Holger Zaunstöck: Das Milieu des Verdachts. Akademische Freiheit, Politikgestaltung und die Emergenz der Denunziation in Universitätsstädten des 18. Jahrhunderts (= Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit; Bd. 5), Berlin: Akademie Verlag 2010, 410 S., ISBN 978-3-05-004651-8, EUR 79,80
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Christiane Holm / Holger Zaunstöck (Hgg.): Frauen und Gärten um 1800. Weiblichkeit - Natur - Ästhetik, Halle/Saale: mdv Mitteldeutscher Verlag 2009
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Holger Zaunstöck / Markus Meumann (Hgg.): Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung, Tübingen: Niemeyer 2003
Das Thema Denunziation steht spätestens seit Mitte der neunziger Jahre im Fokus historischer Fragestellungen. Zunächst im Rahmen der Zeitgeschichte, dann auch für frühere Epochen zum Forschungsgegenstand gemacht, kann inzwischen von einer eigenen Disziplin der Denunziationsforschung gesprochen werden. Im ausführlichen Einleitungskapitel (13-58) bietet der Autor eine gründliche Einführung in den Forschungsstand und die methodischen Grundlagen. Zaunstöck positioniert sein Thema im Schnittfeld von Alltags- und Mentalitätsgeschichte, Kriminalitätsgeschichte, Kommunikationsgeschichte und Neuer Politikgeschichte und begreift es als "soziales Schnittmengenphänomen" (24), dem er mit einem möglichst offenen und integrativen Zugang gerecht werden will.
Dies soll in einem konkreten Lebenszusammenhang beschrieben werden, für den der Autor das universitätsstädtische Milieu des 18. Jahrhunderts gewählt hat. Dieses komme einer "Laborsituation" für die Analyse von Denunziationen gleich (25). Universitäre Korporationen bildeten seit ihrer Entstehung sozial und rechtlich von den übrigen Stadtbewohnern abgehobene Gemeinschaften. Daraus entstand reichlich Konfliktstoff zwischen Angehörigen der Universität und anderen städtischen Bevölkerungsgruppen. Schon im späten Mittelalter gehören Berichte und Klagen über studentische "Exzesse" (Ruhestörung, Prügeleien mit Handwerkern etc.) beinahe zum Alltag, ebenso wie die häufig damit in Verbindung stehenden Kompetenz-Streitigkeiten zwischen städtischer und universitärer Gerichtsbarkeit. Den Universitäten wurde stets ein zu laxer Umgang mit studentischen Ordnungs-Übertretungen vorgeworfen. Seit dem 16. Jahrhundert vollzog sich der Wandel der Universitäten von einer durch Magister und Scholaren gemeinsam getragenen Korporation, meist dem kirchlichen Bereich zugeordnet, zu einer von städtischen, kirchlichen oder territorialen Obrigkeiten beaufsichtigten Einrichtung, in welcher eine von ebendiesen besoldete Professorenschaft zum eigentlichen Träger der korporativen Strukturen wurde. Dem gegenüber profilierten sich die Studenten, vor allem auch in ihrer Selbstwahrnehmung, als eigener Stand mit spezifischen performativen Verhaltensweisen sowie Begriffen von Ehre und Distinktion, welche vielfach an adelige Lebens- und Ausdrucksformen angelehnt waren (auch in diesem Sinne ist die "Aristokratisierung des Studiums" (Rainer A. Müller) seit dem 16. Jahrhundert zu verstehen).
Der Autor weist zu Recht darauf hin, dass ein Schlüssel zum Verständnis studentischer Kultur der Vormoderne die "Akademische Freiheit" ist, welche der akademischen beziehungsweise universitären Sondergerichtsbarkeit zwar ihre juristische Grundlage verdankt, jedoch nicht mit dieser gleichgesetzt werden darf (29). In ihr manifestierten sich spezifische studentische Praktiken, welche auch im Rahmen von Behauptungskämpfen im sozialen Handlungsraum der Stadt verstanden werden müssen. Insbesondere das Duell stand im Zentrum des studentischen Ehrbegriffs. Diese Praktiken wurden jedoch oft genug von Obrigkeit und Bürgern als "Unbotmäßigkeiten", verbotene Duelle oder Exzesse wahrgenommen, welche die polizeiliche und die soziale Ordnung störten.
Die seit Mitte des 18. Jahrhunderts auftretenden studentischen Geheimgesellschaften, Studentenorden und Landsmannschaften, welche ihre Mitglieder eigener Aufsicht und Disziplinierung unterwarfen, wurden von der Obrigkeit ebenfalls als Bedrohung ("Staat im Staate") empfunden. Es entstand somit großer Bedarf an Informationsbeschaffung, welcher durch Denunziationen bedient werden konnte. Konkurrenz und Friktionen innerhalb des studentischen Milieus waren hier förderlich, weil durch Denunziationen Konkurrenten Schaden zugefügt und Konflikte an die Obrigkeit delegiert werden konnten. Im integrativen Ansatz zur Zusammenführung all dieser Aspekte (welche der Rezensent hier nur kursorisch und unvollständig wiedergeben kann) beschreibt der Autor das titelgebende "Milieu des Verdachts", welches den Nährboden und die Umstände für Denunziationen darstellt. Die Lebenswelt der Universitätsstadt bot dafür die Voraussetzung. Der Anspruch des Autors ist es, mit diesem Forschungsdesign nicht nur im Bereich der Denunziationsforschung Neuland zu betreten, sondern auch mit der Erforschung denunziatorischer Prozesse in Universitätsstädten zur Genese einer "Neuen Universitätsgeschichte" beizutragen (38). [1]
Die Stadt Halle (Saale) und ihre 1694 gegründete Universität wurden vom Autor zum Zentrum und zum "Referenzfall" seiner Forschungen gewählt, weil die Quellenlage außergewöhnlich gut ist. Darüber hinaus wählte er Universitätsstädte, deren Lage in verschiedenen Territorialstaaten vergleichende Fragestellungen ermöglichen sollen: Leipzig, Jena, Göttingen, Helmstedt, Wittenberg, Rostock und Erlangen. Die Hauptkapitel der Arbeit sind sowohl thematisch als auch chronologisch voneinander unterschieden: Das Duell als Kerndelikt studentischer Konfliktkultur im frühen 18. Jahrhundert; Studentenorden, Landsmannschaften und die darauf bezogenen normativen Texte nach 1740; die Emergenz der Denunziation im Konfliktfeld arkaner Studentengesellschaften nach 1760; die Implikationen des Medienzeitalters nach 1780; und zuletzt ein abschließender Blick auf die Veränderungen und Umbrüche ("neue Wege, alte Wege") im beginnenden 19. Jahrhundert.
Dabei gelingt es dem Autor, der eine beeindruckende Fülle an Quellen zitiert und analysiert, von denen so manche auch im Wortlaut wiedergegeben wird, die Praxis der Denunziation bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts in den untersuchten Universitätsstädten nachzuweisen. Bemerkenswert ist dabei, dass den zahlreichen Angeboten der Obrigkeit ("Denunziationspolitik") relativ wenige tatsächliche Denunziationen gegenüberstehen, oder, wie der Autor es formuliert: "Zwischen den Möglichkeiten zur anonymen Denunziation und den tatsächlich nachweisbaren Vorgängen klafft eine große Lücke" (350). Dennoch sieht der Autor das "Milieu des Verdachts" von der Denunziation geprägt, wenn auch vor allem von der Möglichkeit dazu. Den obrigkeitlichen "Angeboten" stand also eine "Denunziationsresistenz" des studentischen Milieus entgegen, in welchem erfolgreich das tradierte Freiheitsideal mit seinem spezifischen Ehrbegriff bis in das 19. Jahrhundert hinein behauptet wurde.
Aus der Perspektive der Universitätsgeschichtsschreibung kann festgestellt werden, dass sich unter dem Prisma des Forschungsansatzes "Denunziation" ein reichhaltiges Spektrum alltagskultureller Erkenntnisse zum studentischen und universitätsstädtischen Leben im 18. Jahrhundert ausbreitet. Es handelt sich also um einen Forschungsansatz, der, abhängig von der Quellenlage, wohl auch bei anderen Universitätsorten gewinnbringend angewendet werden kann. Aufschlussreich könnte vielleicht auch die Einbeziehung von katholischen Universitäten werden.
Anmerkung:
[1] Zaunstöck bezieht sich hier explizit auf Arbeiten von Marian Füssel und Winfried Müller zur Alltagsgeschichte frühmoderner Universitätsstädte.
Thomas Maisel