Mark Edele: Soviet Veterans of the Second World War. A Popular Movement in an Authoritarian Society, 1941-1991, Oxford: Oxford University Press 2008, XXII + 334 S., ISBN 978-0-19-923756-2, USD 110,00
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Die UdSSR bot im Zweiten Weltkrieg rund 34,5 Millionen Soldaten und Soldatinnen, dazu eine bis heute nicht bekannte Zahl von Partisanen auf. Von den regulären Militärs verloren über 7,8 Millionen ihr Leben, mindestens drei Millionen blieben für immer versehrt. Somit waren 15 Prozent der sowjetischen Nachkriegsbevölkerung Veteranen eines Krieges, der der UdSSR ungeheueres Leid sowie erheblichen internationalen Machtgewinn eintrug. Die Moskauer Machthaber nutzten den Krieg zur Stabilisierung und Legitimierung ihrer Herrschaft. Die Kriegsheimkehrer hatten sich aus staatlicher Sicht erneut in das überkommene Machtgefüge einzufügen und die neuen Anforderungen zu erfüllen. Dieser Sicht von oben stellt Edele in seiner sorgfältig recherchierten Studie die Perzeptionen und Strategien der Veteranen als "sozialer Kraft" (6) der sowjetischen Gesellschaft entgegen. Die Kohärenz der sozial und lebensgeschichtlich ausdifferenzierten Gruppe sieht Edele durch gemeinsame Erwartungen an das Regime gegeben: Der Waffendienst im siegreichen Krieg berechtige, so die Ansicht vieler Überlebender, zu besonderen Privilegien im Frieden (197).
Edeles Augenmerk richtet sich auf die Transformation dieser "entitlement group" zu einer organisierten und staatlich anerkannten "status group" unter den sich wandelnden sowjetischen Bedingungen. Eine Binnendifferenzierung der gefühlten Gemeinschaft wird nur begrenzt vorgenommen. Zu denken wären etwa interne Hierarchisierungen aufgrund von Dienstorten oder -zeiten, die die von Edele dokumentierte herausgehobene Stellung von höheren Diensträngen und Parteimitgliedern in der Veteranenbewegung ergänzen könnten. Die größten Untergruppen sind indes die von Edele in eigenen Kapiteln diskutierten ehemaligen Kriegsgefangenen und Invaliden. Sie verdienten aus staatlicher Perspektive besondere Beachtung oder hätten sie zumindest verdienen sollen. [1] Edele zeichnet hier konzis den staatlichen Umgang und die Nachkriegserfahrungen beider Gruppen nach. Darüber hinaus wäre aber auch eine genauere Ausleuchtung ihrer Beziehungen zu anderen Veteranen von Interesse, nicht zuletzt, um aus dieser Perspektive das Wechselverhältnis von individuellen Ansprüchen und staatlichen Angeboten bzw. Forderungen zu analysieren. Dieser Frage widmet sich Edele mit Blick auf weibliche Veteranen zumindest kursorisch. Im Gegensatz zur älteren Forschung geht er von rund 570.000 Soldatinnen aus. [2] Die Veteraninnen erfuhren in ihrem sozialen Umfeld nicht immer die gleiche Anerkennung für den vergangenen Kampfeinsatz wie ihre männlichen Kameraden. Die Geschichte von Volksbewegungen in autoritären Gesellschaften, die tatsächlich zu den "faszinierendsten sozialpolitischen Phänomenen des 20. Jahrhunderts" gehören (18), wird nicht darauf verzichten können, die internen Beziehungsgeflechte dieser Bewegungen sowie ihre Verankerung in der Restgesellschaft im Detail zu ergründen. Für beide Fragestellungen liefert Edele aussagekräftiges Rohmaterial, das in zukünftigen Forschungen noch zu erweitern und zu systematisieren ist. Es mag auch zum Verständnis der sich wandelnden Schlagkraft und Intensität der Veteranenbewegung beitragen.
Mit der Darstellung der Aktivitäten der Veteranen ist es Edele zweifellos gelungen, wichtige Forschungslücken zu schließen. Ziel stalinistischer Politik ab 1945 war es nicht, den Veteranen einen herausragenden Status zuzubilligen. Vielmehr wollte Stalin sie möglichst schnell auch im prekären Frieden quasi auf eine vorbildlich funktionierende "Schraube" (Stalin, 25.6.1945) bei der Aufbauarbeit an Wirtschaft und Sozialismus reduzieren. Zu diesem Zweck wurden den Kriegsheimkehrern besondere Versorgungsleistungen in Aussicht gestellt, die die Verwaltungen unter den allgemeinen Nachkriegsbedingungen aber nicht oder nur teilweise erbrachten. Die theoretische Koppelung von Versorgung und Anreizen zur Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit durchzog im übrigen auch die staatliche Politik gegenüber den invaliden Veteranen. Insgesamt hing die rudimentäre Versorgung der ehemaligen Soldaten stark von ihrem privaten Umfeld, von persönlicher Findigkeit und von funktionstüchtigen privaten Netzwerken ab. Dies schuf die Grundlagen für eine soziale Ausdifferenzierung der Veteranen, die über die Stalinära hinaus von Bedeutung blieb. Nach Stalins Tod entstand in Moskau ein Komitee der Kriegsveteranen. Die neue Regierung betrachtete das Komitee als Mittel internationaler Propaganda. Da die Spannungen zwischen den Ansprüchen der früheren Soldaten und der tatsächlichen Versorgung seit 1945 nicht aufgelöst wurden, nutzten die Veteranen das Komitee auf ihre Weise. Es ist spannend zu sehen, wie es ihnen bis zu einem bestimmt Maß gelang, die außenpolitische Propagandamaschine in ihre Interessenvertretung umzuformen. Zwar wurden auf organisatorischer Ebene die Errungenschaften 1976 wieder zurückgedrängt. Doch bereits 1978 erreichten die Kriegsheimkehrer quasi im Gegenzug mit der legalen Institutionalisierung des Begriffs "Kriegsteilnehmer" eine endgültige staatliche Anerkennung als eigene Gruppe.
Die Definition des entsprechenden Beschlusses von Ministerrat und Zentralkomitee schloss indes bestimmte durchaus umfangreiche Personenkategorien aus (Personen mit Zivilstatus, Soldaten außerhalb der Feldarmee) - der real existierende Sozialismus konnte es sich auch weit über 30 Jahre nach Kriegsende nicht leisten, seine heroische Propaganda und eigene Legitimitätsansprüche entsprechend großzügig zu unterfüttern. Das Missverhältnis zwischen Versprechen und Realität gehört zu der Erbschaft, die das heutige Russland von der UdSSR übernommen hat. 2004 lebten noch rund eine Million Veteranen des Zweiten Weltkriegs in Russland. Trotz aller Missstände genießen sie heute höhere Achtung und bessere Versorgungsmöglichkeiten als die Veteranen der Kriege in Afghanistan und Tschetschenien. Das ist ein indirekter Beleg für den hohen Stellenwert, den der "Große Vaterländische Krieg" bis heute in der russischen Politik und Gesellschaft einnimmt. Wir verdanken der Monographie von Mark Edele instruktive Einsichten darüber, wie beschwerlich der Weg ist, um aus einem politischen Mythos angemessene Politik für die Menschen zu schaffen, die bei der eigentlichen Geburt des Mythos Pate standen.
Anmerkungen:
[1] Zu Kriegsgefangenen zuletzt: Ulrike Goeken-Haidl: Der Weg zurück. Die Repatriierung sowjetischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener während und nach dem Zweiten Weltkrieg, Essen 2006. Zum Umgang mit Invaliden in Kürze: Beate Fieseler / Arme Sieger: Die Invaliden des "Großen Vaterländischen Krieges" der Sowjetunion 1941-1991, Köln 2011.
[2] Die Geschichte der Soldatinnen der Roten Armee bleibt ein Desiderat der Forschung, vgl. Deutsch-russisches Museum Berlin-Karlshorst (Hg.): Mascha + Nina + Katjuscha. Frauen in der Roten Armee 1941-1945, Berlin 2002.
Andreas Hilger