Tamara Scheer: Die Ringstraßenfront. Österreich-Ungarn, das Kriegsüberwachungsamt und der Ausnahmezustand während des Ersten Weltkrieges (= Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums, Wien; 15), Wien: Heeresgeschichtliches Museum 2010, 210 S., ISBN 978-3-902551-16-0, EUR 14,00
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Die Arbeit beruht auf Vorstudien für eine Diplomarbeit und eine Dissertation des Instituts für Ost- und Südosteuropäische Geschichte der Universität Wien. Der Titel stammt von dem im Kriegspressequartier tätigen Militärjournalisten Emil Seeliger. Als zentrale Quelle sind die Akten des Kriegsüberwachungsamtes als Koordinierungsstelle aller zivilen und militärischen Entscheidungsträger ausgewertet. In der Beurteilung der politischen Zielsetzung und Tätigkeit des Amtes dient die auch sonst für die "Regierung und Verwaltung im Weltkriege" meinungsbildende Studie von Joseph Redlich (1925). Die Arbeit versteht sich nicht als Behördengeschichte, sondern als Beitrag zu einer "Geschichte einer Gesellschaft im Krieg", kühn als "Aufarbeitung der Geschehnisse im Innern eines zerfallenden Imperiums".
Dazu holt die Autorin weit aus. Sie spannt einen weiten Bogen vom Notverordnungsrecht des Gesetzes über die "Befugnisse der Regierungsgewalt zu Ausnahmeverfügungen" von 1869, über die Praxis dieses Ermächtigungsgesetzes in den Regierungen Taaffe und Badeni bis zu den 1904 einsetzenden Bemühungen des Generalstabschefs Friedrich Graf von Beck-Rzikowsky zur Schaffung einer Zentralstelle für die Handhabung der für den Kriegsfall notwendigen Ausnahmeverfügungen. Mit Unterstützung von Kriegsminister Pitreich und Innenminister Bylandt-Rheidt, allerdings gegen die Obstruktion Ungarns wurde 1906 ein "Dienstbuch" für die "Handhabung der staats- und privatrechtlichen Ausnahmsverfügungen" ausgearbeitet und das "Kriegsinformationsamt" unter der Leitung des Evidenzbüros des Kriegsministeriums eingerichtet. Nach einigem Hin und Her der Amtsrivalitäten, nach dem "Generationenwechsel" in der Militär- und Außenpolitik mit Conrad von Hötzendorf im Generalstab, Aehrenthal im Außenministerium und der zunehmenden Einflussnahme des Thronfolgers Franz Ferdinand auf die Politik kam es 1907 zur definitiven Einrichtung des "Kriegsüberwachungsamtes" und 1909 zur Neuredaktion des "Dienstbuches", ausdrücklich als Maßnahme für den Kriegsfall "B" (Balkan) und nicht mehr für "S" (Serbien). Dass die Begründungen für die Beschleunigung und Verschärfung des Kurses der Überwachung des gesamten Militär- und Zivilwesens in der Radikalisierung der Außen- und Innenpolitik im Gefolge der Balkankrise lagen, scheint außer Zweifel zu stehe.
Hier wäre die zentrale, aber nicht beantwortete Frage des dokumentarisch extensiv bearbeiteten Themas zu stellen, ob das Kriegsüberwachungsamt eine aktive Vorbereitung auf oder eine Vorbeugung für den Krieg gewesen ist. Joseph Redlich hat mit Kritik am Kriegsüberwachungsamt und am "Kriegsabsolutismus" wahrlich nicht gespart, und doch hat er konzediert, dass die Annexionskrise und der Balkankrieg den Anstoß für die Vorbereitung des Ausnahmerechtes für den Kriegsfall gegeben haben. Erst ex post kam er wohl zu dem radikalen Urteil, dass bei der Einrichtung des Kriegsüberwachungsamtes "der Gedanke der Diktatur von vornherein weit über das technische Moment der bloßen Sicherung der Mobilisierung hinausging und von Anbeginn als politische Maßnahme im höchsten Sinne des Wortes von den entscheidenden Faktoren nicht nur der Armee, sondern auch der Zivilregierung, der Bürokratie, aufgefasst wurde". Die nicht erschöpfende, aber durchaus exemplarische Darstellung der Tätigkeit des Kriegsüberwachungsamtes hinsichtlich Personen- und Pressezensur sowie Koordinierung der Zivil- und Militärverwaltung vermittelt eher den Eindruck eines unkontrollierten Manövrierens auf stürmischer See als jenen der harten Faust der Kriegsdiktatur. Vom Jahr des innenpolitischen Systemwechsels von 1916/17 bis zur Auflösung des Amtes 1918 blieb dem Amt überhaupt nur mehr die Rolle des "Lavierens zwischen Armeeoberkommando, Presse und Abgeordnetenhaus".
Helmut Rumpler