Ingo Löppenberg: «Wider Raubstaat, Großkapital und Pickelhaube». Die katholische Militarismuskritik und Militärpolitik des Zentrums 1860 bis 1914 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; Bd. 1066), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2009, 145 S., ISBN 978-3-631-59397-4, EUR 29,90
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Jeffrey D. Burson / Ulrich L. Lehner (eds.): Enlightenment and Catholicism in Europe. A Transnational History, Notre Dame, IN: University of Notre Dame Press 2014
Julia Mandry: Armenfürsorge, Hospitäler und Bettel in Thüringen in Spätmittelalter und Reformation (1300-1600), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2018
Klaus Herbers: Jakobsweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt, München: C.H.Beck 2006
Man kann sich grundsätzlich natürlich fragen, ob Arbeiten, die zum Abschluss des Studiums geschrieben werden - wie Magisterarbeiten - unbedingt gedruckt werden müssen. Dass es dabei zu differenzieren gilt, belegt das hier zu besprechende Werk, eine Magisterarbeit im Fach Geschichte an der Universität Greifswald. Sie ordnet sich ein in die jüngere Katholizismusforschung, in der die Konstituierung eines katholischen Milieus und die Rolle der katholischen Partei, des Zentrums, in diesem Milieu zentrale Themen waren und sind.
Zwei miteinander verbundene Aspekte bilden den Gegenstand der Arbeit: Die katholische Militarismuskritik einerseits und die Militärpolitik der Partei des politischen Katholizismus, des Zentrums, andererseits. Entsprechend ist das Buch auch aufgebaut. Es zeichnet sich durch eine reflektierte Terminologie und eine breite Quellenbasis aus (vier katholische Zeitschriften, Parlamentsakten, verschiedene Ausgaben des Staatslexikons der Görres-Gesellschaft, Memoiren, zeitgenössische Broschüren und Abhandlungen zum speziellen Themenbereich). Dies ermöglicht vielfältige Zugänge zum Thema, bringt aber auch eine gewisse Heterogenität des Materials mit sich. Ein stringenter methodischer Ansatz fehlt dagegen - so vermisst man in der sonst gut gelungenen Einleitung ein Unterkapitel zur Methodologie -, obwohl sich dieses Thema für eine konsequente historische Diskursanalyse geradezu aufgedrängt hätte.
Trotz des eher bescheidenen Umfangs bietet das Werk eine Reihe von konkreten Ergebnissen und es gelangt auch zu pointierten Thesen. Der Verfasser zeigt sich davon überzeugt, dass die Militarismuskritik die Politik des Zentrums entschieden mitprägte, die Militärpolitik des Zentrums ihrerseits als Hebel für eine Parlamentarisierung des deutschen Kaiserreichs diente und dass schließlich von keiner Nationalisierung im Blick auf den politischen Katholizismus gesprochen werden könne (16f.). Eines der konkreten Ergebnisse besteht im Nachweis, dass die Übernahme des Militarismus-Begriffs in Deutschland am frühesten im Kreis der katholischen Publizistik erfolgte, und zwar aus dem Französischen (1863 in den Historisch-Politischen Blättern). Durch eine Fülle von Quellenzitaten erhält der Leser auch einen genauen Eindruck von dem, was die katholischen Autoren unter den Militarismus-Begriff subsumierten: Aufrüstung, Militärstaat und damit in Verbindung die Dominanz des Militärischen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Politisch konkretisiert wurde dies häufig in einer Frontstellung zur preußischen Politik, wobei die Füllung des Begriffs mit der politischen Konstellation korrelierte, in der sich der Katholizismus jeweils befand.
Genau an dieser Stelle macht sich allerdings eine wesentliche Schwäche der Arbeit bemerkbar: Der Verfasser erwähnt in Anlehnung an seine Quellen umfassendere Kontexte, in denen diese Militarismuskritik situiert war, aber er verbindet seine Analyse nicht mit den anderen zentralen katholischen Diskursen dieser Zeit (Revolution, Mittelalter, soziale Frage). Von der sich mit ihnen beschäftigenden Forschungsliteratur nimmt er entsprechend keine Notiz (so fehlt etwa die Studie von M. Klug zur katholischen Mittelalterrezeption). Dadurch, dass diese Verknüpfung mit anderen zentralen großen Diskursen fehlt, werden auch die der Militarismuskritik zu Grunde liegenden weltanschaulichen Prämissen nicht hinreichend deutlich. Letztlich ging es auch dabei darum, dem Ideal einer nach kirchlichen Prinzipien geordneten und von der Kirche geleiteten Gesellschaft näher zu kommen. In gewisser Weise kann gesagt werden, der Militarismus-Begriff sei als Anti-Topos zum katholischen Gesellschafts- und Staatskonzept verwandt worden. Erst ganz am Ende der Arbeit (121) wird diese Dimension vom Verfasser angesprochen. Auch erhält der Leser kaum Hinweise darauf, in welchen Kontexten die Personen standen, deren Äußerungen zum Militarismus angeführt werden.
Das Kapitel über die Militärpolitik des Zentrums vermittelt eine eindrucksvolle Gesamtübersicht und macht auf erhebliche Differenzen in dieser Sache auch innerhalb der katholischen Partei aufmerksam, die meist auch klare regionale und soziale Hintergründe hatten. Ebenso wird überzeugend gezeigt, wie das Zentrum insgesamt in der Militärpolitik einen mittleren Kurs verfolgte, der einerseits den Erwartungen der Wählerschaft geschuldet war, die den kostenaufwändigen Militärprogrammen überwiegend ablehnend gegenüberstand. Andererseits wollte das Zentrum auch als staatstragende Kraft anerkannt werden und politische Ziele erreichen, was zu mancherlei "Geschäften" mit der Regierung auch in der Militärpolitik führte. Die katholische Militarismuskritik fand dementsprechend zwar im Zentrum Resonanz, aber keine spiegelbildliche Entsprechung in dessen konkreter Politik.
Aus den sehr detaillierten Ausführungen Löppenbergs sind nicht nur die taktischen Kompromisse zu ersehen, sondern auch Konstanten in der Militärpolitik des Zentrums. Dabei ist die These sehr überzeugend belegt, die Rechte des Parlaments in Militärfragen zu sichern und sogar zu stärken, sei ein zentrales Ziel des Zentrums gewesen. Nicht weniger deutlich wird, dass die katholische Partei trotz mancherlei Reserven gegenüber einem überbordenden Nationalismus insgesamt der offensiven, expansiven Militärpolitik in der Ära des Deutschen Kaiserreiches keine entscheidenden Schranken setzen konnte und wohl auch nur in Teilen setzen wollte. Insofern scheint die letzte der oben genannten Thesen des Verfassers - keine Nationalisierung - mir weniger eindeutig belegt zu sein als die Übrigen.
So zeigt das Buch von Löppenberg am Ende, dass Abschlussarbeiten sehr wohl eine Bereicherung der Forschung leisten können, auch wenn einige typische Schwächen einer Anfängerarbeit nicht fehlen. Für eine weitere Vertiefung des Themas bietet diese Studie eine gute Ausgangsbasis.
Bernhard Schneider