Maiken Umbach: German Cities and Bourgeois Modernism, 1890-1924, Oxford: Oxford University Press 2009, XI + 253 S., ISBN 978-0-19-955739-4, GBP 55,00
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Die Moderne ist historisch ein universales Phänomen in den westlichen Ländern Europas und in den USA, doch hat sie denkbar viele verschiedene Facetten und äußert sich je nach nationalem bzw. regionalem Kontext und je nach politischer, sozialer und gesellschaftlicher Umgebung und Funktion sehr verschieden und häufig genug in sich heterogen. Maiken Umbach, die an der University of Manchester europäische Geschichte lehrt, interessiert sich in ihrer neuen Studie in diesem Zusammenhang besonders für Deutschland im Wilhelminismus und der frühen Weimarer Republik. Deutschland, das sie aus früheren einschlägigen Forschungsprojekten zur Kulturgeschichte (unter anderem zum Zeitalter der Aufklärung) gut kennt, nimmt in der Herausbildung der Moderne eine Vorreiterstellung ein; in Europa sei es während der Jahrhundertwende geradezu ein Labor der Moderne gewesen. Wiewohl häufigen Anfechtungen von links und rechts ausgesetzt, hätte das Moderne sich schon in der Wilhelmischen Zeit zur "hegemonic doctrine" entfaltet. Deutschland spielte kulturell in der Tat in mancher Hinsicht eine führende Rolle, etwa hinsichtlich des Vorbildcharakters seiner Wissenschaft und seines Universitätsmodells oder bei der institutionellen, sprich musealen Rezeption der modernen Kunst. Aus angelsächsischer Sicht bürstet Umbach hier ältere Sichtweisen gegen den Strich, die mehr die Sonderwegsproblematik, die politische Vorherrschaft einer agrarisch dominierten Obrigkeit, die Verliererposition des deutschen Bürgertums etc. betonten. Das Land war aus Umbachs Sicht jedoch moderner als es sich in der jüngeren historiographischen Sicht (nach 1945) selbst oft gesehen und gedeutet hat.
Umbach interessiert sich vor allem für die Moderne im Bereich von Wohnkultur, Architektur, Städteplanung und Produktdesign, und hier wiederum für die speziell "bürgerliche" Variante. Hermann Muthesius, Karl-Ernst Osthaus, Alfred Lichtwark, verschiedene Stadtplaner und Architekten, vor allem auch Institutionen wie der Werkbund sind daher die Protagonisten ihrer Studie. "Bourgeois Modernism" - natürlich muss sie dem englischsprachigen Lesepublikum erklären, dass mit bourgeois hier nicht "class identity", sondern "liberal citizensphip" gemeint ist. Muthesius habe seine Ambitionen um Modernisierung als Schaffung einer bürgerlichen Gesellschaft beschrieben. Die später ansetzende Bauhaus-Moderne repräsentiert demgegenüber einen anderen Typus von Modernität. Das Bauhaus, das in der Tradition radikalisierter Manifeste wie etwa denjenigen der Futuristen stehe, verfocht eine Formensprache der Internationalität, des Bruchs mit dem Historischen, der Abstraktion und der Reduktion sowie der Egalisierung gesellschaftlicher Differenzen. Die Planer, Gestalter und Vordenker des Bürgertums propagierten und praktizierten in Kontrast dazu eher eine Versöhnung mit Erinnerung und Geschichte, ein Aufgreifen lokaler Traditionen etwa bei der Verarbeitung und Auswahl von Baustoffen, teilweise sogar ein Anknüpfen an handwerkliche Verarbeitung, eine Respektierung und Ausgestaltung der bürgerlichen und privaten Lebenssphäre und dergleichen.
Doch auch das bürgerliche Lager war in sich durchaus von Spannungen und unterschiedlichen Vorstellungen geprägt, wie der legendäre Typenstreit zwischen Muthesius und van de Velde beim Werkbund zeigte. Vor allem aber manifestierten sich Unterschiede auch in der regionalen Identität. Die bürgerlichen Modernisierer wollten an lokale Bautraditionen anknüpfen, gerade wo sie in ausgeprägter Form vorhanden waren. Sie agierten daher vielfach in der Nähe und in Übereinstimmung mit der jetzt entstehenden Heimatbewegung. Umbach nimmt sich Hamburg, Berlin und das Ruhrgebiet vor, um dies im Einzelnen zu zeigen. In Hamburg nahmen Architekten und Stadtplaner unter der Führung von Stadtbaudirektor Fritz Schumacher eine sehr markante historische Tradition und Identität auf und transponierten sie in eine eigentümliche bürgerlich-moderne Formensprache, die unter anderem in der Verwendung des Backsteins den genius loci authentisch noch zum Ausdruck brachten. In Berlin war eine solche Tradition nicht annähernd vorhanden; schon gar nicht aber im Ruhrgebiet, das als industrielle Agglomeration eben erst im Entstehen begriffen war und dem Osthaus durch mäzenatische Museumsgründung und einschlägige städtebauliche Projekte in Hagen ein kulturelles Zentrum verschaffen wollte.
Umbach führt ihre Analyse über die eigentliche Prägephase von 1890 bis 1924 (so im Untertitel des Buches die Datierung ihrer Arbeit) hinaus und fragt auch nach Kontinuitäten bis in den Nationalsozialismus. Wenn am Anfang eine gewisse Affinität der bürgerlich geprägten Modernisierung mit der vielfach nationalistisch geprägten Heimatbewegung stand, konnte es dann verwundern, dass der Werkbund ohne weiteres von den Nazis gleichgeschaltet und vereinnahmt wurde? Umbach lässt hier große Sorgfalt walten und bestreitet ein von manchen Autoren behauptetes umstandsloses Einmünden der bürgerlichen Moderne in die nationalsozialistische Kulturpolitik. Exemplarisch behandelt sie die immanente Widersprüchlichkeit dieser historischen Entwicklung an den beiden Hamburger Architekten und Planern: dem genannten Fritz Schumacher und Fritz Höger, dem Erbauer des Chilehauses. Beide hätten mit der ausgeprägten Verwendung des Backsteins respektive des Klinkers, dem "Heimat Material", intensiv an die lokale Bautradition angeknüpft. Schumacher habe im Backstein ein Stück "bürgerliche" Erinnerung gesehen, Höger aber "archaische" Erinnerung. Schumacher verfolgte liberale und rational-fortschrittliche Ziele, er wollte Ort und Raum, Geschichte und Erinnerung, Natur und Kultur in Spannung erhalten; Höger aber habe Geschichte durch Archetypus ersetzt und geriet damit in die Nähe der Blut- und Boden-Ideologie. Höger erinnert in mancher Hinsicht an Emil Nolde, dem von vielen bürgerlichen Sammlern und Museumsleuten vielfach geschätzten Vertreter des malerischen Expressionismus. Im Bereich der Architektur gilt auch Höger als ein bedeutender Vertreter des Expressionismus, und auch er sah sich wie Nolde als Nationalsozialist. Gleichwohl kam er nach 1933 ebenso wenig wie dieser zum Zuge. Hitler und Speer bevorzugten für die Staatsarchitektur schon bald einen ausgeprägten Neoklassizismus, der für das archaische Formenrepertoire des aus der bürgerlichen Bewegung kommenden Expressionismus, auch wenn dieser sich explizit zum Nazismus bekannte, keinen Entfaltungsspielraum hatte. Insgesamt aber ist die unter bürgerlichen Vorzeichen gestaltete Moderne in Deutschland, wie Umbach sie in ihrem Buch eindrucksvoll darstellt, jedoch ein viel zu breites und vielfältiges Phänomen, als dass man sie auf partielle Verwicklungen in den Nazismus reduzieren dürfte.
Andrea C. Hansert