmetschern in indigenen Sprachen, den so genannten "línguas", ein, denn für Mission und Beichte waren derartige Kenntnisse unerlässlich. Seit dem ersten Provinzial Nóbrega wurde das Sprachenlernen der Jesuiten aktiv gefördert.
Im folgenden Kapitel verknüpft der Autor das katechetische Wirken mit dem Indianerbild der Jesuiten und analysiert dabei bekannte, auch nicht-jesuitische Texte wie das erste Brasiliendokument, den Brief Vaz de Caminhas über die Entdeckung Brasiliens. Die Ausführungen über die nicht-portugiesischen Dokumente wie Hans Staden, Jean de Léry oder André Thevet, auch über die Theodor de Brysche Bildtradition (America, 3. Band 1592/1593) bleiben aber eher kursorisch. Falsch ist die Angabe, dass der französische Jean de Léry Gefangener der Indianer gewesen sei (125). Léry lebte nach religiös motivierten Konflikten mit dem Leiter der französischen Kolonie Villegagnon in Rio 1555 mit anderen Kalvinisten kurze Zeit freiwillig auf dem Festland der Bucht von Guanabara, von einer Gefangenschaft kann aber keine Rede sein. Im Übrigen stammte Léry nicht aus Genf, wie angegeben, sondern aus La Margelle in Burgund, die Religionskriege und eine Ausbildung als Pastor brachten ihn nach Jahren in Sancerre später in die Schweiz.
Es folgt die Analyse jesuitischer Dokumente von Nóbrega, Cardim, Vasconcellos, Vieira und dem Amazonasmissionar João Daniel (Tesouro descoberto do Rio Amazonas, vor 1776). Natürlich handelt es sich hierbei um zentrale Texte; allerdings läuft die Analyse bisweilen Gefahr, zu einer kommentierenden Paraphrasierung zu werden. Es hätte etwa stärker herausgearbeitet werden müssen, inwieweit sich etwa ein Text wie Fernão Cardims Tratados im Vergleich zu den (nur am Rande behandelten, inhaltlich gleich wichtigen) Tratados des Siedlers Soares de Sousa (um 1587) im Rahmen der nicht spezifisch jesuitischen Traktatliteratur bewegt oder spezifische Sichten der Jesuiten deutlich formuliert. Durch thematische Schnitte etwa zur Rolle der Dolmetscher [2] hätte man in spezifischer Hervorhebung des jesuitischen Beitrags eine stärkere Strukturierung der Analyse erreichen können.
Im folgenden Kapitel geht es um konkrete Gestaltung der "Katechese als Kulturpolitik" im missionarischen Alltag. Dabei werden neben den Abläufen des Missionsalltags (Prozessionen, Einsatz von Bildern und Musik) auch die Ergebnisse der Ethnolinguistik, besonders was die Abfassung und den Einsatz von Katechismen in Tupi bzw. der língua geral betrifft, referiert. Allerdings wird die Arte, also die Grammatik von Anchieta (1595), an einer Stelle flugs zu einem "ersten brasilianischen Katechismus" (270), was unzutreffend ist. Die katechetischen Teile von Anchietas Werk wurden erst aus handschriftlichem Nachlass in der Neuzeit veröffentlicht, der erste brasilianische Druck, auf einer Anchieta-nahen Version basierend, erschien 1618, herausgegeben von Antônio de Araújo. Die Ausführungen erwecken bisweilen den Eindruck, dass die kollektive Arbeit an Gebeten und katechetischen Texten in Tupi zugunsten der überragenden Rolle Anchietas in den Hintergrund tritt; Katechismus und Arte hätten schon um 1560 vollständig vorgelegen und seien handschriftlich verbreitet worden. Dies ist möglich; allerdings muss berücksichtigt werden, dass selbst von zentralen Gebeten wie dem Vater-Unser verschiedene Versionen im Umlauf waren, von denen uns eine 1575 in André Thevets Cosmographie, sicher auf portugiesische Übersetzungen zurückgehend, und eine andere bei Yves d'Évreux Suitte 1615 (gedruckt aber nicht im Umlauf, veröffentlicht als Voyage au Nord du Brésil, 1864) überliefert sind. Die bei Aymoré nicht behandelte Thevetsche Version ist eindeutig sprachlich nicht der Anchieta-Version ähnlich, während die auch andere Gebete und Kirchengebote enthaltende Version von Yves d'Évreux, der in Maranhão Kontakt zu in Ceará portugiesisch missionierten Stämmen hatte, der "Anchieta-Tradition" entspricht. Dies zeigt, wie lange es dauerte, bis sich selbst bei einem so zentralen Gebet ein einheitlicher Grundtext in Tupi durchsetzte.
In der Folge werden auch Anchietas Dramen ausführlich behandelt, die durch ihre Integration von Tupi von Bedeutung sind. Das abschließende Kapitel widmet sich einer Typologie der Reaktionen auf die Mission, der Bekämpfung des christlichen Schamanismus, sozialen Auswirkungen und synkretistischen Elementen. Leider nehmen diese zentralen Teile aber insgesamt nur etwa 10 Prozent der gesamten Arbeit ein, obwohl sich hier vor allem in Brasilien ein ethnologisch und mentalitätsgeschichtlich relevantes Forschungsgebiet aufgetan hat. Natürlich behandelt der Autor synkretistische Richtungen wie die gut erforschte Santidade de Jaguaribe. Bisweilen referiert er aber tradierte Analysen wie etwa die zum Messianismus der Tupi recht unkritisch, wohingegen neuere Analysen [3] hier sehr viel kritischer den europäischen Beitrag späterer Ethnologen zu den Konzeptualisierungen indigener Glaubensvorstellungen hervorheben.
Jede auf das sicher für die Kulturentwicklung des kolonialen Brasiliens entscheidende Wirken der Jesuiten zentrierte Arbeit in Brasilien läuft natürlich auch angesichts der Quellenlage aus europäischer Perspektive Gefahr, zu einer indirekten Panegyrik zu werden. Sicher ist dies nicht vom Autor angestrebt; gleichwohl wären einige Ausführungen über die Widerstände, die etwa die Indianerpolitik der Jesuiten bei den Siedlern fand, durchaus angebracht gewesen. Auch andere Orden sahen vor allem im 18. Jahrhundert jesuitische Mission in Südamerika durchaus kritisch. Der zentrale antijesuitische Text des 16. Jahrhunderts, Soares de Sousas anklagende "Capítulos" - handschriftlich mit den Traktaten des Autors über das Land 1587 in Madrid am Hof überreicht, im Jesuitenarchiv in Rom mit der jesuitischen Replik von 1592 erhalten und von dem Jesuitenhistoriker Leite de Faria 1947 in der Zeitschrift Ethnos veröffentlicht -, hätte einer Behandlung bedurft. Auch muss hervorgehoben werden, dass das jesuitische Wirken in Südamerika (im nordbrasilianischen Maranhão, wo Pombals Bruder im 18. Jahrhundert wirkte und vor allem im La Plata-Raum, in der Diskussion um die Reduktionen des "Jesuitenstaats") ein wichtiges Argument in der Diskussion um das Verbot des Ordens in den Kolonien in Amerika und später insgesamt wurde.
Aymorés Arbeit bleibt aber dennoch angesichts ihrer Materialfülle eine interessante Behandlung des Themas der jesuitischen Mission in Brasilien, die zahlreiche Anknüpfungspunkte zu weiteren Spezialstudien missions- und religionsgeschichtlicher oder ethnologischer Art bieten kann.
Anmerkungen:
[1] Jesuiten aus Zentraleuropa in Portugiesisch- und Spanisch-Amerika. Ein bio-bibliographisches Handbuch mit einem Überblick über das außereuropäische Wirken der Gesellschaft Jesu in der frühen Neuzeit. Band 1: Brasilien (1618-1760). Hrsg. von Johannes Meier, Münster 2005. Vgl. die Besprechung unter: http://www.sehepunkte.de/2007/10/11687.html.
[2] Wie zum Beispiel in der anregenden Arbeit von Alida Metcalf: Go-between and the colonization of Brazil, Austin 2005.
[3] Beispielsweise die nicht berücksichtigte Studie von Cristina Pompa: Religião como tradução, missionários, Tupi e Tapuia no Brasil colonial, Bauru 2003.
Franz Obermeier