Andrew L. Thomas: A House Divided. Wittelsbach Confessional Court Cultures in the Holy Roman Empire, c. 1550-1650 (= Studies in Medieval and Reformation Traditions; Vol. 150), Leiden / Boston: Brill 2010, X + 403 S., ISBN 978-90-04-18356-8, USD 147,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Fallstudien haben ihren Reiz und ihre Berechtigung - aber auch ihre 'Risiken und Nebenwirkungen'. Aus einem spezifisch politikwissenschaftlichen Ansatz heraus geboren, erheben sie den Anspruch, anhand einer Einzeluntersuchung Phänomene allgemeiner, zumal aber umfassender Komplexität zu erklären oder erklären zu helfen. Bei allem evidenten Nutzen liegt das besagte Risiko in einer Verabsolutierung einerseits der Methodik andererseits des gewählten Sujets, respektive der damit verbundenen, beziehungsweise daraus gewonnenen Erkenntnisse.
Wenn es sich - wie im vorliegenden Falle des hier anzuzeigenden Bandes - um das in der historiographischen Diskussion inzwischen weit gefächerte und nicht immer ganz unumstrittene Problem der Konfessionalisierung, bei dem gewählten Fallbeispiel hingegen um die Gesamtheit des Hauses Wittelsbach in einem hundertjährigen Zeitraum von 1550-1650 handelt, so scheint der Versuch der illustratio per exempla zumal reizvoll. Dieser Vorgabe folgend, beschränkt sich Andrew L. Thomas laut Titel - dieser in deutlicher Anlehnung an MacCullochs Standardwerk zur Reformationsgeschichte [1] - auf die Untersuchung der mit der jeweiligen konfessionellen Ausprägung verbundenen Hofkulturen. Doch was auf den ersten Blick als reine Kulturgeschichte der neueren Prägung erscheint, erweist sich bald als umfassende Analyse einer weitverzweigten, überaus reizvollen dynastischen Verflechtung, welche naturgegebener Maßen nicht auf die Erläuterung der klassischen politischen und diplomatischen Hintergründe verzichten kann. Geographisch aber erstreckt sich die Wirkmächtigkeit des untersuchten Gegenstandes, wie vom Autor treffend erkannt, von Böhmen bis Boston. Dies unterstreicht nochmals die Bedeutung des gewählten Themas.
Nicht ohne Grund beginnt Thomas seinen Überblick mit einer Analyse der Prinzenerziehungsliteratur, insbesondere der Fürstenspiegel, welche einerseits in ihren politisch-kulturellen und vor allem monarchischen Prämissen zu einem großen Teil die Konfessionalisierung über das 'rein Kirchliche' hinaus mitprägten, zum anderen deren sprechender Ausweis sind. Von hier aus gelingt es dem Autor, die Brücke zur Ausprägung einer auch konfessionell bestimmten Hofkultur anhand der Beispiele Heidelberg und München zu schlagen, aber auch den Reflex auf das Politische, also die Konfessionalisierung der entsprechenden Territorien, nicht zu vernachlässigen. Diese reizvolle Gegenüberstellung von Makro- und Mikrokosmos erlaubt wertvolle Einsichten, welche oft den aus einer allzu stark verallgemeinernden Konfessionalisierungsthese geborenen Postulaten vor allem hinsichtlich entscheidender Persönlichkeiten und ihrer Handlungen widersprechen. Im Folgenden weitet sich der Blick hin zur Diplomatie, genauer zur Heiratsdiplomatie, welche zu Recht als idealer Ausweis des Amalgams aus religiösem Bekenntnis und dynastischer Erwägung erkannt wird.
In dieser vermeintlich getrennten, aber in der Trennung jedoch geordneten Welt aber gab es echte Schockereignisse - am bekanntesten und weitestreichenden vielleicht die Annahme der böhmischen Königskrone durch Friedrich V. von der Pfalz. Der Einbruch des führenden deutschen Kalvinisten in eines der - wiewohl seit Jahrhunderten religiös erschütterten - Kernländer des Hauses Habsburg musste zum Fanal werden und wurde es; die Folgen sind bekannt. Thomas macht sich allerdings die Mühe, den oft als ephemer beurteilten Hof Friedrichs einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen und erzielt hier Ergebnisse, welche etwa jene der Zeremonialgeschichtsforschung von der Vielschichtigkeit und durchaus auf Dauer angelegten Konzeption des vermeintlichen 'böhmischen Abenteuers' untermauern. In diesem Zusammenhang hat auch die durchaus und bewusst mehrdeutig verwendete sprachliche Figur vom 'Bilder-Bruch' (im Original 'Image-Breaking') ihre Berechtigung, wurden doch hier - und mancher Orten in Europa - nicht nur steinerne Bilder zerschlagen, wobei das Zerschlagen an sich immer auch das Konzept des Neuen enthielt.
Letztlich aber sprach nicht nur die Brutalität des Hammers, sondern auch jene der Waffen: Am Weißen Berg entschied sich das Schicksal Friedrichs. Der bayerisch-habsburgische Sieg wurde zum entscheidenden Umbruch innerhalb des Hauses Wittelsbach, brachte er doch dem Pfälzer die Acht, dem Bayern hingegen die Kurwürde. Jenseits dieser bekannten Fakten bildete der Weiße Berg aber auch den Nukleus einer neuen Ikonographie des Hauses Bayern und der gesamten katholischen Welt, hingewiesen sei hier nur auf den Kult der 'Muttergottes vom Großen Sieg' (S. Maria della Vittoria) beziehungsweise der Loretto-Verehrung und des Prager Jesuleins. Thomas beschränkt sich hier sehr stark auf das Haus Bayern, es gelingt ihm jedoch die Verbindung zu anderen heilsgeschichtlich motivierten Ansprüchen der Zeit - am deutlichsten sicher richtig erkannt bei Gustav Adolf von Schweden - herzustellen. Ein letztes Kapitel, quasi im Ausblick, widmet sich dem Wandel in der Pfälzer Linie unter Berücksichtigung des aufstrebenden Hauses Pfalz-Neuburg sowie dem Exilhof des Böhmenkönigs in Prag.
Alles in allem liefert Thomas eine gekonnte und durch umfangreiches Detailwissen wie -informationen angereicherte Überblicksanalyse seines Sujets. Die Beispiele sind sprechend gewählt, die Dokumentation wie die Belesenheit des Autors finden ihren Ausweis in Anmerkungs- und Schlussapparat. Sehr erfreulich sind die schon erwähnte Scheu vor allzu starker Vereinheitlichung beziehungsweise Verallgemeinerung [2] sowie der hohe dem menschlichen Subjekt eingeräumte Stellenwert, dies auch hinsichtlich der konfessionellen Entscheidungen. Die Globalität des Themas wird ebenso überzeugend dargelegt wie seine einzelnen Ausprägungen.
Nicht ganz überwunden werden konnten jedoch die eingangs geäußerten Vorbehalte gegen die Fallstudie an sich. Oft hätte sich (natürlich im vernünftigen Maße und Umfang) ein verstärkter Ausblick auf andere Dynastien und Länder, wie dies etwa Lucien Bély vorbildhaft erzielt hat [3], sowie auf andere von Wittelsbachern regierten Territorien (vor allem stärker auf das Erzstift Köln!) angeboten. Auch erreicht der vorliegende Text weder die sublimité der komparatistischen Kulturanalyse des Referenzwerks von Olivier Chaline über die Schlacht am Weißen Berge [4] noch die Exaktheit theologischer Definition eines Dieter Weiß hinsichtlich der zugrundeliegenden Glaubensgebäude.[5]
Dennoch hat Andrew Thomas eine wertvolle Studie sowohl zur Geschichte des Hauses Wittelsbach wie auch zur Geistes- und Kulturgeschichte Mitteleuropas in jener Sattelzeit des 16./17. Jahrhunderts geliefert. Ob und in welchem Maße tatsächlich immer nur konfessionelle Gründe für all die erwähnten Phänomene gelten gemacht werden können, mag der Leser im Einzelfall selbst entscheiden. Überlegenswert sind die Ergebnisse allemal, vor allem da die Studie durchwegs in einer erfreulichen, gut lesbaren Sprache gehalten ist und auch terminologische Fallstricke und Verkürzungen manch methodisch naheliegender Vergleichswerke vermeidet.
Anmerkungen:
[1] Diarmaid MacCulloch: Reformation - Europe's House Divided 1490-1700, London 2004.
[2] Diese Gesamtfeststellung schließt nicht gelegentlich verkürzende Sichtweisen dieser Art aus, etwa der allzu leichtfertigen Gleichsetzung 'katholisch = Bayern', so, wenn behauptet wird, der Regierungsantritt der Neuburger in der Pfalz 1685 "meant that all of the Palatine lands were brought into the Bavarian orbit" (329). Dies verkennt die Tatsache, dass sich die beiden Linien, obwohl nun beide katholisch, spätestens ab 1697 in zwei völlig entgegen gesetzten politischen Lagern befanden.
[3] Lucien Bély : La société des princes - XVIe-XVIIIe siècle, Paris 1999.
[4] Olivier Chaline : La bataille de la Montagne blanche (8 novembre 1620) - un mystique chez les guerriers, Paris 2000.
[5] Dieter J. Weiß: Katholische Reform und Gegenreformation, Darmstadt 2005.
Josef Johannes Schmid