Tanja Penter: Kohle für Stalin und Hitler. Arbeiten und Leben im Donbass 1929-1953 (= Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen. Schriftenreihe C: Arbeitseinsatz und Zwangsarbeit im Bergbau; Bd. 8), Essen: Klartext 2010, 467 S., ISBN 978-3-8375-0019-6, EUR 54,00
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Dies ist keine schöne Geschichte, nicht einmal eine mit Höhen und Tiefen. Tanja Penters Arbeit über den Donbass - eines der größten industriellen Ballungszentren und das sowjetische Kohlerevier schlechthin - von den 1920er Jahren bis zum Ende der Ära Stalin reiht vielmehr eine Katastrophe an die nächste. Wellengleich brechen sie über die Einwohner der Region im ukrainischen Osten herein: Hungersnöte, Terror und Verfolgung, Besatzung, Verschleppung und Verwüstung. Gelegenheit zum Durchatmen, zur Verarbeitung von Trauma, Leid und Verlust fehlen oder werden in jene spezifischen Artikulationsformen gegossen, welche Diktaturen zur Verfügung stellen: Propaganda, politische Prozesse, Vergeltung. Eben dieses dichte Beziehungsgeflecht, in dem der Donbass als "Wirtschafts-, Kultur- und Erfahrungsraum" (14) erscheint, steht im Mittelpunkt von Penters Arbeit, die somit ganz verschiedene Perspektiven miteinander verknüpft: eine Wirtschafts- und Sozialgeschichte des ukrainischen Steinkohlebergbaus, eine Regionalstudie zur stalinistischen und zur deutschen (Besatzungs)herrschaft, ein Diktaturvergleich mit erfahrungsgeschichtlichen Mitteln. Eben aus diesem vergleichenden Blick auf Herrschaftspraktiken in derselben Region bezieht die vorliegende Studie ihre Spannung.
Die Arbeit gliedert sich - nach Einleitung und einem knappen Prolog, der die vorrevolutionäre Industrialisierung des Donbass und die allmähliche Formierung der lokalen Gesellschaft über diverse Migrationsbewegungen skizziert - in drei chronologisch folgende Hauptteile. Diese nehmen jeweils Branchenentwicklung, Arbeits-, Sozial- und Geschlechterbeziehungen im Donbass, seinen politischen und propagandistischen Platz im jeweiligen Herrschaftssystem sowie Erfahrungen materieller Not, Arbeitszwanges und Verfolgung in den Blick. Diese Vorgehensweise macht bereits vor der abschließenden Zusammenfassung sehr deutlich, wo die Unterschiede sowjetischer und deutscher Herrschaft manifest waren und wo sie weit weniger dramatisch ausfielen, als Krieg und Besatzung zunächst nahelegen.
Mit großer Anschaulichkeit zeichnet Penter nach, wie der Donbass nach der Revolution eine eigentümlich paradoxe Stellung erlangte - einerseits das Vorzeigeobjekt forcierter Industrialisierung und sowjetischer Modernisierung, andererseits das in Moskau mit Misstrauen beäugte, vermeintliche Sammelbecken dissidenter, gar konterrevolutionärer Elemente - und dass sich eben aus diesem Spannungsverhältnis der staatliche Vernichtungswille speiste. In mehreren Wellen wurde in den 1920ern und 1930er Jahren das Führungspersonal der Bergbauunternehmen entlassen, verhaftet und liquidiert; nach dem deutschen Rückzug folgte eine weitere, wenngleich im ökonomischen Feld pragmatisch abgeschwächte Säuberungswelle. Aus der politisch und propagandistisch befeuerten Projektion des sozialistischen Modells Donbass leiteten sich ebenso die meist elenden Lebens- und Arbeitsbedingungen ab, wenn kaum erreichbare Planvorgaben ohne entsprechende Anreizsysteme ausgegeben und mit Zwang durchzusetzen versucht wurden. Die Bergleute erfuhren Druck und Gewalt zugleich mit "Ehrbezeugungen und unionsweite[r] Anerkennung anstatt Brot, Wohnungen und sicheren Arbeitsbedingungen" (369). Dass die urbanen Zentren dennoch besser behandelt wurden als die Landbevölkerung, die der großen Hungersnot der Jahre 1932/33 zu Hunderttausenden zum Opfer fiel, spricht dabei nicht für eine Privilegierung im Wortsinne, sondern illustriert vielmehr, auf welch geringem Niveau der Unterschied zwischen Leben und Tod gemacht wurde. Ebenso lässt sich - auch dies dokumentiert Penter drastisch - die hohe Frauenquote auf den Zechen kaum als geglückte Emanzipationspolitik lesen, sondern eher als Gleichgültigkeit ob der Gesundheitsrisiken, Geschlechterdiskriminierung am Arbeitsplatz und Folgen wie einer Abtreibungs- und Fehlgeburtenquote, welche die Geburten weit überstieg.
Dass vor diesem Hintergrund die Bestürzung über das vorläufige Ende der sowjetischen Herrschaft 1941 überschaubar blieb, vermag kaum zu überraschen. Die vorsichtigen Hoffnungen nach dem deutschen Einmarsch wurden indes ebenso rasch wie gründlich enttäuscht. Nicht nur besserte sich die Lage der Bergarbeiterinnen nicht, an deren Einsatz auch die deutsche Verwaltung, nachdem einmal der Entschluss gefallen war, die von der Roten Armee zerstörten Zechen wieder in Betrieb zu nehmen, festhielt. Auch die gewaltsame Hierarchisierung als soziales Ordnungsprinzip wurde keineswegs aufgegeben, sondern vielmehr umgebaut, so dass sich die Lebensmittelwaage nun zugunsten der Landbevölkerung neigte, während die Städte gezielt ausgehungert wurden. Zudem erwiesen sich die rassistischen Kategorien der deutschen Besatzer als unflexibler als jene der sowjetischen Machthaber. Dies galt insbesondere für die ermordete jüdische Bevölkerung der Ukraine - im Donbass half indes die östliche Lage einer großen Mehrheit, rechtzeitig zu fliehen -, aber auch für Ukrainer und ethnische Russen, deren Zugang zu überlebenswichtigen Gütern nach rassistischen Kriterien bestimmt und die ab 1942 in großer Zahl ins Reich verschleppt wurden. Dass sie dort im Schnitt besser verpflegt wurden als in ihrer Heimat, spricht Bände über die Zustände in den besetzten Gebieten.
Wie eben jene Zwangsarbeiter als so genannte Repatriierte nach 1945 erneut in die Gruben des Donbass gezwungen und/oder politisch verfolgt wurden, berichtet der dritte Hauptteil des Buchs. Darin zeichnet Penter präzise nach, welche Kategorien von Arbeitszwang die sowjetische Macht einsetzte, bestrebt, im diesmal von den Deutschen zerstörten Revier binnen kurzem und unter enormem Verschleiß der eingesetzten Arbeitskräfte wieder die Vorkriegsleistung zu erreichen: Repatriierte, internierte "Volksdeutsche" aus dem sowjetischen Machtbereich, deutsche Kriegsgefangene, GULag-Häftlinge und mehr nominal denn faktisch freiwillige Rekrutierte. Dass die deutschen Kriegsgefangenen vor allem nach dem ersten Winter relativ gut behandelt wurden, trotz geringerer Leistungen als ihre sowjetischen "Kollegen", illustriert die Differenz sowjetischer und nationalsozialistischer Konzepte von Arbeitszwang: Beiden war dieser ein Strafmittel, doch das "Werkzeug zur Umwandlung des Menschen" (424) stieß in der NS-Ideologie an die unveränderlichen Grenzen von Erbgut und "Rasse".
Damit ist einer jener markanten Unterschiede zwischen beiden Diktaturen benannt, die Penter abschließend als "Kontinuitäten und Brüche" resümiert. Wechselnde Hierarchien, erzwungene kulturelle Begegnungen und verschiedene Formen des Terrors - insbesondere die genozidale NS-Vernichtungspolitik - werden hier als Brüche benannt. Gleichwohl überwiegt am Ende der Eindruck der Kontinuität: die Hungersnöte, die sich von den frühen 20er Jahren bis in die Nachkriegszeit erstrecken und Millionen Todesopfer fordern; der ubiquitäre Arbeitszwang als Beschneidung von Freiwilligkeit, Freizügigkeit und Selbstbestimmtheit; die fortwährende Armut, die allenfalls umverteilt, nicht gelindert wurde; die Alltäglichkeit von Gewalt und Terror. Beinahe ist man geneigt zu sagen, dass der Krieg zumindest für Teile der Donbass-Bevölkerung nur einen geringen Einschnitt bedeutete. Dies mag allerdings partiell auch der Gewichtung der Studie geschuldet sein. Dadurch, dass die rund zwei Jahre deutscher Besatzung ein gutes Drittel der Darstellung ausmachen, erscheinen sie gewissermaßen länger, dauerhafter. Anders gesagt, das zeitliche Ungleichgewicht zwischen den insgesamt mehr als 20 Jahren sowjetischer Herrschaft und der kurzen deutschen Okkupation tritt gelegentlich zurück, sowohl narrativ als auch analytisch. Doch ein Charakteristikum der deutschen Besatzung lag gerade in der Schlagartigkeit, mit der Brutalität und Vernichtung entfacht wurden. Hier ließe sich fragen, inwiefern sich diese unterschiedliche Erfahrung von Zeitlichkeit, gerade im Verhältnis zur institutionalisierten, scheinbar ewigen Gewalt der stalinistischen Herrschaft, in der Erfahrungsgeschichte des Donbass abbildet(e).
Dies muss indes nicht Aufgabe von Tanja Penters umsichtiger, auf enorm breiter Quellenbasis - darunter auch aufschlussreiche Zeitzeugeninterviews - basierender und überzeugend argumentierender Studie sein. Insbesondere den deutschen, nach wie vor oft allzu sehr auf die Täterseite kaprizierten Beobachter lehrt ihre Arbeit, dass es ein Leben vor und nach der Besatzung gab - und wie wenig befreiend die Befreiung ausfallen konnte.
Kim Christian Priemel