Gustav Pfeifer / Kurt Andermann (Hgg.): Die Wolkensteiner. Facetten des Tiroler Adels in Spätmittelalter und Neuzeit (= Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs / Pubblicazioni dell'archivio provinciale di Bolzano; Bd. 30), Innsbruck: Universitätsverlag Wagner 2009, 500 S., ISBN 978-3-7030-0466-7, EUR 43,00
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Monographische Abhandlungen zu einzelnen Geschlechtern gehören nicht zu den bevorzugten Darstellungsweisen der deutschsprachigen Adelsforschung. Das Verdienst Gustav Pfeifers und Kurt Andermanns, im Jahr 2007 eine Tagung zu der über Tirol hinaus weitverzweigten Adelsfamilie der Wolkensteiner veranstaltet zu haben, ist daher hoch einzuschätzen.
Die 14 im hier vorzustellenden Sammelband gedruckten Referate supplieren nicht nur eine fehlende moderne Gesamtdarstellung des Geschlechts, sondern haben als Aufsatz-Korpus mit einer zeitlichen Spannweite vom 14. Jahrhundert bis um 1900 einem Buch aus einer Feder viel voraus. Kein einzelner Autor könnte eine solche Vielzahl thematischer Aspekte mit entsprechend breit gestreuten methodischen und interpretatorischen Ansätzen abhandeln und dabei immer auf dem Stand der jeweils spezifischen Literatur und Forschungsdiskussion sein.
Dass der Band über das Familienspezifische hinaus einen bedeutenden Beitrag zur Adelsforschung generell leistet, wird schon aus den Literaturangaben im einleitenden Überblick von Peter Johanek deutlich: die zahlreichen Erscheinungsjahre mit einem "19" voran machen auch dem weniger Eingelesenen klar, dass besonders der Adel der österreichischen Erbländer vor 1620 in den letzten Jahren nicht gerade im Brennpunkt des Historikerinteresses gestanden hat. Die Aufsätze sind locker chronologisch gereiht, den Schluss macht eine über die "zeitliche Jeweiligkeit" der Familie (382) wiederum ins Allgemeine adeliger Orientierungspunkte und Lebensformen verweisende Zusammenfassung von Gerhard Fouquet.
Aus den dazwischenliegenden Seiten lernt der Leser zunächst viel Neues zur Frühgeschichte des Geschlechts. Gustav Pfeifer setzt mit dem Beitrag zum politisch allzu umtriebigen Söldnerunternehmer Engelmar von Vilanders seine ungemein dichten Studien zum Tiroler Niederadel des 14. Jahrhunderts fort. Weniger Neues erfährt man zu Oswald von Wolkenstein, da es Sigrid Schmitt "nicht eben leicht [fiel], der Beschäftigung mit seinem Leben noch einen innovativen Aspekt abzugewinnen" (54). Zweifelhaft scheint auch, dass der kaum als adelige Normalexistenz zu bezeichnende Oswald geeignet ist, "die Lebenswelt eines Niederadeligen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu beleuchten" (53). Reinhard Seyboth verfolgt unter Ausleuchtung von verschiedenen Klientelsystemen die Karrieren mehrerer Wolkensteiner, v. a. jener Veits und Michaels, am Hof Maximilians I. Clemens Joos ordnet das Begräbnis Veits von Wolkenstein in Freiburg in die bekannten Koordinaten adeliger Sepulkral- und Funeralkultur des Spätmittelalters ein, wobei besonders den Streitigkeiten um die Aufteilung der Trauerpferde zwischen Münsterfabrik und Pfarre breiter Raum gewidmet wird. Dem Konnubium und den entsprechenden Strategien der Familie in der Frühen Neuzeit geht Siglinde Clementi nach. Sie konstatiert finanziell gut abgesicherte Grundlagen für die Eheschließung mehrerer Söhne in den jeweiligen Generationen und unterstreicht das Bestreben, kognatische Verwandtschaft langfristig zu planen. Klaus Brandstätter untersucht die kirchlichen Karrierewege der Wolkensteiner beiderlei Geschlechts. Zwar erreichten die Kleriker der Familie nur selten bedeutendere Bischofsstühle, doch setzte man sich mit Kanonikaten und Positionen in verschiedenen Damenstiften im Reich gut ins Geschäft. Diese Pfründen wurden nicht selten als Zwischenpositionen anderer Karrieren benützt und durch Resignation jüngeren Verwandten zu Verfügung gestellt. Leo Andergassen illustriert die typologische Bandbreite medialer Aufbereitung der Wolkensteiner Memoria und verknüpft das urkundlich belegte Stiftungsverhalten mit den zugehörigen Denkmälern oder deren kopialer Überlieferung. Dabei werden auch Mutmaßungen über angebliche "Kryptodarstellungen" (sakrale Identifikationsporträts) Oswalds von Wolkenstein korrigiert. Rudolf Tasser schildert Aufstieg und Fall der Wolkensteiner als Bergbauunternehmer in Prettau. Das Ahrntaler Kupfer wurde einerseits als Rohstoff bis nach Venedig verhandelt, andererseits im Lienzer Eigenbetrieb weiterverarbeitet. Trotz wohlwollender Subventionierung durch die Oberösterreichische Kammer erlitt das Unternehmen in dritter Generation um 1640 finanziellen Schiffbruch. Marcello Bonazza beschreibt den seit 1578 laufenden Prozess der Erlangung einer konsolidierten Sonderstellung eines Zweigs der Wolkensteiner im Fürstbistum bzw. in der Residenzstadt Trient. Zwar hatte die Familie fast monopolistisch regelmäßig das Amt des (Stadt-)Hauptmanns inne, grenzte sich aber vom städtischen Patriziat durch Konnubium mit dem Tiroler und Trienter Adel klar ab. Ursula Stampfer erneuert das seit Otto Brunner eingeschlafene Interesse am Buchbesitz österreichischer Adeliger und ediert ein entsprechendes Verzeichnis zum Nachlass des Georg von Wolkenstein um 1600. Die Titel bilden eine planmäßig erworbene kleine Bibliothek, in der durchwegs dominiert, was man früher als "Hausvaterliteratur" bezeichnet hätte. Stefan Benz interpretiert die erst durch die Edition von 1936 zu einiger Bekanntheit gelangte "Landesbeschreibung" des Marx Sittich von Wolkenstein als adelige Privatarbeit. In ihr wird sichtbar, dass früher innovative historiographische Techniken und das epistemologische System der Chorographie um 1600 auch einem wissenschaftlich nicht ambitionierten Publikum geläufig waren. Astrid von Schlachta beleuchtet anhand zweier Amtsträger aus der Familie der Wolkensteiner die ambivalente Position des Tiroler Landeshauptmanns als Mediator zwischen Landesfürst und Ständen in einer Phase des funktionalen Wandels des Amts im 18. Jahrhundert und weist auf Forschungsdefizite für diesen Zeitraum hin. Hans Heiss beschreibt schließlich das Suchen der Wolkensteiner nach neuen (auch politischen) Betätigungsfeldern im 19. Jahrhundert, also einer Zeit adeliger Orientierungskrise, die letztlich zur Neuerfindung der Hocharistokratie führte.
Der umfangreiche, noch nicht restlos ausgewertete Wolkenstein-Rodenegg-Bestand im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg und die Geschichte seiner Erwerbung werden im Anhang an die auf der Tagung präsentierten Beiträge von Irmtraud von Andrian-Werburg skizziert (instruktiv die Abbildung auf Seite 400 mit verschiedenen Formen ursprünglicher Paketschnürungen der Archivalien). Christine Roilo beschreibt in ähnlicher Weise das in Bozen deponierte Archiv der Wolkenstein-Trostburg und seine Zimelien. Nicht nur die am Institut für Österreichische Geschichtsforschung ausgebildeten Leserinnen und Leser werden sich über die Abbildung auf Seite 406 (Archivraum auf der Trostburg mit Hirschstangen-bekröntem Triglyphenfries über den von Emil von Ottenthal mittels Kreide bezeichneten Laden) als fotografisch-konkreten Anhauch der Wissenschaftsgeschichte freuen. Ein auf die Beerbung der südwestdeutschen Grafen von Eberstein durch die Wolkenstein-Trostburger zurückzuführender Archivbestand im Generallandesarchiv Karlsruhe wird von Kurt Andermann vorgestellt, einschließlich ausführlicher Regesten zu Urkunden ab 1498, vornehmlich aber des 17. Jahrhunderts und einem eigenem Index.
Der sorgfältig redigierte Band wird durch ein umfängliches Register bestens erschlossen. Weit überwiegend erfreulich ist auch die Qualität der durchwegs in Farbe gebotenen Abbildungen.
Ganz zweifellos markiert der Band exemplarisch Fragestellungen, Stand und auch Ausblicke aktueller Adelsforschung und kann nur dringend breitester Rezeption anempfohlen werden. Zu den Perspektiven, die der Band über sein eigentliches Thema hinaus eröffnet, gehört die Feststellung, dass trotz gegenteiliger Meinungen gerade aus der Zunft selbst die für äußerst bedroht gehaltene Lebensform des Historiker-Archivars noch lange nicht ausgestorben ist: Ein Drittel der 18 Autorinnen und Autoren ist oder war haupt- oder nebenberuflich als Archivarin bzw. Archivar tätig.
Andreas Zajic