Edward Bispham: From Asculum to Actium. The Municipalization of Italy from the Social War to Augustus (= Oxford Classical Monographs), Oxford: Oxford University Press 2007, XVII + 566 S., ISBN 978-0-19-923184-3, GBP 105,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Monika Trümper: Graeco-Roman Slave Markets. Fact or Fiction?, Oxford: Oxbow Books 2009
Christoph Lundgreen: Regelkonflikte in der römischen Republik. Geltung und Gewichtung von Normen in politischen Entscheidungsprozessen, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2011
Nino Luraghi: The Ancient Messenians. Constructions of Ethnicity and Memory, Cambridge: Cambridge University Press 2008
Die vorliegende Monographie ist die aktualisierte und wohl auch erweiterte Fassung von Bisphams Dissertation, die zum größten Teil im Herbst 1994 fertiggestellt wurde (V). Betrachtet man das Literaturverzeichnis, war die Aktualisierung um das Jahr 2000 herum abgeschlossen, wenn auch einige Werke darüber hinaus weisen. Die Studie konzentriert sich auf die Entwicklung der römischen municipia anhand einer detaillierten Bestandsaufnahme der höheren Magistrate (quattuorviri und duoviri) italischer Gemeinwesen in der Zeit nach dem Bundesgenossenkrieg 91-88 v.Chr. (10, 40).
Dies führt Bispham auf den 157 Seiten der Kapitel 6 bis 9 ("core of the book": 51) anhand von epigraphischen Detailstudien vor (vgl. 39-46; 247-254), die durch ein umfangreiches Addendum (473-510) ergänzt werden, in dem alle von Bispham besprochenen Inschriften wiedergegeben, übersetzt und mit einem kurzen Kommentar versehen sind. Im einzelnen werden folgende Magistrate behandelt: quattuorviri nude dicti (36 Inschriften, 254-291), quattuorviri iure dicundo (39 Inschriften, 294-336), quattuorviri quinquennales (15 Inschriften, 337-364), quattuorviri praetores (1 Inschrift, 364-365), quattuorviri aedilicia potestate (2 Inschriften), 365-370), quattuorviri aediles (2 Inschriften, 370-372), duoviri nude dicti (14 Inschriften, 381-391), duoviri iure dicundo (3 Inschriften, 391-393), duoviri quinquennales (2 Inschriften, 393-396), duoviri aediles (1 Inschrift, 396). Gemäß Bispham bezeugen die Inschriften, die zumeist aus nachsullanischer Zeit stammen, das römische Bestreben, die italischen municipia nach dem Bundesgenossenkrieg durch die Einrichtung des Quattuor- und des Duovirats ("clearly a Roman collegiate magistracy": 372) als neue Verwaltungseinheiten zu etablieren, die keine institutionellen Verbindungen mehr zum abgestuften römischen Bundesgenossensystem vor 91 v.Chr. haben und sich auch von Gemeinwesen unterhalb der Stufe der Munizipien abgrenzen sollten (378-379). Das Ziel hierbei war die Schaffung von administrativen Zentren im italischen Bereich, in der die integrative Kraft und das Einheitsbestreben (404) der römischen Zentralmacht, aber auch die Abkehr vom abgestuften Bundesgenossensystem und eine Stärkung regionaler Autonomie (378) ihren Ausdruck fanden.
Diese insgesamt 194 Seiten ergänzt Bispham durch fünf Kapitel mit der gleichen Seitenanzahl (53-246), die sich vor allem auf die juristische Behandlung der italischen Landschaften in der Zeit zwischen dem Pyrrhos-Krieg und dem Bundesgenossenkrieg beziehen. Dabei werden das 3. und das 2. Jahrhundert v.Chr. unter der Fragestellung betrachtet, wie aus der römischen Sicht auf die noch feindliche terra Italia des 3. Jahrhunderts v.Chr. die geographische, politische und kulturelle Einheit tota Italia in der transitorischen Phase der Triumviralzeit / frühen Prinzipatszeit werden konnte. Hierbei nutzt er den regionalen, aber auch den hegemonialen Blickwinkel, um den Weg der italischen Gemeinwesen von feindlichen über angegliederten bis hin zu inkorporierten municipia darzustellen (39-40). Auch in diesen stärker chronologisch ausgerichteten Kapiteln konzentriert er sich auf institutionelle Fragen im Bereich der regionalen Administration, um die Grenzen der munizipalen Autonomie auszuloten. Bispham sieht den Schlüssel für die Betrachtung einer Entwicklung der municipia im sich anpassenden Umgang der Römer mit den Erfordernissen der Verwaltung der italischen Gemeinden: Exemplarisch interpretiert er im ersten Kapitel (53-73) anhand von literarischen und epigraphischen Passagen den römischen Blickwinkel im Ausdruck terra Italia von der Zeit des Pyrrhos-Krieges bis zur inschriftlich erhaltenen lex agraria des Jahres 111 v.Chr. (60-64).
In den nächsten zwei Kapiteln (76-112; 113-160) beschreibt er die Entfaltung unterschiedlicher Formen regionaler Selbstverwaltung im zweiten Jahrhundert v.Chr. In diesem Zusammenhang diskutiert er ausführlich neben dem inschriftlich erhaltenen senatus consultum de Bacchanalibus und der livianischen Parallelüberlieferung (Liv. 39,18,8-9) (91-95, 116-123) auch die lex Osca Bantina (142-150), um den autonomen Charakter der italischen municipia im Umgang mit Rom zu verdeutlichen ("... municipia retained in their res publicae some of the character, and much of the content, of their days of independence as autonomous populi.": 112). Im vierten Kapitel (161-204) befasst sich Bispham mit der Bürgerrechtsverleihung während und nach dem Bundesgenossenkrieg. Dabei führt ihn sein Weg von der Betrachtung der leges Iulia, Plautia Papiria, Calpurnia und Pompeia der Jahre 90 und 89 v.Chr. (161-175) zum Status der italischen Völker (mit Ausnahme der Samniten und Lucaner) als dediticii populi im Jahre 88 v.Chr. (175-187), deren Einbürgerung / Einschreibung in die tribus in der Folgezeit zu einer innenpolitischen Zerreißprobe wurde (189-199): "... the product of consensus and compromise within the ruling class": 204). Das fünfte Kapitel schließlich behandelt die munizipalen Stadtrechte, insbesondere die aus der republikanischen Zeit stammenden lex Tarentina, lex coloniae Genetivae Iuliae und die Tabula Heracleensis (205-246), als Zeichen der Romanisierung der municipia ("... a public and judicial marker of the political 'Romanization' of the community": 244-245). Die in den folgenden Kapiteln 6-9 ausführlich diskutierten höheren Magistrate der italischen Gemeinden dienten laut Bispham als Symbol der tradierten Eigenständigkeit, aber auch als Bindeglied zur römischen Zentralmacht (245).
Das zehnte Kapitel beschließt die Untersuchung mit einer ausführlichen Einbettung der Munizipienbildung im größeren Kontext der spätrepublikanischen Entwicklung (405-446). Er sieht die nach dem Bundesgenossenkrieg erfolgte Munizipalisierung Italiens als "turning-point, perhaps the penultimate one, in the long history of the Roman Republic" (436). Die historische Bedeutung des municipium als "self-contained unit with its own political structures" (425) erweist sich laut Bispham in der Langlebigkeit dieser administrativen Zentren und in der weit in das römische Kaiserreich ausstrahlenden Vorbildfunktion (436). Dabei diente die Beibehaltung lokaler Traditionen, wie sie aus den Stadtrechten abzulesen sind ("a detailed self-Romanization": 438), zur weitgehenden Akzeptanz der neuen Verwaltungsstrukturen innerhalb der Bevölkerung (438). Gleichzeitig sorgten die von Bispham untersuchten höheren Magistratsstellen für eine Förderung der lokalen Eliten und ihrer verstärkten Anbindung an die römische Zentralmacht (438). Ein besonderes Augenmerk legt Bispham auf Ciceros Konzept der zwei patriae (ego ... et illi [Catoni] et omnibus municipibus duas esse censeo patrias, unam naturae, alteram civitatis: Cic. leg. 2,5), das die Anbindung der municipes an ihre überkommene Herkunft und an das neuerworbene römische Bürgerrecht treffend beschreibt (436, 440-442). Nutznießer dieser Entwicklung war - wie könnte es auch anders sein - der spätere princeps Augustus, der das sich machtpolitisch homogen präsentierende Gebilde unter gleichzeitiger Beachtung der überkommenen und nun kontrolliert autonomen Verwaltungseinheiten für seinen Kampf um die Macht mit Erfolg einsetzte: tota Italia (442-446).
Das Buch ist nicht leicht zu bewerten: In ihm verbirgt sich ein hoher wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn, der sich dem Rezipienten allerdings mit fast schon perfider Hartnäckigkeit entzieht. Die Fülle der Einzelergebnisse konnte in dieser Rezension rein quantitativ gar nicht wiedergegeben werden, allerdings erschließen sie sich auch dem geübten und in die Materie eingearbeiteten Leser nur mit Mühe. Dies liegt in erster Linie daran, dass Bispham - zumeist in der 1. Person Singular - den Gang seiner Forschungen in (gefühlter) Echtzeit aufbereitet, den Leser damit auf eine sicherlich spannende Reise (mitsamt literarischer Reminiszenzen) nimmt, diesen aber ebenso erschöpft zurücklässt. Man merkt der Studie die intensive Beschäftigung mit der Materie an, was sich in einer riesigen Anzahl von wertvollen Detailstudien im Fließtext, den Fußnoten und in den überreichen vier Appendices (447-472) niederschlägt. Das hat allerdings auch zur Folge, dass die strukturellen Gedankengänge mit Nebenbetrachtungen bisweilen zugeschüttet werden. Dies könnte eventuell dazu führen, dass Bisphams Studie in Zukunft nicht die Aufmerksamkeit erhält, die sie eigentlich verdient. Der sehr griffige Titel und die dadurch implizierte Erwartungshaltung kann insbesondere im studentischen Rezeptionskreis zu herber Enttäuschung führen: Man erwartet eigentlich eine chronologisch präsentierte Gesamtdarstellung der Entwicklung der italischen municipia zwischen 91 und 31 v.Chr. Was man erhält, ist vielleicht nicht gerade "a [stitched together] Frankenstein's monster", wie Bispham selbstironisch befürchtet (46), auf alle Fälle jedoch ein intellektueller Steinschlag, der auf den Rezipienten niederprasselt. Sinnvoll ist es, mit dem Herzstück von Bisphams Untersuchung, den Kapiteln 6-9, zu beginnen, dann die Kapitel 2-5 hinzuzuziehen, um mit dem Kapitel 10 zu enden. Die Introduction (1-52) sollte dabei abschnittsweise mitgelesen werden, da sie keine Einführung im herkömmlichen Sinne ist, sondern eher die Essenz des Ganzen darstellt. Einige Bemerkungen, die den Wert der Studie nicht schmälern sollen, seien schließlich gestattet: Das Register enttäuscht auf ganzer Linie. Es wirkt unfertig, verzichtet auf wichtige Begriffe komplett und ist insgesamt gesehen sehr nachlässig bearbeitet. Ärgerlich ist des Weiteren der anachronistische Ausdruck "Sullan Gauleiter" (413), der wenig hilfreich ist: Um die sullanische Schreckensherrschaft prägnant zu charakterisieren, braucht es nicht die Evozierung des NS-Grauens, sondern es reicht ein Blick in die antiken Quellenzeugnisse des ersten Jahrhunderts v.Chr., wie z.B. Ciceros Rede für Sex. Roscius aus Ameria.
Iris Samotta