Rezension über:

Bernhard Maaz: Skulptur in Deutschland. zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg (= Denkmäler Deutscher Kunst), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, 2 Bde., 760 S., ISBN 978-3-422-07006-6, EUR 178,00
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Rezension von:
Michael Hesse
Institut für Europäische Kunstgeschichte, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Michael Hesse: Rezension von: Bernhard Maaz: Skulptur in Deutschland. zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 6 [15.06.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/06/18902.html


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Bernhard Maaz: Skulptur in Deutschland

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Skulptur des 19. Jahrhunderts wurde lange unter dem Einfluss der Avantgarden als schaler Aufguss antiker Vorbilder und Hinterlassenschaft der verachteten akademischen Kunstproduktion gesehen. In Deutschland erschien sie zudem diskreditiert durch politische Instrumentalisierung im öffentlichen Raum. Dass bereits in der klassizistischen Skulptur durch kritische Aneignung antiker und neuzeitlicher Modelle genuin moderne Bildgedanken formuliert wurden, haben uns Interpreten wie Peter Bloch, Werner Hofmann, Fred Licht oder Jutta von Simson vor Augen geführt. Wer bislang jenseits der allgemeinen Kunstgeschichten einen Überblick über deutsche Skulptur im langen 19. Jahrhundert gewinnen wollte, konsultierte meist den Berliner Ausstellungskatalog "Ethos und Pathos" (1990) oder den von Bernhard Maaz herausgegebenen Bestandskatalog der Skulpturen des 19. Jahrhunderts in der Berliner Nationalgalerie (2006).

Durch seine Arbeit an der Nationalgalerie, seine Ausstellungsprojekte und zahlreiche Veröffentlichungen in den beiden letzten Jahrzehnten ist Bernhard Maaz zum Doyen der Forschung zur deutschen Skulptur des 19. Jahrhunderts geworden. Erträge eigener Grundlagenforschung und fundierte Kennerschaft zeichnen seine hier angezeigte, zweibändige Darstellung der deutschen Skulptur zwischen der Aufklärungszeit und dem Ende des wilhelminischen Kaiserreichs, zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg, zwischen sensualistischem Frühklassizismus und formaler Reduktion an der Schwelle zur Moderne aus.

Eine pointierte Rezeptionsgeschichte - und das ist über weite Strecken "Vorurteilsgeschichte" - liefert den Einstieg in das Thema. Maaz behandelt nicht nur Ablehnung und Vergessen durch Kunstpublikum und Kunstgeschichte, sondern auch Prozesse künstlerischer Verdrängung der Vorgänger durch deren Nachfolger. Er weckt zudem ein Bewusstsein für die spezifischen Überlieferungsbedingungen eines oftmals sperrigen Mediums, das in besonderer Weise der Zerstörung aus weltanschaulichen, politischen, geschmacklichen oder schlicht alltagpraktischen Gründen ausgeliefert ist.

Ansonsten ist der gesamte erste Band den Gattungen, Bildthemen und Funktionen der Skulptur im Untersuchungszeitraum gewidmet. Künstlerische Autonomievorstellungen konnten sich am ehesten in idealen Darstellungen mythologischer Sujets verwirklichen. Beim Gang durch das Jahrhundert verfolgt Maaz dabei zum einen den Abbau einer präzisen Ikonografie zugunsten exemplarischer menschlicher Handlungen und Befindlichkeiten, zum anderen die Tendenz zur genrehaften Präsentation des klassischen Personals.

Das 19. Jahrhundert kennzeichnet eine wahre Denkmalflut, seitdem die Bildwürdigkeit neben hoher Geburt auf exemplarischer Leistung beruht. Darstellungstypen wie Reiter-, Stand- und Sitzbild werden abgehandelt, zudem der über den Sockel definierte Realitätsgrad oder die Rolle des Statuettenformats zwischen Idealdarstellung und Memorialfunktion. Wie kann man einen Menschen in seiner physiognomischen Unverwechselbarkeit und Zeitgenossenschaft vergegenwärtigen und dabei zugleich auf das Allgemeine, überzeitlich Gültige seiner Person und seines Wirkens verweisen? Am Denkmal und mehr noch an der Porträtbüste verdeutlicht Maaz das Spektrum möglicher Lösungen zwischen Wirklichkeitsnähe und Idealisierung. Er erläutert den Wandel der Todesvorstellung, die damit verbundene Grabmalstypologie und die Akzentverlagerung von der Jenseitsperspektive der Verstorbenen hin zum Trost der Hinterbliebenen.

Den quantitativ größten Teil der Produktion des 19. Jahrhunderts stellen Bildprogramme im Architekturzusammenhang dar, an Kirchen und als deren Ausstattung, an öffentlichen Bildungseinrichtungen, Verkehrsbauten oder staatlichen und kommunalen Regierungs- und Verwaltungsgebäuden. Zierbrunnen im öffentlichen Raum und Skulpturen zur Möblierung von Gärten und Parken behandeln Themen aus Dichtung und Geschichte oder adaptieren in historistischem Verständnis als analog verstandene Gestaltungsaufgaben der Vergangenheit. Abschließend behandelt Maaz die Darstellung des Tieres, die oft der traditionellen Symbolik folgt, aber auch durch Konzentration auf Formprobleme ihre nach herkömmlicher akademischer Auffassung durch das Sujet bedingte Nachrangigkeit zu überwinden versucht.

Im zweiten Band widmet Maaz sich zunächst der Skulptur im Konzert der Bildkünste. Er richtet den Blick auf Medaillen und damit auf ein kunsthistorisch oft vernachlässigtes Medium mit einer wichtigen Funktion für die Kommunikation ikonografischer Programme, besonders um 1800 und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Eindruck der französischen Medaillenkunst. Traditionelles Kunsthandwerk und die aufstrebende Kunstindustrie verbreiteten seit dem späten 18. Jahrhundert populäre Motive durch Eisenkunstguss, Porzellan, Biskuit, Kleinbronzen oder Silberarbeiten. Vergleichsweise kurz wird die Funktion der Bildhauerzeichnung - immer noch ein Forschungsdefizit - zwischen Werkgenese und Figurenstudium angesprochen. Farbe konnte angesichts des Postulats der Reinheit der Gestaltungsmittel für die Skulptur bestenfalls als realitätsnahes, populären Erwartungen entgegen kommendes Akzidens der Form verstanden werden. Allein materialimmanente Polychromie, wie sie Maaz anhand der Werke Klingers behandelt, schien daher mit künstlerischem Autonomieanspruch vereinbar. Beispiele für zartfarbige Tönungen von Marmor oder Gips stammen erst aus der Zeit um 1900.

Allein der Anhang stellt eine bemerkenswerte Forschungsleistung dar. Maaz bietet auf rund 120 Seiten durch eine kommentierte Auswahl mehrheitlich noch nicht publizierter Bildhauerbriefe eine Fundgrube von Selbstzeugnissen zu Atelierpraxis, Materialwahl, Präsentationsfragen, Kunsttheorie, professionellem Selbstverständnis und Auftrags- und Vermarktungsproblemen. Umfassend wird die Entwicklung des Metallgusses im 19. Jahrhundert unter technischen, ästhetischen und ökonomischen Aspekten dargestellt, ergänzt um ein Verzeichnis der Gießer und Ziseleure. Das ausführliche Glossar erklärt nicht nur Fachbegriffe, es stellt auch ein Grundwissen bereit, geht auf regionale Eigentümlichkeiten ein und vermittelt zwischen früherem und heutigem Sprachgebrauch.

Nicht nur die Fülle des verlässlich recherchierten Materials ist beeindruckend, sondern auch die bei aller Detailgenauigkeit durchweg souveräne Darstellung. Dass angesichts von Maaz' Forschungsinteressen der berlinisch-preußischen Bildhauerschule besonders Gewicht zukommt und autonome Werke gegenüber Skulptur im Bauzusammenhang präferiert werden, mindert nicht die Bedeutung seiner Darstellung als Standardwerk. Buchgestalterische Gründe mögen angesichts des heterogenen Bildmaterials mit teilweise historischen Fotografien, darunter zahlreiche Dokumente verlorener Objekte, die durchgängige Ausstattung mit Schwarz-Weiß-Abbildungen nahe gelegt haben. Gleichwohl vermisst man, auch angesichts der für diese Zeit bedeutungsvollen Materialästhetik, Farbabbildungen zumindest von Hauptwerken.

Michael Hesse