Ralph Kauz / Giorgio Rota / Jan Paul Niederkorn (Hgg.): Diplomatisches Zeremoniell in Europa und im Mittleren Osten in der frühen Neuzeit (= Archiv für österreichische Geschichte; Bd. 141), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2009, IX + 412 S., ISBN 978-3-7001-6599-6, EUR 63,20
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Ralph Kauz: Politik und Handel zwischen Ming und Timuriden. China, Iran und Zentralasien im Spätmittelalter, Wiesbaden: Reichert Verlag 2005
Der Ansatz, die Diplomatiegeschichte als internationale Kulturgeschichte zu verstehen, eröffnet spannende Perspektiven für die Forschung und erfreut sich deshalb inzwischen auch einer großen Beliebtheit. Der 2009 erschienene Sammelband zum diplomatischen Zeremoniell in Europa und im Mittleren Osten in der Frühen Neuzeit folgt dieser Forschungsauffassung. Darüber hinaus verbindet der Sammelband die kulturgeschichtliche Herangehensweise mit der ebenfalls seit einiger Zeit bestehenden Tendenz, historische Phänomene nicht mehr in einer zumeist auf den europäischen Kontinent begrenzten Perspektive zu betrachten, sondern diese in Beziehung zu Entwicklungen in anderen Weltteilen zu setzen. Der Erfolg dieses Ansatzes schlägt sich inzwischen institutionell in der Einrichtung von entsprechend ausgerichteten universitären Forschungsschwerpunkten und Exzellenzclustern nieder.
Der vorliegende Sammelband entstand aus einer Ende 2005 veranstalteten gemeinsamen Tagung der Historischen Kommission und des Instituts für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Ziel dieser Kooperation war es, so das knappe Vorwort des Bandes, Aspekte des Zeremoniells und der diplomatischen Praxis vergleichend zu diskutieren. Im Hinblick auf das diplomatische Zeremoniell wurde durch das Zusammenbringen von Historikern mit europäischen und nichteuropäischen Forschungsschwerpunkten auf der Tagung 2005 sicherlich Pionierarbeit geleistet.
Das Buch verfügt über eine sehr große Bandbreite an sowohl methodisch als auch inhaltlich höchst unterschiedlichen Beiträgen. Auf ein Einführungskapitel wurde verzichtet. Dafür wurde mit André Krischers Aufsatz (1-32) ein Beitrag an den Anfang gestellt, der auf die Thematik des Bandes hinführt. Ein geographischer Schwerpunkt der Untersuchungen liegt in Wien und damit beim habsburgischen diplomatischen Zeremoniell, mit dem sich fünf der 15 Beiträge beschäftigen (Leopold Auer, 33-54; Herbert Karner, 55-78; Jan Paul Niederkorn, 79-96; Elisabeth Garms-Cornides, 97-130; Sibylle Wentker, 131-154). Die Reihenfolge der Beiträge orientiert sich an einem geographischen Ordnungsmuster: Je weiter das Thema eines Beitrags von Wien entfernt ist, desto weiter hinten steht er im Sammelband. Entsprechend behandeln die folgenden Beiträge Diplomatische Geschehnisse in Mittel- und Westeuropa (Dorothee Linnemann, 155-186; Gérard Sabatier, 187-212; Gisela Procházka-Eisl und Claudia Römer, 251-264), sodann in Ost- und Südosteuropa (Iskra Schwarcz, 265-286; Maria Pia Pedani, 287-300; Ernst D. Petritsch, 301-322), um schließlich Europa ganz zu verlassen (Roman Siebertz, 323-348; Ralph Kauz, 349-366).
Wie bei Tagungsbänden häufig der Fall, stehen die einzelnen Aufsätze oft etwas unverbunden nebeneinander. Wünschenswert wäre der Versuch einer Synthese und Diskussion der sehr breit gestreuten Forschungsthematiken der Einzelbeiträge gewesen, um somit einen noch größeren Nutzen aus den hier präsentierten Forschungsergebnissen ziehen zu können. Eine solche Vorgehensweise hätte die Stärken des Sammelbandes besser hervorgehoben. Denn in dem Ansatz, unterschiedliche diplomatische Zeremonialsysteme miteinander in Verbindung zu bringen, liegen große Potentiale.
So erfährt der Leser beispielsweise in dem Aufsatz von Ralph Kauz von einer wohl oft als erniedrigend empfundenen diplomatischen Praxis am Hof Timurs des Großen: Fremde Gesandte wurden von Gefolgsleuten des Herrschers an den Armen gepackt und so vor Timur geführt. Dies geschah unter anderem, um dafür zu sorgen, dass der Gesandte sich entsprechend der Etikette tief genug verbeugen bzw. niederknien würde (358-359). Ebendieser Brauch begegnet uns in Maria Pia Pedanis (296) und Ernst D. Petritschs Beiträgen zum osmanischen Zeremoniell wieder, wobei Letzterer anmerkt, dass dieser Brauch im osmanischen Kontext vor dem 16. Jahrhundert nicht üblich war (314). Schließlich lernen wir aus Sibylle Wentkers Aufsatz, dass dieselbe Praxis im Jahre 1819 erneut Verwendung fand, diesmal allerdings in Wien. Der Hofdolmetscher und Gründervater der Osmanistik Joseph von Hammer-Purgstall scheint sich an das osmanische Zeremoniell erinnert zu haben, als er mit der Aufgabe konfrontiert wurde, sicherzustellen, dass sich der persische Gesandte bei einer Audienz vor dem Kaiser formgemäß verbeugen würde. Hammer-Purgstall stellte dem Gesandten zu diesem Zweck zwei kräftige Truchsesse an die Seite, die ihm "unter die Arme griffen, um ihm", so die offizielle Begründung, "das Zurückgehen mit unabgewandtem Gesichte zu erleichtern" (142). Durch diese Behandlung konnte der persische Botschafter in das Zeremoniell gezwungen werden, was allerdings zu heftigen Handgreiflichkeiten führte. Der Gesandte verließ die Audienz mit ramponierter Kleidung. Unter anderem hatte er auf der Stufe zum Thron seine Pantoffeln fortgeworfen (143).
Der Sammelband zeigt also, wie durch die Bündelung verschiedener Forschungsarbeiten größere Zusammenhänge erschlossen werden können. Der somit ermöglichte Erkenntnisgewinn lässt die in dem Buch sporadisch auftretenden begrifflichen Ungenauigkeiten schnell vergessen. [1] Abschließend lässt sich über den Tagungsband sagen, dass er sehr breitgestreute Beiträge zu einem großen Themenfeld enthält und somit für Wissenschaftler mit sehr unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten von Interesse ist. Es ist ein Verdienst des Bandes, die europäische Zeremonialforschung mit derjenigen des Mittleren Ostens zu verbinden, ein Ansatz, der hoffentlich noch viele Nachfolger findet.
Anmerkung:
[1] Vgl. zum Beispiel die Gegenüberstellung von "Europäern" und "Muslimen" im Kontext des Geschenkaustauschs (262) im habsburgisch-osmanischen Grenzraum oder das Kennenlernen der "orientalischen Mentalität" (319).
Pascal Firges