Rezension über:

Markus Koller: Eine Gesellschaft im Wandel. Die osmanische Herrschaft in Ungarn im 17. Jahrhundert (1606-1683) (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa; Bd. 37), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, 226 S., ISBN 978-3-515-09663-8, EUR 36,00
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Rezension von:
Márta Fata
Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Márta Fata: Rezension von: Markus Koller: Eine Gesellschaft im Wandel. Die osmanische Herrschaft in Ungarn im 17. Jahrhundert (1606-1683), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 12 [15.12.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/12/18639.html


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Markus Koller: Eine Gesellschaft im Wandel

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Das Buch von Markus Koller zu lesen, ist mindestens unter zwei Aspekten lohnenswert. Erstens unter dem Aspekt: Wie kann mit historischen Irrtümern und Fehleinschätzungen aufgeräumt werden? Zweitens: Wie können alte Fragestellungen mit neuen, vergleichenden Methoden aktualisiert werden?

Die allgemeine Fragestellung des Autors bezieht sich auf das Wesen und die Charakteristika von politischen und kulturellen Räumen in Grenzlagen, für die in der europäischen Geschichte zahlreiche Beispiele für die Forschung zur Verfügung stehen. Der Donau- und Karpatenraum gehört zu den traditionellen Grenzräumen in Europa, wo zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert für längere Zeit zwei Gesellschaftssysteme, das vom Christentum und das vom Islam geprägte, aufeinander trafen. Die Grenzlage ist im historischen Bewusstsein der Ungarn dauerhaft verankert. Nicht zuletzt führte gerade diese Tatsache zu einer von Koller völlig zu Recht kritisierten engen Binnenansicht in der ungarischen Geschichtsschreibung. Man muss allerdings anmerken, dass in Ungarn die literaturhistorische Forschung über die Frühe Neuzeit eine über literaturwissenschaftliche Fragestellungen im engeren Sinne hinausreichende Forschungsaufgabe wahrnimmt, die in vielen Fragen, vor allem in Bezug auf politische Konzepte des 17. Jahrhunderts oder bezüglich des Gebiets als religiöser Raum, ein differenzierteres Bild der Grenzregion zeichnet, als dies von der Geschichtsforschung dargelegt wird.

Koller konzentriert sich in seiner Arbeit auf ein Phänomen von Grenzräumen, das Condominium. Mit Recht weist er darauf hin, dass die "Doppelherrschaft" von Osmanen und Ungarn in dem von den Osmanen besetzten Teil Ungarns in der Frühen Neuzeit keine singuläre Erscheinung darstellte. Denn es war ganz allgemein ein Kennzeichen europäischer Grenzräume in dieser Epoche, dass Souveränität stärker auf einer jurisdiktionellen als einer territorialen Ausdehnung von Macht basierte. Das wird im vorliegenden Buch anhand ausgewählter, spannender Beispiele zu Religion, Verwaltung und Steuerwesen dargelegt.

Der Autor stellt unter anderem fest: Religion war im Condominium nicht nur ein Abgrenzungsgrund. Die osmanische Politik gegenüber den christlichen Konfessionen war schlichtweg durch praktische Notwendigkeiten geprägt; so nahmen die osmanischen Amtsträger beispielsweise prinzipiell keinen Anstoß an der Tätigkeit der römischen Congregatio de Propaganda Fide. Es gab auch Formen des Synkretismus. Doch religiöse Strukturen dienten nicht nur der spirituellen Betreuung der ungarischen, serbischen oder bosnischen christlichen Bevölkerung im osmanisch besetzten Ungarn, sondern waren zugleich auch Träger der Erinnerung an die jeweilige eigene Staatlichkeit. Auch in der Verwaltung baute die sich neu einrichtende osmanische Herrschaft nicht die vorhandenen (christlichen) Strukturen ab, sondern versuchte diese in das eigene Verwaltungssystem zu integrieren, wie dies anhand der ungarischen Dorfschulzen und der Marktflecken dargestellt wird. Das Osmanische Reich war angesichts seines chronisch defizitären Staatshaushaltes im 17. Jahrhundert auf die Steuereinnahmen aus seinen Provinzen, wie etwa Ungarn, dringend angewiesen. Doch das in den Provinzen eingeführte Steuerpachtsystem, das dem Ziel diente, den Sold der stehenden Truppen nicht aus der Staatskasse begleichen zu müssen, verursachte Spannungen zwischen Istanbul und den Provinzen. Das nicht mehr reibungslos funktionierende System hatte, so Koller, Auswirkungen auf die ungarischen Verwaltungsstrukturen, die an Flexibilität gewannen. Auch die Bauern, die erfolgreich mit ihrer Abwanderung vor den erhöhten Steuern und öffentlichen Arbeiten drohen konnten, profitierten von der Lage.

Koller bestätigt die von den historischen und wirtschaftshistorischen Forschungen bereits ausgearbeiteten Feststellungen, dass nämlich das osmanische Ungarn im 17. Jahrhundert in die religiösen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen sowohl des Osmanischen Reiches als auch der west- und mitteleuropäischen Staatenwelt eingebunden war, was der Gesellschaft in Osmanisch-Ungarn ein hohes Maß an sozialer und ökonomischer Mobilität verlieh. Kollers Schlussfolgerung besitzt aber deswegen ein besonderes Gewicht, weil er die deutschen, ungarischen, südslawischen und türkischen Quellen und Forschungsergebnisse gleichermaßen berücksichtigt und seine Aussagen auf dieser breit gefächerten Grundlage trifft.

Márta Fata