Volker Zimmermann: Eine sozialistische Freundschaft im Wandel. Die Beziehungen zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei (1945-1969) (= Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa; Bd. 34), Essen: Klartext 2010, 639 S., ISBN 978-3-8375-0296-1, EUR 47,90
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Die Beziehungen zwischen der DDR und ihren östlichen Nachbarn fanden lange Zeit weniger Beachtung als die zu den westeuropäischen und neutralen Staaten. Während das Verhältnis zu Polen inzwischen relativ gut erforscht ist, liegen zu den ostdeutsch-tschechoslowakischen Beziehungen lediglich eine Monographie zu den Jahren 1961 bis 1968 [1] und einige Aufsätze vor. Umso erfreulicher ist es, dass Volker Zimmermann nun mit der gedruckten Fassung seiner Habilitationsschrift diese Lücke für die Jahre 1945 bis 1969 schließen kann. Dabei ist es sein Ziel, nicht nur Außenpolitik und Diplomatie zu behandeln, "sondern auch die Tiefenstrukturen der 'Partnerschaft' in möglichst vielen Bereichen" zu erfassen (19). Angesichts der ungewöhnlich umfangreichen grenzüberschreitenden Kontakte zwischen beiden Staaten geht es zum einen um die Frage, inwieweit hier von transnationalen Beziehungen gesprochen werden kann; zum anderen soll geklärt werden, was "sozialistische Freundschaft" im Alltag von Tschechen, Slowaken und Ostdeutschen bedeutete.
Der breiten Fragestellung entspricht eine umfangreiche Quellengrundlage: Zimmermann zieht die Akten der beiden Außenministerien, der staatlichen Archive, der Parteiarchive und Gewerkschaftsarchive heran und hat zudem Interviews mit einer Reihe von Zeitzeugen geführt. Bei der Breite des Ansatzes überrascht lediglich, dass er die Wirtschaftsbeziehungen der beiden Staaten auf insgesamt 19 Seiten nur relativ knapp behandelt, obwohl er sie "zu den stabilsten Pfeilern der Kooperation" zählt (347).
Die Stellung der SBZ/DDR wandelte sich zwischen 1945 und 1969 grundlegend: Vom Kriegsverlierer wurde sie 1969 gegenüber der ČSSR zur "tonangebenden Kraft" (570). Zimmermann analysiert den zunächst sehr zaghaften Annäherungsprozess, den die Sowjetunion ab 1949 forcierte. Außerdem erbrachte die DDR hier die zentrale Vorleistung, indem sie sich nicht nur zum territorialen Status quo bekannte, sondern auch die "Umsiedlung der Deutschen" als "unabänderlich, gerecht und endgültig gelöst" bezeichnete (98). In denselben Zusammenhang gehört, dass sie in den folgenden beiden Jahrzehnten die Belange der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei konsequent missachtete.
Im Gegenzug konnten zwischen 1949 und 1955/56 die bilateralen Beziehungen langsam aufgebaut werden. Nachdem sich beide Staats- und Parteiführungen 1956 in der Ablehnung der Entstalinisierung gegenüber Polen und Ungarn zusammengefunden hatten, wurden die Beziehungen weiter ausgebaut und intensiviert. Nun setzte etwa die Kooperation der Parteiapparate auf den unterschiedlichsten Ebenen ein, die kulturelle Zusammenarbeit wurde stark erweitert, Gewerkschaften und Jugendorganisationen tauschten Delegationen aus. Angestoßen durch die politischen Kontakte, wurden immer mehr Menschen in die bilateralen Programme eingebunden. Dabei macht Zimmermann wiederholt darauf aufmerksam, dass ohne eine gemeinsame, gegen den angeblichen westdeutschen "Revanchismus" gerichtete Deutschlandpolitik eine solche Intensivierung der Beziehungen nicht möglich gewesen wäre. Durch die Propaganda konnten die antideutschen Stimmungen auf die Bundesrepublik konzentriert werden, "das äußerst unpopuläre Bild von der bundesdeutschen Politik [begünstigte] eine Akzeptanz des ostdeutschen Nachbarn" (206).
Der Mauerbau festigte zwar das ostdeutsch-tschechoslowakische Verhältnis; die ČSSR war jedoch nun nicht länger bereit, die DDR wirtschaftlich zu unterstützen. Mit der zweiten Phase der Entstalinisierung ab 1961, die sich in der Tschechoslowakei auch im Herrschaftsapparat und in der Kulturpolitik auswirkte, kam es zu größeren Differenzen im Verhältnis zur DDR. Zimmermann macht für die bereits hinlänglich bekannten ostdeutschen Ausfälle, auch auf einem ZK-Plenum 1964, das "Vorpreschen einer Gruppe ostdeutscher Hardliner" verantwortlich (321). Sicher ist es zutreffend, dass nicht die gesamte Funktionärsschicht der DDR diese Position teilte; da sie aber publik gemacht wurde, ist es ausgeschlossen, dass dies gegen den Willen Ulbrichts und der engeren SED-Führung geschah.
Trotz der Kritik kooperierten beide Staaten weiterhin auf außen- und deutschlandpolitischem Gebiet; außerdem wurde, vor allem auf Drängen der ostdeutschen Führung (die wiederum unter öffentlichem Druck stand), der Tourismus erleichtert und erheblich ausgeweitet. Als 1967 beide Staaten die Visapflicht für die Bürger des jeweils anderen Landes abschafften, besuchten innerhalb von 10 Monaten über eine Million DDR-Bürger die Tschechoslowakei, während 427.000 Tschechen und Slowaken in die umgekehrte Richtung reisten. Diese Parallelität von kulturpolitischen Differenzen auf der einen und engen Verflechtungen auf der anderen Seite führte Zimmermann zufolge zu einer äußerst brisanten Situation. Und dies nicht nur, weil die tschechoslowakische Führung, sehr zum Missfallen Ost-Berlins, aus finanziellen Gründen sich auch für den Massentourismus aus dem Westen öffnete, so dass die DDR eine Unterwanderung der ČSSR vom Westen und unerwünschte deutsch-deutsche Kontakte in dem Nachbarland befürchtete. Insgesamt drohte die schrittweise Abkehr der ČSSR vom Stalinismus, die Position der SED angesichts der engen, kaum rückgängig zu machenden Verflechtung beider Gesellschaften erheblich zu schwächen.
Vor diesem Hintergrund wird die Konfrontation von DDR und ČSSR angesichts des "Prager Frühlings" geschildert. Zimmermann wiederholt nicht noch einmal die inzwischen gut bekannte Chronologie der Treffen der Antireform-Koalition des Warschauer Pakts, sondern konzentriert sich auf die Zusammenstöße zwischen der Prager und der Ost-Berliner Führung - etwa anlässlich des Besuchs von Außenminister Jiři Hájek bei Ulbricht im Juni 1968 - und auf die Auswirkungen des Reformkurses auf das Verhältnis von Ostdeutschen, Tschechen und Slowaken. So machte die tschechoslowakische Botschaft Sympathien für den "Prager Frühling" bei einem großen Teil der DDR-Bürger aus; in der ČSSR hingegen gingen die Sympathien für die DDR seit Juli 1968 "auf den Nullpunkt" zurück (so Antonín Šnejdárek, Seite 433), und die "Rede von befreundeten Ostdeutschen und gefährlichen Westdeutschen verkehrte sich nun in ihr Gegenteil" (436). Noch der von der DDR unterstützten Intervention im August 1968 verkörperte Ulbricht den "hässlichen Deutschen" und die "Gleichung 'Deutsche = Nazis' wurde von manchen plötzlich auf die DDR und nicht mehr auf die BRD angewandt" (472). Kein Wunder, dass das bilaterale Verhältnis durch die Invasion nachhaltig gestört wurde, die Kontakte fast völlig abbrachen und erst ganz allmählich ab 1969 eine "Normalisierung" der beiderseitigen Beziehungen unter konservativen Vorzeichen einsetzte.
Zimmermanns ergänzt seine Untersuchung noch durch einen Exkurs über "Geschichtsbilder als Basis sozialistischer Freundschaft" sowie durch ein Kapitel zu dem äußerst dynamischen Dreiecksverhältnis Polen-Tschechoslowakei-DDR zwischen 1945 und 1969. Es handelt sich insofern um eine überzeugende Untersuchung, als sie zeigt, wie sehr sich politische und gesellschaftliche Beziehungen der beiden Staaten bedingten: Erst die politische Annäherung und relativ enge Kooperation der kommunistischen Führungen ermöglichte mit der Zeit einen intensiven ostdeutsch-tschechoslowakischen Austausch - zunächst auf "offizieller" und später auch auf gesellschaftlicher Ebene. Unter der Hand entstanden auf diese Weise "Räume, die gesellschaftlichen Austausch, politische Kommunikation und Interaktion' ermöglichten und aus der Sicht der SED zu einer realen Bedrohung werden konnten" (585). Transnationale Beziehungen waren hier folglich das Resultat politischer Beziehungen, hatten jedoch ebenfalls erhebliche Rückwirkungen auf die Politik der beiden ostmitteleuropäischen Nachbarn.
Anmerkung:
[1] Wolfgang Schwarz: Brüderlich entzweit. Die Beziehungen zwischen der DDR und der ČSSR 1961-1968, München 2004.
Hermann Wentker