Christine Vogel / Herbert Schneider / Horst Carl (Hgg.): Medienereignisse im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge einer interdisziplinären Tagung aus Anlass des 65. Geburtstages von Rolf Reichhardt (= Ancien Régime. Aufklärung und Revolution; Bd. 38), München: Oldenbourg 2009, 226 S., ISBN 978-3-486-58296-3, EUR 34,80
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Akademische Festschriften verfügen über keinen guten Ruf, denn sie sind allzu oft schlicht Festschriften zu Ehren eines ausgewählten Akademikers. Im positiven Sinne kennzeichnen sich solche Publikationen inhaltlich durch ihre Verschiedenartigkeit und konturieren den facettenreichen Glanz des Jubilar-Antlitzes. Mit dem Jubilar als erstem Adressaten sind die Beiträge auch nicht genuin für einen weiteren Forscherkreis gedacht; Gefälligkeits-, Gunst- und Respekterbietung sind allzu oft das Schmierfett, das die Publikationsmaschinerie des Genres "Festschrift" am Laufen hält. Obligatorisch reagieren die Rezensenten solcher Sammelbände auf die oft frappierende inhaltliche Inkohärenz mit Unverständnis und schreiben resignative Einleitungssätze wie diese.
Auch die Festschrift für Rolf Reichardt, dessen Name seit den 1980er Jahren besonders mit profilierten medien- und bildgeschichtlichen Interpretationsangeboten zur Sattelzeit um 1800 verbunden ist, wird nur bedingt durch ein Rahmenthema zusammenhalten. Um die Heterogenität der versammelten Beiträge zu "Medienereignisse im 18. und 19. Jahrhundert" zu kaschieren, nutzen die drei Herausgeber, Christine Vogel, Herbert Schneider und Horst Carl, den in Festschriftvorworten häufig anzutreffenden Begriff vom "bunten Strauß". Zugunsten einer kurzen, vierseitigen Lebens- und Forscherskizze zu Rolf Reichardt wird auf eine Einleitung, die verschiedene Perspektiven und Fragestellungen mit dem Rahmenthema verbindet und gemeinsame Leitfragen ausweist, verzichtet. Im Vorwort steht lediglich, dass die versammelten Aufsätze "sich auf unterschiedliche Weise und aus verschiedenen Perspektiven mit Medienereignissen des 18. und 19. Jahrhunderts befassen" (1), ohne zu erklären, was man unter "Medienereignissen", deren Analyse und Erkenntnisperspektiven versteht - oder verstehen kann. Experten werden in der Titelwahl die Referenz zum Gießener Graduiertenkolleg "Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart" erkennen (in dessen Umfeld Reichardt auch zu verorten ist) und so indirekt auch das dortige Forschungskonzept zur Analyse der Formierung und Verbreitung von ausgewählten "Medienereignissen" in Verbindung setzen. Einer weiteren, an medien- und kommunikationshistorischen Forschungsgebieten interessierten Leserschaft wird der Zugang zu dem Band jedoch erschwert: Wie eine kulturwissenschaftlich fundierte Medienhistoriographie umzusetzen sei, wird nämlich unter anderem zwischen Horst Wenzel, Werner Faulstich, Jochen Hörisch, Rudolf Stöber, Jürgen Wilke und neuerdings auch Andreas Würgler und Frank Bösch lebhaft debattiert.
In den insgesamt 9 Beiträgen, die in je unterschiedlichem Umfang (von 12 bis 50 Seiten) und in unterschiedlicher Argumentationshöhe und Stringenz um das Titelvokabular "Medienereignisse" kreisen, werden demnach auch unterschiedliche Medienbegriffe und analytische Herangehensweisen genutzt.
Hans-Jürgen Lüsebrink blickt in seinem Beitrag ("Atahualpas Bibelfrevel und Moctezumas Überlistung. Zur interkulturellen Dimension des Diskurses über die Conquista Südamerikas") auf das "Medium der Schrift" und betreibt somit Medienwirkungsforschung. Indem Lüsebrink die zahlreichen Neubewertungen und Neu-Interpretationen um den Untergang des Inkareiches in französischen, deutschen und englischen Publikationen des 18. Jahrhunderts aufgliedert, verweist er auf die Notwendigkeit, historische Ereignisse und ihre mediale Fixierung stets auch als historiographisches Produkt mit limitierter Aussagefähigkeit (und interaktiven Momenten) zu verstehen.
Gudrun Gersmanns Beitrag ("Philippe Curtius: Wachsfigurenmacher, Medienunternehmer, Revolutionär") ist zwar überaus lesenswert, aber wäre nach Meinung des Rezensenten wohl besser als separater Zeitschriftenaufsatz erschienen. Dass Wachsfiguren auch Medien sein können und demzufolge ein - zugegebenermaßen interessanter - Wachsfigurenhersteller im Umfeld der französischen Revolutionswirren als Medienunternehmer firmieren konnte, ist durchaus eine legitime Perspektive. Nur was dieser Beitrag mit "Medienereignissen" zu tun hat, bleibt offen.
Die von Hans-Ulrich Thamer angestellte Analyse des "Medienkaisers" Napoleon ("Napoleon - ein Medienkaiser. Zur Repräsentation charismatischer Herrschaft") verortet zwar die medialen Inszenierungs- und Repräsentationsstrategien von Napoleon Bonaparte kulturgeschichtlich, bleibt jedoch analytisch lediglich auf der Initiatorenebene (und deren Vorstellungen vom Adressaten) stehen. So bleiben die Äußerungen des zeitgenössischen Medienverbundes zu Napoleon in Gänze außen vor; die mediale Rezeptionssituation der Zeitgenossen zum Thema Napoleon bleibt ebenfalls unberücksichtigt.
In diese Falle der Medienhistoriographie tappen auch noch weitere Beiträger, die "Medienereignisse" nicht genügend multiperspektivisch ausleuchten und häufig nur die Initiatoren (Autoren, Verfasser) und Ausschnitte der publizistischen Resonanz betrachten. Die Beiträge von Matthias Middell ("Auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen: Die Gegner der Französischen Revolution 1788-1792"), Remigius Brückmann ("Die Ermordung der Abgeordneten von Auerswald und von Lichnowsky am 18. September 1848") und Herbert Schneider ("Die Eröffnung der Bayreuther Festspiele 1876 als transnationales Medienereignis") beschränken sich großenteils auf Initiatoren, Adressaten und die genutzten Druckmedien. Um jedoch ein "Medienereignis" umfassend analysieren zu können, sollten zusätzlich die Faktoren der Kommunikatoren (Distribuenten, Zensoren, Verleger, Drucker) und Rezipienten (Leser, Hörer) ebenso Berücksichtigung finden wie eine geschärfte Betrachtung der zeitgenössischen Strukturen und Dynamiken der Öffentlichkeit sowie die Vielzahl an kursierenden Publika. Auch vereinzelt auftretende terminologische Ungenauigkeiten resultieren aus dieser - vermutlich durch das Genre des Festschriftenbeitrags bedingten - verkürzten Analyse. Beispielsweise bezeichnet Remigius Brückmann die publizistische Verarbeitung eines 1848 geschehenen Mordfalles in Karikaturen und Satiren als "öffentliche Meinung" (119). Dass solche textlichen und graphischen Darstellungen eines Themas innerhalb des zeitgenössisch gedruckten Medienensembles keinesfalls eine "öffentliche Meinung" darstellen, sondern lediglich ein Ausdruck der Wahrnehmung auf Verfasser- und Verlegerseite sowie der ökonomischen Marktdynamik waren, betonen etliche publizistik- und kommunikationshistorische Studien unisono.
Es wäre ungerecht und ein Missverständnis, an der hier besprochenen Festschrift die Leistungsfähigkeit von Medien- und Kommunikationshistoriographie zu messen. Festschriftenbeiträge bilden ein eigenes Genre, was die ansonsten gehobene Qualität der "regulären" Veröffentlichungen der hier versammelten Beiträger auch bestätigt. Dennoch demonstriert auch dieser Sammelband erneut, dass ein Sammelsurium an Beiträgen, das lediglich vage durch einen Rahmentitel und eine Ehrung des Jubilars zusammengehalten wird, zumeist noch nicht einmal dem Fachpublikum hilft.
Daniel Bellingradt