Ralf Beil (Hg.): Masken. Metamorphosen des Gesichts von Rodin bis Picasso, Ostfildern: Hatje Cantz 2009, 256 S., ISBN 978-3-7757-2387-9, EUR 39,80
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Die Maske erfreute sich in der freien ebenso wie der angewandten Kunst vom ausgehenden 19. Jahrhundert an bis ins frühe 20. Jahrhundert einer auffallenden Beliebtheit. Diesem Phänomen nachzugehen unternahm erstmalig die Ausstellung "Masken. Metamorphosen des Gesichts von Rodin bis Picasso", die sowohl auf der Mathildenhöhe Darmstadt als auch im Musée d'Orsay und in der Ny Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen gezeigt worden ist. Begleitet wurde die Ausstellung von einem lesens- und sehenswerten Katalog unter der Herausgeberschaft von Ralf Beil, Direktor der Mathildenhöhe; Konzeption und wissenschaftliche Bearbeitung oblagen Édouard Papet, Chefkonservator des Musée d'Orsay.
Das erklärte Ziel von Ausstellung und Katalog ist "die Besonderheiten einer visuellen Grammatik aufzuzeigen, die sowohl illusionistische Obsession als auch hypnotischen Symbolismus bis zum Äußersten treiben kann" (9). Die Auswahl der Exponate konzentriert sich hauptsächlich auf französische und deutsche Arbeiten, da sich vor allem in diesen Ländern die Maske als ein eigenständiges Genre der Plastik in der Zeit von 1880 bis 1910 etablieren konnte. Der Untersuchungszeitraum ist um die davor und danach liegenden Dezennien sinnvoll erweitert. Dabei geht es vorwiegend um die Maske als ein künstlerisches Sujet, formal wie inhaltlich, nicht um 'Gebrauchsmasken', die dem tatsächlichen Maskieren dienten. Darüber hinaus wird die Maske als ein symbolhaftes Objekt untersucht, das stets zur philosophischen und anthropologischen Reflexion anregte und anregt.
Der Katalog ist chronologisch aufgebaut und beginnt nach dem Vorwort mit zwei Aufsätzen, die eine Ontologie der Maske vorstellen. In der sich anschließenden Einführung gibt Papet einen Überblick über die verschiedenen Erscheinungsformen und Funktionen der Maske im 19. Jahrhundert. Die Masken der Antike wie auch die des Mittelalters illustrieren gewissermaßen den 'Urgrund' der europäischen Maske und werden daher in eigenen Kapiteln ausführlicher, wenn auch etwas inhomogen dargestellt. Während Juliette Becq die Forschungen und Sichtweisen des 19. Jahrhunderts auf die antiken Masken im Sinne einer Rezeptionsgeschichte prägnant umreißt, gibt Pierre-Yves Le Pogam für das Mittelalter eine eher kursorische Aufzählung, ohne dabei die Relevanz für die Kunst des 19. Jahrhunderts herauszuarbeiten. Den Einfluss der japanischen Masken auf Künstler in Frankreich behandelt Christine Shimizu in einem der Bedeutung dieses Themas angemessenen umfangreicheren Kapitel.
Der Hauptteil des Katalogs ist in drei Abschnitte gegliedert, die unter den Titeln "Im Atelier der Bildhauer", "Im Umkreis des Symbolismus" und "Eine neue Blütezeit" den Facettenreichtum der Maske von den Gesichtsobsessionen Rodins bis zu der vielschichtigen Rolle der Maske in der Fotokunst der 1920er-Jahre aufzeigen. Längere Abhandlungen werden dabei durch eingeschobene Detailbetrachtungen einzelner Werke auf einer Doppelseite ergänzt. Ein 210 Nummern langes Verzeichnis der ausgestellten Werke bildet den letzten Teil des Bandes. Sehr zu loben ist im gesamten Katalog die Qualität der Reproduktionen, in denen es gelingt, den Oberflächencharakter der unterschiedlichen Materialien zu transportieren.
Den ersten Schwerpunkt setzt der Abschnitt über die Maske im Œuvre Auguste Rodins. Antoinette Le Normand-Romain erläutert die Entwicklung des Künstlers ausgehend von frühen Entwürfen für das "Höllentor" aus den 1880er-Jahren über den "Balzac" zur Serie der "Hanako"-Masken. Dabei gibt sie interessante Einblicke in technische Aspekte der Entstehung etwa der verschiedenen Balzac-Masken. Natürlich fehlt nicht ein Absatz über den "Mann mit gebrochener Nase" von 1864, dem als ein Schlüsselwerk zu Rodins Idee des Fragmentarischen zusätzlich noch eine Einzelbetrachtung gewidmet ist. Ein eigenes Kapitel erhält die Hanako-Serie als Rodins spektakulärster und umfangreichster Maskenzyklus, was zu einigen Doppelungen in Aussagen und verwendeten Zitaten führt.
In Deutschland heutzutage weniger bekannt ist der Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich hoch berühmte Bildhauer und Keramikkünstler Jean Carriès. Édouard Papet beschreibt und analysiert dessen zumeist glasierte Keramikmasken, die zwischen 1888 und 1895, dem Todesjahr des Künstlers, entstanden. Von geradezu beunruhigender Suggestivität sind dabei die Selbstporträts, deren Wirkung nicht nur durch die Form, sondern insbesondere durch das keramische Material bedingt ist. Leider wird die Keramik Carriès im Katalog stets fälschlich als Steingut bezeichnet, was eine poröse Keramikart mit hellem Scherben und transparenter Glasur meint. Tatsächlich handelt es sich aber um Steinzeug, einer dicht gebrannten Tonware mit hellem oder farbigem Scherben und Salz- oder farbigen Glasuren. Der Fehler ist sicherlich auf eine unkundige Übersetzung des französischen, keramiktechnischen Begriffs "grès" zurückzuführen.
In einem etwas bemüht intellektualistischen Aufsatz setzt sich Colin Lemoine zum Abschluss mit Antoine Bourdelles Masken auseinander.
Der zweite Teil des Buches ist dem Thema der Maske im Symbolismus gewidmet, als die vielfältigen inhaltlichen, bisweilen metaphysischen Implikationen der Maske Künstler aller Gattungen faszinierten. Eröffnet wird dieser Teil des Katalogs mit einem erfreulich ausführlichen und aufschlussreichen Aufsatz zu Félix Vallotons und Remy de Gourmonts "Livre des Masques" von Marie-Pierre Salé, in dem literarische und grafische Porträts symbolistischer Schriftsteller vereinigt wurden.
Etwas zäh liest sich hingegen Renate Ulmers Text über die Maske in Deutschland, in dem viele grundlegende Aussagen zur Maske als solcher wiederholt werden, die bereits in den ersten Kapiteln mehrfach zu lesen waren. Wesentlich interessanter sind hingegen ihre Ausführungen zu Franz Metzner und der Maske in der dekorativen Kunst dieser Zeit.
Xavier Tricot beschäftigt sich anschließend mit James Ensor, dem "Maler der Masken", wie er dem breiten Publikum bekannt ist. Darin geht der Autor der Etablierung der Maske (und des Skeletts) als Paradigma in der Kunst Ensors nach. Geneviève Lacambre schließt daran an mit einem Essay über die Maske als Sujet der symbolistischen Literatur mit ihren Wurzeln bei Baudelaire und den Brüdern Goncourt. Das 'Einsprengsel' derselben Autorin über Fernand Khnopffs "Eine Maske" leitet über zu Jean-Luc Oliviés hochinteressanten Ausführungen zu dem ebenfalls in Deutschland kaum bekannten Bildhauer Henry Cros. Hauptaugenmerk erhalten hier die aus Glaspaste (pâte de verre) gefertigten Masken, einer an antike Vorbilder anschließenden Technik, und die damit einhergehende Auseinandersetzung mit polychromer Plastik.
Der letzte Teil des Buches richtet den Blick ganz auf das erste Viertel des 20. Jahrhunderts, als die Begeisterung für die Maske als Genre symbolistischer Selbstbespiegelung allmählich zurückging und sich einem rationaleren Klassizismus zuwandte. Diese erneute Beschäftigung mit der Antike erläutert Philippe Thiébaut ausgehend von der Wiener Sezession und geht im Anschluss an das vorherige Kapitel besonders auf das Interesse der Künstler für das Material Glas ein. Eine Bereicherung stellt der Aufsatz von Patrick Le Bœuf über den vielfältig begabten Künstler Edward Gordon Craig dar, der sich um eine Erneuerung der Theatermaske verdient gemacht hatte. Brigitte Léal beschäftigt sich danach mit dem weitaus geläufigeren Thema des Einflusses, den die 'primitive' Kunst Afrikas und Ozeaniens auf die europäische Avantgarde ausübte. Mit seinen Ausführungen zur Maske als Attribut in fotografischen Frauenporträts der Zwischenkriegszeit beschließt Quentin Bajac den Hauptteil des Buches. Das Werkverzeichnis steht am Ende.
Der Katalog richtet in sinnvoller Auswahl den Blick auf ein in der Tat faszinierendes Genre der Plastik. Der Ansatz, die Maske als künstlerisches Sujet zu begreifen, unterscheidet den Band von Unternehmungen der letzten Jahre, die sich mit der Maske als Gebrauchsgegenstand [1] oder als bisweilen metaphysisch interpretierte Konservierung des Antlitzes [2] beschäftigten. Die Stärke des Buches liegt dabei weniger in der Eruierung von gänzlich Neuem im Einzelnen, zu sehr sind Künstler wie Rodin, Bourdelle und Ensor 'abgearbeitet'. Vielmehr ist es den Machern von Ausstellung und Katalog gelungen, durch die Zusammenführung der so unterschiedlichen Aspekte und Erscheinungsformen des Themas, der Maske eine epochale Dimension zu geben. Die Maske war im Untersuchungszeitraum eben nicht eine bloße Etüde oder gleichsam ein 'Abfallprodukt' der Bildhauerei. Und so ist das Buch trotz einiger Wiederholungen und der Neigung zur Aufzählung eine lohnende Phänomenologie der Maske.
Anmerkungen:
[1] Hier wäre das Ausstellungsprojekt des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe zu nennen: Entlarvt! Von Masken und Maskeraden (Ausst. Kat. Karlsruhe, Badisches Landesmuseum Karlsruhe 2004/05), Marburg 2004.
[2] Uwe Schneede (Hg.): Hautnah. Die Abformung des Lebens im 19. Jahrhundert (Ausst. Kat. Hamburg, Hamburger Kunsthalle 2002), Hamburg 2002.
Christian Lechelt