Drew D. Gray: London's Shadows. The Dark Side of the Victorian City, London: Continuum 2010, VII + 280 S., ISBN 978-1-84725-242-5, GBP 20,00
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Schon wieder ein Buch über Jack the Ripper - allerdings ein eher ungewöhnliches. Hier versucht der Autor, der in Northampton Geschichte der Kriminalität lehrt, gar nicht, einen neuen Verdächtigen zu identifizieren oder einen alten festzunageln. Dass dieses Unterfangen zwar spannend wäre, aber wenig sinnvoll ist, da die Lieblingsverdächtigen unterschiedlicher Autoren seit jeher mehr über deren persönliche Obsessionen aussagen als über "Jack the Ripper", macht die Einleitung sehr schön deutlich.
Gray nutzt die Mordserie des Jahres 1888 vielmehr als Einstieg in ein (Ripper-bezogenes) Panorama der viktorianischen Metropole. Dabei geht es um die klassischen Themen, die in diesem Kontext immer wieder behandelt werden: Das Aufeinandertreffen des Reichtums der City und der Armut der Gassen des East End; die neue Massenpresse, die aus einer Serie von Morden erst das Phantom "Jack the Ripper" machte; die Beziehung zwischen Armut, Wohltätigkeit und Revolutionsfurcht; die Prostitution, ihre Bekämpfung und Kritik; die Furcht vor einer kriminellen 'Unterklasse'; schließlich die Organisation der Polizei und die Gründe für ihr Scheitern.
Gray schreibt anschaulich und detailliert, wobei er neben den gängigen Quellengruppen wie Zeitungen und der Sekundärliteratur vor allem die Polizei- und Justizstatistiken ausführlich heranzieht. Er liefert ein konzises und komplexes Bild des East End um 1888, also einer Welt, in der sich Arme und Philanthropen, Ordnungshüter und Ordnungsstörer in immer neuen Kontexten begegneten und die - durch Jack the Ripper - zum Gegenstand intensiver Reformdiskussionen mit unterschiedlichen Lösungsvorschlägen wurde. Freilich bleibt der auf das East End fokussierte Blick in manchem selektiv. So ist die Massenpresse kaum ohne den genaueren Blick auf die Bedürfnisse ihrer Leserschaft in den wohlhabenderen Teilen Londons wie in der Provinz zu verstehen; das East End nicht ohne seine Einbindung in die saisonale Ökonomie Londons und seines Umlands; der Schock über Jack the Ripper nicht ohne einen Blick auf das allgemeinere spätviktorianische Selbstverständnis; die Reformdebatten kaum ohne einen Blick auf die neue Frömmigkeit und die allgemeinere Diskussion über soziale Fragen.
Somit ist das vorliegende Werk einerseits eine Seltenheit: ein gut geschriebenes, akribisch recherchiertes Buch zum Umfeld Jack the Rippers. Es ersetzt andererseits nicht die vorliegenden Geschichten der Metropole London um 1900 oder Gareth Stedman Jones souveränes Panorama des Outcast London.
Andreas Fahrmeir