Stefan Krings: Hitlers Pressechef. Otto Dietrich (1897-1952). Eine Biographie, Göttingen: Wallstein 2010, 544 S., 18 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-0633-2, EUR 58,00
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Die vorliegende Arbeit, der eine an der Universität Dortmund angenommene und von Lutz Hachmeister betreute Dissertation zugrunde liegt, widmet sich mit Otto Dietrich einer Person, die in der Forschung bislang stets im Schatten des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels gestanden hat. Erklärtes Anliegen des Verfassers ist es, durch eine Rekonstruktion der Rolle Dietrichs die Meistererzählung von der Allmacht Goebbels' auf dem Feld der Propaganda im Allgemeinen und der Pressepolitik im Besonderen kritisch zu überprüfen.
Folglich steht eindeutig jener Teil von Dietrichs Vita im Fokus des Interesses, der dessen politische Karriere und deren Nachwehen betrifft. Der Abschnitt über Kindheit, Jugend und Adoleszenz fällt indessen eher knapp aus, was wohl nicht zuletzt der für diese Zeit geringeren Überlieferungsdichte geschuldet ist. In diesem Sinne ist die Arbeit denn auch keine klassische Biographie, sondern eher ein primär biographischer Zugriff auf ein letztlich politik- und institutionengeschichtliches Thema.
Dabei gelingt es dem Verfasser durchaus, Dietrich und seine Mitarbeiter als eigenständige Akteure innerhalb des NS-Propagandaapparates sichtbar werden zu lassen und mithin den für dieses Politikfeld oftmals noch unhinterfragt angenommenen monolithischen Charakter in Frage zu stellen. Letztlich liefert Krings eine Synthese der NS-Pressepolitik, die empirisch durchweg dicht gearbeitet ist und auch einige neue Akzente zu setzen vermag. Kritisch anzumerken ist indessen, dass zwischen den einzelnen Kompetenzen Dietrichs innerhalb der Partei einerseits und der staatlichen Verwaltung andererseits oft nicht hinreichend differenziert wird, so dass nicht immer ganz klar wird, wann er als 'Reichspressechef' der NSDAP und wann als 'Pressechef der Reichsregierung' und zugleich Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda agierte.
Von Dietrich als Person entwirft Krings ein überaus ambivalentes Bild. Einerseits schildert er ihn in seinen politischen Auseinandersetzungen als machtbewussten und machtbeflissenen Kontrahenten insbesondere seines eigenen Ministers Goebbels. Andererseits wird der promovierte Volkswirt Dietrich auch immer wieder als weichlich und gehemmt, zumindest aber als scheu und zurückhaltend im persönlichen Umgang beschrieben. Insbesondere während des Krieges habe sich Dietrich "immer häufiger in die Natur zurückgezogen" und sei "vor den Anforderungen des nationalsozialistischen 'Getriebes'" geflüchtet (312). Dass sich Krings hier durchweg auf Aussagen von Familienangehörigen Dietrichs verlässt, die nach 1945 entstanden sind, legt es nahe, diesen Befund anzuzweifeln.
Denn auch wenn Otto Dietrich tatsächlich unter den Konflikten, die er insbesondere mit Goebbels austrug, gelitten haben mag, er blieb doch bis in die Kriegsendphase hinein Teil jenes Personenzirkels, der sich im unmittelbaren Umfeld Hitlers im 'Führerhauptquartier' bewegte und somit just im Zentrum des politischen "Getriebes", welches ihm angeblich so verleidet war. Eine interessante Frage von übergeordnetem Interesse wirft in diesem Zusammenhang ein Perspektivwechsel auf. Während die persönliche Nähe Dietrichs zu Hitler zunächst als ein bedeutender Faktor für seine Macht im Verhältnis zu Goebbels interpretiert wird, gilt Dietrichs schwindender Einfluss im Verlauf des Krieges als Folge seines Rückzuges in die Abgelegenheit des 'Führerhauptquartiers' (400). Wenn sich aber das 'Führerhauptquartier' als zu abgelegen erwies, um von dort aus die Geschicke des Reiches tatsächlich zu lenken, wie viel Einfluss übte dann während des fortschreitenden Krieges Hitler selbst noch auf das politische Tagesgeschäft aus, ohne dass ihm etwa von Martin Bormann "entgegengearbeitet" wurde?
So nachvollziehbar nun die Intention der Arbeit insgesamt ist, so problematisch erweist sie sich letztlich in ihrer praktischen Umsetzung. Denn am Ende steht doch wieder der Propagandaminister im Fokus des Interesses, wenn auch unausgesprochen. Seinem späteren Staatssekretär Dietrich bleibt selbst in seiner eigenen Biographie im Grunde nur die Rolle eines wenn auch bedeutenden Statisten. Gerade in der zweiten Hälfte der Arbeit ist Joseph Goebbels sehr präsent - sei es als Dietrichs politischer Konkurrent und damit als Akteur oder aber als Chronist, dessen Tagebücher die Deutungsmacht des Propagandaministers postum festschreiben. Der Otto Dietrich, der schon bislang in der Forschung auftrat, war in der Regel Goebbels' Dietrich, wie ihn die Tagebücher schildern.
Um diese Perspektive aufzubrechen, wertet Stefan Krings nicht nur erstmalig den im familiären Besitz befindlichen Nachlass Dietrichs aus, sondern zog auch zahlreiche Erinnerungs- und Rechtfertigungsschriften ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda zu Rate. Dabei wird zum Beispiel Dietrichs langjähriger Mitarbeiter Werner Stephan kurzerhand als "vergleichsweise zuverlässiger Zeitzeuge" vorgestellt, zunächst ohne dass dem Leser dieses Urteil begründet würde (301). Dass wenig später ausgerechnet der spätere Bundespräsident Theodor Heuß als Leumundszeuge Stephans aufgeboten wird (343), ist indessen nicht ohne Pikanterie, da Stephan nach 1945 sowohl als Bundesgeschäftsführer der FDP wie auch als Geschäftsführer der Friedrich-Naumann-Stiftung tätig war, worauf zwar auch Krings hinweist - allerdings nicht in diesem neuralgischen Zusammenhang.
Nicht unproblematisch ist die Heranziehung besagter Erinnerungsschriften auch hinsichtlich des erklärten Erkenntnisinteresses der Arbeit. Denn es waren nach 1945 just diese Texte früherer Mitarbeiter, welche der Inszenierung Goebbels' als allmächtiger "Dämon einer Diktatur" - so der einschlägige Titel einer Arbeit wiederum Werner Stephans aus dem Jahre 1949 - in exkulpatorischer Absicht den Boden bereiteten. Und auch Dietrich selbst, der sich im so genannten Wilhelmstraßenprozess für seine Taten zu verantworten hatte, beziehungsweise sein Rechtsbeistand strickten kräftig an der Legende vom perfiden Goebbels und dem harmlosen "Postboten" Dietrich mit (447), dessen Tätigkeit allein darin bestanden habe, die Wünsche Hitlers betreffend die Gestaltung der Presse an die 'Hauptschriftleiter' weiterzuleiten.
So bleibt nach der Lektüre ein zwiespältiger Eindruck. Einerseits hat der Verfasser unbestreitbar eine wichtige Facette der NS-Pressepolitik in den Blick genommen und erste wichtige Ergebnisse zur Dekonstruktion des "Goebbels-Mythos" vorgelegt. Andererseits kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die biografische Auseinandersetzung mit Otto Dietrich für den Verfasser nur mehr instrumentellen Charakter hat und der Korrektur des vorherrschenden Bildes von Joseph Goebbels dient. Dies ist umso bedauerlicher, je mehr durchaus bedenkenswerte Ansätze selbst konterkariert werden, weil sich Krings trotz guter Vorsätze von einigen überkommenen Ansichten über die nationalsozialistische Propaganda und Pressepolitik doch nicht trennen kann.
Ein Beispiel: Indem Krings Dietrichs Vorgänger im Amte des Pressechefs der Reichsregierung, Walther Funk, als "Regierungssprecher" tituliert (173), stellt er die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit des NS-Staates (um den Propagandabegriff hier bewusst zu vermeiden) in eine funktionale Kontinuität, die von der Weimarer Republik bis in die bundesrepublikanische Gegenwart reicht. Auf diese Weise bricht Krings eigentlich auch mit der bis heute vorherrschenden Auffassung, das Propagandaministerium sei 1933 eine präzedenzlose Neugründung gewesen und bis 1945 ein Fremdkörper in der Reichsverwaltung geblieben. Doch anstatt ausgehend von der Neubewertung der Machtverhältnisse zwischen Dietrich und Goebbels auch diese überkommenen Behauptungen kritisch zu hinterfragen, zieht Krings sich später wieder auf die altbekannte Linie zurück: Goebbels habe schon den Dienstsitz seines Ressorts, welches er "als Zentrum des NS-Medienapparates [...] im März 1933 gegründet" habe, selber ausgesucht und sei fortan dort der "Vision von unbürokratischen Organisationsabläufen und modernem Management" gefolgt, wozu er sein Personal vornehmlich aus der Gruppe "linientreue[r], ehrgeizige[r] Propagandisten" rekrutiert habe (331-332).
So aber wird man dem Verfasser auch in seiner zum Abschluss der Arbeit geäußerten Einschätzung, dass "eine noch zu schreibende Gesamtdarstellung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda sich nicht nur auf behördenhistorische Entwicklungen beschränken" dürfe (490), nur bedingt zustimmen können. Denn solange selbst in einer Arbeit, die sich die kritische Hinterfragung der tradierten Erzählmuster betreffend Joseph Goebbels vornimmt, derartige Fehleinschätzungen anzutreffen sind, braucht es gerade eine institutionengeschichtliche Perspektive auf das Propagandaministerium, um einerseits jene Legenden hinsichtlich des Wesens und der Entwicklung der Behörde und andererseits die nach wie vor gegebene Personenzentriertheit der Forschung zur NS-Propaganda überwinden zu können. Dass die Thematik mit einem rein biographischen Zugang letztlich nicht zu erschließen ist, zeigt gerade die zwischen Biographie und Institutionengeschichte sich bewegende vorliegende Arbeit eindrücklich.
Daniel Mühlenfeld