Rezension über:

Vera Beyer: Rahmenbestimmungen. Funktionen von Rahmen bei Goya, Velázquez, van Eyck und Degas, München: Wilhelm Fink 2008, 255 S., ISBN 978-3-7705-4500-1, EUR 34,90
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Rezension von:
Dominik Brabant
München
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Dominik Brabant: Rezension von: Vera Beyer: Rahmenbestimmungen. Funktionen von Rahmen bei Goya, Velázquez, van Eyck und Degas, München: Wilhelm Fink 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 10 [15.10.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/10/16048.html


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Vera Beyer: Rahmenbestimmungen

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Spätestens seit Louis Marins Untersuchungen zu den historischen Funktionen von (metarepräsentativen und ideologischen) Ein- und Ausrahmungen im Kontext eines repräsentationslogischen Bildbegriffs im 17. Jahrhundert hat sich die Vorstellung etabliert, dass es gerade die Rahmen/Rahmungen der Bilder sind, die dessen Autorität und Definitionskraft begründen und garantieren. Dem Rahmen ist es also mit zu verdanken, dass ein Bild eine imaginäre Szenerie präsentiert und dennoch zugleich seine Glaubwürdigkeit als Repräsentation von außerbildlicher Wirklichkeit beibehält. [1] Auch die Kunst- und Bildwissenschaftlerin Vera Beyer hat sich in ihrer 2005 vom Department Kulturgeschichte und Kulturkunde der Universität Hamburg als Dissertation angenommenen und im Jahr 2008 unter dem Titel "Rahmenbestimmungen. Funktionen von Rahmen bei Goya, Velázquez, van Eyck und Degas" veröffentlichten Studie an die Ränder und Randzonen von Gemälden gewagt. Sie hat in diesem anspruchsvollen Schwellenbereich der Forschung - dies sei vorausgeschickt - hochinteressante Einblicke in die den Rahmen eigenen Logiken zu Tage gebracht.

Einen Angelpunkt der Debatten der vergangenen Jahre zu dieser Thematik betrifft sicherlich die Frage nach der Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit des (oftmals eher strukturell als materiell gedachten) Rahmens. Unter dem Stichwort einer "parergonalen Struktur" entfaltete der französische Philosoph Jacques Derrida in seinem Buch "Die Wahrheit in der Malerei" eine eindringliche Lektüre von Kants "Zur Kritik der Urteilskraft", die prägend für die nachfolgenden Diskussionen wurde [2]: In seiner dritten kritischen Schrift unterschied der Königsberger Philosoph zwischen dem "Ergon", also dem eigentlichen Werk, und den "Parerga", also den stets äußerlich bleibenden und nur dem "Wohlgefallen des Geschmacks" verpflichteten Zierrate eines Kunstwerks. [3] Neben der Bekleidung für Statuen führte er eben auch die Einrahmungen von Gemälden als dieser Kategorie zugehörig an. Nach Derrida ist es nun aber gerade das vermeintlich nebensächliche und abgeleitete Parergon, das das Ergon allererst hervorzubringen imstande ist. Als ein (durchgestrichener) Ursprung konstituiert das Parergon, was nachträglich scheinbar immer schon das Ergon gewesen sein wird. Auf die hier im Mittelpunkt stehende Problematik hin formuliert: Wo kein Rahmen, da auch kein Bild. Zudem führte Derrida den Nachweis darüber, dass der Rahmen selbst gar kein eigenständiges Objekt bildet, das Gegenstand einer positivistischen Untersuchung sein könnte, sondern eher so etwas wie eine (der berühmten différance vergleichbare) Bewegung, die jeglicher binären Strukturbildung (wie innen und außen, präsent und absent) immer schon vorausgeht und diese ermöglicht. Diesen Akt der Selbst-Einsetzung jedoch - und darin besteht der double bind der "parergonalen Logik" - macht der Rahmen durch seine wortwörtliche Randständigkeit im selben Zug auch wieder unsichtbar und vergessen.

Zwar geht es der Autorin auch um diese von Derrida ausgearbeitete Doppelstruktur des Rahmens, allerdings wird ihre Arbeit über weite Partien eher von einem weiteren Generalthema bestimmt, für das die Schriften des eingangs genannten Louis Marin, aber auch diejenigen Victor I. Stoichitas Pate stehen. [4] Vor allem nämlich geht es Beyer um die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des (abendländischen) Bildes, sich selbst und seine Wirkungsweisen metapiktural in Szene zu setzen bzw. sich als selbstreflexiv auszuweisen. So durchläuft die Autorin in vier größeren Kapiteln (und einigen Exkursen), die jeweils einem Gemälde bzw. einem Maler gewidmet sind, einen kunsthistorischen Parcours, dessen durchaus mutig gewählte zeitliche und geografische Spannbreite von über vierhundert Jahren und unterschiedlichsten Kulturepochen durch die Konzentration auf herrscherliche und bürgerliche Porträtdarstellungen in Interieurs einen roten Faden aufweist. Dass im Zuge dieses Anspruchs zur epochalen Abdeckung manch historische Feindifferenzierung ausbleiben muss, ist verständlich.

Ausgesprochen sinnvoll erscheint die strategische Vorgehensweise, die jeweilige "Rahmenbestimmung" an einem Gemälde im Blick auf die unterschiedlichen Funktionszusammenhänge durchzuführen, in die der Rahmen eines Gemäldes eintritt: So definiere dieser erstens das pikturale Verhältnis zwischen Darstellung und Dargestelltem; er organisiere zweitens die rezeptionsästhetische Beziehung zwischen dem Bild und seinem Betrachter und vollziehe somit unter der Hand Sehanweisungen für die Rezeption; seine Aufgabe sei es zudem drittens, eine Grenzziehung zwischen dem Bild und seinem Umfeld vorzunehmen. In einem vierten Schritt wendet sich die Autorin jeweils der tatsächlichen Einrahmung des Gemäldes in historischer und aktueller Perspektive zu, wobei sich gerade hier eine Sensibilität für die tatsächliche, phänomenale Erscheinungsweise von Rahmen kundtut, die diese Arbeit von allein theoretisch oder philosophisch argumentierenden Studien zur Parergonalität abhebt und ihr eine wohltuende Grundierung im Faktenmaterial verleiht.

Im Zentrum der Bildanalysen stehen sodann mit Jan Van Eycks "Arnolfini-Hochzeit" (1434), Diego Velázquez "Las Meninas" (1656), Francisco Goyas Radierung nach "Las Meninas" (1778 - 1779) und "Die Familie Karls IV." (1800 - 1801) sowie abschließend Edgar Degas "Hommage an Velázquez" (1857 - 1858) und "Die Familie Bellelli" (1858 - 1867) einige Hauptwerke der Kunstgeschichte, die sich einer Analyse ihrer inszenatorischen Strategien von Rahmen und Rahmungen förmlich aufdrängen und die freilich zum größten Teil selbst auch schon jeweils eigene Forschungsliteratur zu diesem Thema hervorgebracht haben. [5] Der Mehrwert von Beyers Analysen liegt sodann im souveränen Umgang mit der Forschungsliteratur (zu der neben den genannten Autoren auch Max Imdahl, Daniel Arasse, Wolfgang Kemp, Theodor Hetzer und Hubert Damisch zählen) sowie in den überzeugenden Beobachtungen an den Werken selbst. Gerade an innerbildlichen Rahmenstrukturen, wie sie Spiegel aufweisen, demonstriert die Autorin ihre Fähigkeit zu scharfsinnigen Analysen: Spiegel können im Blick auf das Verhältnis von Bild und Abgebildetem den dargestellten Bildraum mimetisch verdoppeln (Van Eyck) oder auch strukturell wiederholen (Velázquez); sie können hinsichtlich des Verhältnisses von Bild und Betrachter letzteren in eine fiktionale Szenerie einbinden (Van Eyck) oder diesen durch ihr Fehlen ausgrenzen (Goya) - um ihn dann gerade durch diesen strategischen Zug umso wirkungsvoller mit der Tatsächlichkeit seiner Anwesenheit vor dem Bilde zu konfrontieren.

Die Autorin hat mit ihrer Studie eine Arbeit vorgelegt, die auf durchweg hohem intellektuellen Niveau verfasst ist und die kunsthistorische Forschung mit bildtheoretischen Fragestellungen auf kluge Weise verknüpft, wobei ein aufmerksameres Lektorat vielleicht so manchen Schreibfehler hätte vermeiden können. Bei aller Subtilität der Einzelbeobachtungen drängt sich allerdings bisweilen auch der Eindruck auf, dass hier einmal mehr an der Perlenkette der europäischen Kunstgeschichte die Erzählung des abendländischen, selbstbewussten Bildes durchlaufen wird, dessen spezifische Kapazität darin zu suchen sei, in der Darstellung seine eigene Bedingtheit und Wirkungsweise zugleich mit zu inszenieren. Der im Einleitungskapitel heran zitierte Begriff der "ikonischen Differenz" (Boehm), der den durchaus ästhetisch gefassten Mehrwerk des Kunstwerks gegenüber dem bloß sklavisch abbildenden Gebrauchsbild in eine sprachlich griffige Formel bringt, weist hier die Richtung der nachfolgenden Analysen (21f.). Dies ist sicherlich legitim; und dennoch scheint hier - bei aller (bild-)kritischen Umsicht - eine eher bildaffirmative Grundhaltung durch, die im Gegenzug weniger Raum für die Thematisierung der Kehrseiten des Rahmens und seiner Funktionsweisen übrig lässt: Denn das Erwünschte sichtbar sowie das Abseitige und Marginale unsichtbar zu machen und diesen Akt dabei zugleich im performativen Vollzug zu verbergen, zählt wohl zu den eher verstörenden Effekten von Ein- und Ausrahmungsprozeduren, die jedoch gerade deshalb eine verstärkte Aufmerksamkeit von Seiten der Kunst- und Bildwissenschaften verdienen würden.


Anmerkungen:

[1] Vgl. hierzu Louis Marin: Le cadre de la représentation et quelques-unes de ses figures, in: Les Cahiers du Musée National d'Art Moderne 24 (1988), 62-81.

[2] Vgl. hierzu: Jacques Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, hrsg. von Peter Engelmann, aus dem Französischen von Michael Wetzel, Wien 1992.

[3] So Kant im Paragraf 14. Vgl.: Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, hrsg. von Gerhard Lehmann, Stuttgart 2004, 104.

[4] Vgl. Victor I. Stoichita: Das selbstbewußte Bild: Der Ursprung der Metamalerei, München 1998.

[5] Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, übersetzt von Ulrich Köppen (Original: Les Mots et les choses, Paris 1966), Frankfurt am Main 1971, 31-45. Vgl. mit Blick auf Velázquez "Las Meninas": Svetlana Alpers: Interpretation ohne Darstellung - oder: das Sehen von Las Meninas, in: Las Meninas im Spiegel der Deutungen. Eine Einführung in die Methoden der Kunstgeschichte, hrsg. von Thierry Greub, Berlin 2001, 194-206.

Dominik Brabant