André Chastagnol: Le pouvoir impérial à Rome. Figures et commémorations. Textes édités par Stéphane Benoist & Ségolène Demougin (= Sciences historiques et philologiques; III), Genève: Droz 2008, XVI + 496 S., ISBN 978-2-600-01343-7, EUR 102,01
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Dieses Werk ist der vierte Band der ausgewählten Schriften von André Chastagnol (1920-1996), der mit grundlegenden Arbeiten zur römischen Kaiserzeit und Spätantike, insbesondere zur Stadtpräfektur, zum Senat und zur Historia Augusta, hervorgetreten ist. [1] Aus seiner 220 Titel umfassenden Bibliographie sind nun 85 Aufsätze thematisch gruppiert wieder publiziert worden, so dass sich ein repräsentativer Querschnitt aus der immer noch unerlässlichen Grundlagenforschung Chastagnols ergibt. [2] Der zu besprechende Band enthält 23 Aufsätze, die sich mit der Historia Augusta, der kaiserlichen Titulatur, der Chronologie des 3. Jahrhunderts, den Regierungsjubiläen und dem Kaiserkult befassen. Sie alle zeichnen sich durch eine minutiöse Sichtung und Interpretation epigraphischer, numismatischer, papyrologischer und literarischer Zeugnisse aus, die häufig zum ersten Mal als Quellenbefund zusammengestellt worden sind. Eine knappe Einleitung der Herausgeber, der letzte Teil der Bibliographie Chastagnols sowie drei Indices (Kaiser, Personennamen, Quellen) rahmen den Band ein, dessen Beiträge sich in erster Linie an den Spezialisten wenden.
Die ersten sieben Aufsätze (1-117) sind der Historia Augusta gewidmet, vor allem der Vita des Carus, die den Abschluss dieser problematischen Sammlung von Kaiserviten bildet und die ihr unbekannter Autor auch zuletzt verfasst hatte. Mit quellenkritischer Analyse ausgewählter Passagen rückt Chastagnol, der eine vorzügliche, zweisprachige und kommentierte Ausgabe der Historia Augusta herausgebracht hatte, [3] vieldiskutierten Problemen zu Leibe: der Aufdeckung literarischer Reminiszensen (Cicero, Livius, Sueton) und dem Einfluss zeitgenössischer Autoren vom Ende des 4. Jahrhunderts, den Parallelen zwischen den Viten und den Doubletten im Werk, der Kompositionstechnik der Sammlung und der senatsfreundlichen "Ideologie" ihres Autors. Dabei ergeben sich immer wieder starke Argumente für seine Datierung der Historia Augusta auf das Jahr 399 n. Chr.
Die beiden Aufsätze des zweiten thematischen Schwerpunktes (119-187) befassen sich mit der Kaisertitulatur. Der erste Beitrag behandelt 'Anomalien' in der Titulatur der verstorbenen und vergöttlichten Kaiser (divi), besonders das Phänomen, dass in einigen Bauinschriften, die nachweislich nach dem Tod des geehrten Kaisers angebracht worden waren, nicht regulär etwa divus Hadrianus steht, sondern die volle Titulatur des Kaisers, wie sie vor seinem Tode gelautet hatte. Für den Forscher sind solche Anomalien aufschlussreich, weil sie den zeitlich letzten Stand der Titulatur dokumentieren und damit chronologische Probleme zu lösen vermögen. Die zweite Studie untersucht diejenigen Bestandteile im Formular der kaiserlichen Titulatur einerseits, der senatorischen andererseits, die nicht zum 'kanonischen' Grundbestand gehörten, und bestimmt den Zeitpunkt ihres Auftretens und die Veränderungen, denen sie unterlagen (etwa: pius, felix, semper Augustus, invictus, nobilissimus Caesar). Dabei wird deutlich, dass die 'Inflation' von Titeln und der rhetorische Stil der Inschriften ein Phänomen des 3. und 4. Jahrhunderts war.
Die folgenden drei Aufsätze (189-242) befassen sich mit Problemen der Kaiserchronologie des späten 3. Jahrhunderts und der Tetrarchie, zwei davon auf der Grundlage der ägyptischen Papyri und alexandrinischen Münzen, wobei die relevanten Zeugnisse in Katalogen zusammengestellt sind. Chastagnol diskutiert in diesem Zusammenhang besonders Fragen der Synchronisierung von Regierungsjahren der Augusti und Caesares und der offiziellen Anerkennung von Usurpatoren bzw. Gegnern in den Bürgerkriegsphasen. Darüber hinaus wird deutlich, wie sich die Konsulsdatierung unter Diocletian allmählich auch in Ägypten, das damals seine provinziale Sonderstellung verlor, gegenüber der Regierungsära des Kaisers durchsetzte.
Der umfangreichste thematische Schwerpunkt gilt mit 9 Beiträgen (243-377) den kaiserlichen Regierungsjubiläen, die mit zunehmend größerem Aufwand begangen wurden. Auf der Grundlage der Münzlegenden und -darstellungen in Kombination mit den wenigen literarischen und archäologischen Zeugnissen erarbeitet Chastagnol die Chronologie und Memorialpraxis der kaiserlichen qinquennalia, decennalia, vicennalia etc. für den Zeitraum von ihrer ersten numismatischen Dokumentation unter Antoninus Pius bis zum Ende des 4. Jahrhunderts. Dabei geht es in diesen Beiträgen, die sich zum Teil überschneiden, um die Gestaltung der Feiern mittels religiöser Rituale und Spiele sowie die Verbindung dieser Praktiken mit dem Triumph, um die Frage, ob es sich um Gelübde gegenüber den Göttern für den zukünftigen Herrschaftszeitraum (vota suscepta) oder eingelöste Gelübde für den vergangenen (vota soluta) handelte. Es wird diskutiert, welchen Zeitpunkt die einzelnen Herrscher als ihren dies imperii betrachteten - die Caesarerhebung oder die Alleinherrschaft - und welche Memorialpraktik die regierenden Kaiser für sich verfolgten und welche sie ihren designierten Nachfolgern zugestanden. Hier wird auch symbolische Bedeutung klar, die die Kaiser für ihre Feste der Stadt Rom beimaßen, selbst als sie dort nicht mehr residierten.
Die letzten beiden Aufsätze (379-432) behandeln den Kaiserkult in den gallischen und afrikanischen Provinzen. Im ersten Beitrag untersucht Chastagnol die Widmungsformulare der öffentlichen und privaten Weihungen für den regierenden Kaiser in den civitates und pagi der drei gallischen Provinzen außerhalb der Narbonnensis, wobei historische und regionale Entwicklungen herausgearbeitet werden. Neben vielen Einsichten ergibt sich dabei, dass der Kaiserkult unter Hadrian neu organisiert wurde und dass sich die privaten Weihungen in den pagi im Formular an den öffentlichen Weihungen der civitas-Hauptstadt orientierten. Wichtig ist der Befund, dass der Kaiserkult hier nicht einem namentlich genannten Kaiser galt, sondern der kaiserlichen Herrschaft im Allgemeinen (numen Augusti, Augusto sacrum). Für die afrikanischen Provinzen in der Spätantike zeigt Chastagnol durch die Interpretation einiger Inschriften des späten 4. und frühen 5. Jahrhunderts, dass das Priesteramt des munizipalen (flamen perpetuus) wie des provinzialen Kaiserkultes (sacerdos provinciae) die Christianisierung ebenso überdauerte wie die Reichsbildung der Vandalen, ein Befund, für den er Parallelen aus anderen Regionen des Reiches anführen kann. Die Christianisierung überlebten diese paganen Priesterämter, weil sie - so die These Chastagnols - ihre religiöse Dimension verloren hatten und auf die Ausrichtung von Spielen zu Ehren des Herrschers beschränkt worden waren. Die Kontinuität der Priesterämter unter den Barbarenreichen belegt für Chastagnol erneut die These, dass die römischen Organisationsstrukturen in den germanischen regna weitgehend übernommen worden sind.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die hier versammelten Beiträge durch die kundige und gewissenhafte Sichtung und Interpretation großer Quellenbestände maßgeblich den gegenwärtigen Forschungsstand grundgelegt haben. Jeder, der es genauer wissen und die Ergebnisse dieser Forschungen nicht nur in allgemeinen Darstellungen zur Kenntnis nehmen will, wird diese Aufsätze auch heute noch mit großem Gewinn lesen.
Anmerkungen:
[1] André Chastagnol : La préfecture urbaine à Rome sous le Bas-Empire, Paris 1960; Ders.: Les fastes de la préfecture de Rome au Bas-Empire, Paris 1962; Ders.: Les empereurs romains d'Espagne, Paris 1965; Ders.: Le sénat romain sous le règne d'Odoacre, Bonn 1966; Ders.: Le Bas-Empire, Paris 1969; Ders.: Recherches sur l'Histoire Auguste, Bonn 1970; Ders.: L'album municipal de Timgad, Bonn 1978; Ders.: L'évolution politique, sociale et économique du monde romain de Dioclétien à Julien, Paris 1985; Ders.: Le sénat romain à l'époque impériale, Paris 1992.
[2] Die drei ersten Bände sind: André Chastagnol: L'Italie et l'Afrique au Bas-Empire, Lille 1987; Ders.: Aspects de l'Antiquité tardive, Rom 1994; Ders.: La Gaule romaine et le droit latin, Lyon 1995.
[3] Histoire Auguste. Les empereurs romains des IIe et IIIe siècles, Paris 1994.
Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer