Manfred Nebelin: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg, München: Siedler 2011, 750 S., ISBN 978-3-88680-965-3, EUR 39,99
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Im Sommer 1916 trat mit Paul von Hindenburg so etwas wie eine Lichtgestalt an die Spitze der Obersten Heeresleitung (OHL). Die deutsche Armee, welche gerade in den Materialschlachten an der Somme und bei Verdun kämpfte, sah ihm, dem "Helden von Tannenberg", voller Hoffnung entgegen. Und auch in der Heimat wurde der Wechsel in der OHL mit großen Erwartungen verbunden. Allerdings war die eigentlich große Begabung Erich Ludendorff, der seit August 1914 an Hindenburgs Seite für die operativen Planungen an der Ostfront zuständig war. Und als "Erster Generalquartiermeister" hielt er auch im Schatten Hindenburgs an der Spitze der 3. OHL die Zügel fest in der Hand. Das "Dioskurenpaar" Hindenburg und Ludendorff sollte von nun an bis zum Ende des Ersten Weltkrieges nicht nur die Geschicke der deutschen Armee, sondern auch des deutschen Volkes leiten.
Manfred Nebelin hat mit seiner Biographie über Erich Ludendorff endlich ein Werk vorgelegt, das wissenschaftlichen Anforderungen genügt und somit eine große Lücke geschlossen. Spätestens nach der Veröffentlichung der Hindenburg-Biographie von Wolfram Pyta im Jahr 2007 musste man sich die Frage stellen, warum weit und breit keine adäquate Ludendorff-Biographie zu finden war. Eine solche Arbeit zu Komplettierung des "Dioskurenpaares" in der historischen Biografie war also überfällig. Wie das Buch von Pyta zeichnet sich auch dieses durch eine intensive Arbeitsleistung aus, was sowohl der beeindruckende Anmerkungsapparat, wie auch die Liste der ausgewerteten gedruckten und ungedruckten Quellen erkennen lassen.
Der militärische Werdegang Ludendorffs wird von Nebelin in drei Teilen dargestellt. Teil 1 beschäftigt sich mit seinem Aufstieg vom Kadetten bis zum Offizier im Großen (Preußischen) Generalstab. Dabei wird seine treibende Rolle bei der Verabschiedung der Heeresreform 1913 ebenso dargestellt wie sein enges Verhältnis zu seinem Förderer Helmuth von Moltke (dem Jüngeren). Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt aber mit den Teilen 2 und 3 auf den Kriegsjahren 1914 bis 1918. Sein Ruhm als "Held von Lüttich", seine entscheidende Rolle in der Schlacht von Tannenberg, die nach seinen Planungen geschlagen wurde und seine Erfahrungen als Befehlshaber an der Ostfront waren wichtige Stufen auf seinem Weg zur Spitze. Dieser Weg wurde dann endgültig durch die Beseitigung Erich von Falkenhayns, dem Vorgänger Hindenburgs und Ludendorffs an der Spitze der OHL, geebnet. Teil 3 behandelt daran anschließend Ludendorffs Handeln als "Erster Generalquartiermeister" bis zum Ende des Krieges und schließlich seinem Sturz. Im dritten Teil versucht Nebelin dann auch seine These von einer Diktatur Ludendorffs zu untermauern.
Diese Leitthese ist schon aus dem Titel herauszulesen: "Diktator im Ersten Weltkrieg". Nebelin versucht den Nachweis zu erbringen, dass Ludendorff in seiner Funktion als Generalquartiermeister in der 3. OHL faktisch die Stellung eines Diktators innehatte und somit als Bindeglied zwischen der "Kanzlerdiktatur" Otto von Bismarcks und der Herrschaft Adolf Hitlers verortet werden kann. Diese These ist nicht neu, sondern nimmt den Begriff der "Militärdiktatur" wieder auf, der schon von Arthur Rosenberg in den 1930er Jahren geprägt worden ist.
Auf jeden Fall kann Nebelin seine These gut belegen - mit der militärischen Alleinherrschaft Ludendorffs wie mit seinem politischen Handeln. Beispiele hierfür geben die Verabschiedung des Gesetzes über den Vaterländischen Hilfsdienst und vor allem die Absetzung des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg. So schlüssig die Argumentation Nebelins auch ist, so bleiben doch Zweifel an der These von einer wirklichen Diktatur Ludendorffs. Es wird zu wenig darüber gesagt, welch hohem Wert für Ludendorff die Verehrung hatte, die sein nomineller Vorgesetzter Hindenburg genoss. Denn erst durch seine fast schon symbiotische Verbindung zum "Helden von Tannenberg" konnte Ludendorff in seine diktatorische Machtposition gelangen. Das symbolische Potential Hindenburgs war so tief in der Bevölkerung verankert, dass der Generalfeldmarschall im Gegensatz zu Ludendorff seine Popularität über die Kriegsniederlage hinaus konservieren konnte. Ein Blick auf die Wahl zur Reichspräsidentschaft 1925 zeigt dies eindringlich. Es stellt sich die Frage, ob eine vorzeitige Trennung des "Dioskurenpaares" nicht zu einem enormen Prestige- und damit Machtverlust für Ludendorff geführt hätte. Auch war die eigentliche Machtbasis Ludendorffs als dem Hauptverantwortlichen für die militärischen Operationen eine mehr oder weniger stabile Kriegslage. Als diese im Herbst 1918 kippte, musste Ludendorff gehen.
Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, dass die Biographie Nebelins nicht wesentlich über das Jahr 1919 hinausgeht. Zwar ist es Ziel der Untersuchung zu ergründen, worin die Machtgrundlage und die Motive für das Handeln Ludendorffs im Ersten Weltkrieg lagen, doch soll ja auch die Person Ludendorff historisch verortet werden. Schon allein deshalb hätte man sich gewünscht, dass Nebelin das Leben Ludendorffs nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in seine Betrachtungen stärker mit einbezieht. Denn der ehemalige Generalquartiermeister blieb auch in der Weimarer Republik politisch aktiv. Seine Rolle bei der Herausbildung der "Dolchstoßlegende", die zu einer der Hypotheken der jungen Weimarer Republik wurde, hätte eine etwas eingehendere Betrachtung verdient, zumal Ludendorff schon im Krieg immer wieder auf die zersetzende Propaganda der Linken zu sprechen kam. Sein Verhältnis zu Hitler, die Beteiligung am Hitler-Putsch 1923, die bittere Niederlage bei der Wahl zum Reichspräsidenten 1925 und der Bruch mit den Nationalsozialisten wären weitere Aspekte gewesen, die mehr Beachtung verdient hätten. Auch die Instrumentalisierung Ludendorffs durch die NS-Propaganda wäre ein wichtiges Thema.
Schließlich ein paar kleine Fehler: So werden auf der Seite 549 in Anmerkung 35 die Autoren Gerd Fessner und Wolfgang J. Mommsen vertauscht. Leider setzt sich dieser Fehler im Literaturverzeichnis fort.
Sprachlich bewegt sich die Arbeit dagegen auf durchweg hohem Niveau. Einzig der Umstand, dass Nebelin Ludendorff in Teil 3 der Darstellung ein wenig zu oft als "Diktator" bezeichnet, fällt negativ auf. Eine etwas neutralere Formulierung wäre hier vielleicht angebrachter gewesen. Ansonsten ist der Text flüssig verfasst und gut lesbar und dabei auch für Laien verständlich. Das ist gut, denn eine weite Verbreitung ist dem Buch zu wünschen.
Christian Koch